Anhaltische Gemäldegalerie Anhaltische Gemäldegalerie: Mischwesen aus dem Land der Mitte
Dessau/MZ. - "Pflanzenmenschen" - eine Wanderausstellung des 1960 in Nanjing (China) geborenen und heute im Rheinland lebenden Künstlers Ren Rong - wuchern seit Sonnabend in der Orangerie der Anhaltischen Gemäldegalerie Dessau. Die schwebenden Mischwesen, Papierschnitte mit Wachs auf Karton, werden unter anderem noch nach Jerusalem und Hong Kong reisen.
Zur Eröffnung der Ausstellung ahmte Damian Gmür vom DessauBallett die expressiven Gesten der Bilder eindrücklich nach. Die Orangerie sei Dank der Torhüter und der Unheil abwendenden Symbole nun ein sicherer Ort, sagte der Direktor der Gemäldegalerie Norbert Michels in seiner Laudatio, der den bösen Blick wohl weniger fürchtet als die leeren Kassen. Erst in der Fremde habe Ren Rong zu den Traditionen seiner Heimat gefunden.
Beim Studium an der Nanjinger Kunstakademie übte er sich im Sozialistischen Realismus Moskauer Prägung. Was aus dem Realismus zu Zeiten der Öffnung Chinas wurde, erfuhr man am nächsten Tag während eines Vortrags Ren Rongs zur chinesischen Kunst der Gegenwart. Diese findet zwischen westlichen Anleihen, der Auseinandersetzung mit der Kulturrevolution und alten Traditionen einen eigenen Weg. Eine skurrile Blüte ist der "zynische Realismus" als kritische Veredelung des Heroischen hinter immer lachenden Masken. Kritisch dürfe man inzwischen sein, so Ren Rong. Nur der Spott auf Mao fände keine Öffentlichkeit. Wie die pornographischen Blätter der Vergangenheit werden solche Bilder dennoch gemalt und meist an die Nachfahren Marco Polos verkauft.
Wer die Orangerie betritt, wird von der Faszination des Fremden ergriffen. Die riesigen Tafeln und kleinen Kartons, die wie mächtige Stempel zu einer raumgreifenden Installation vereint sind, dominieren dunkle Pflanzenmenschen. Zur schwebenden Symbiose von Mensch und Pflanze gesellen sich androgyne Figuren. "Pflanzen verbinde ich mit Leidenschaft und Liebe", sagte Ren Rong. Und wahrlich paart sich die ferne Exotik mit praller Erotik trotz der Beschränkung auf die Fläche.
Der Papierschnitt hat seine Wurzeln in der chinesischen Volkskunst. Im Dekorativen aber verbleibt hier nichts. Der Wachs verleiht den Klebebildern eine belebende Patina. Zudem spielen die Arbeiten mit dem Wechsel von Distanz und Nähe. Die dunklen Figuren schweben über Symbolen und Geschichten, deren ornamentale Wiederholung in der Ferne als lebendige Struktur erscheint. Nur einem lackierten hölzernen Paravent - früher ein beliebter Bildträger jenseits des westlichen Bilderrahmens - fehlt diese Lebendigkeit.
Die feingliedrige Erbmasse der Pflanzenmenschen im Hintergrund der Collagen entzieht sich wohl nicht nur der Deutung durch europäische Augen. Denn der kulturelle Code wird oft ins Allgemeine gekehrt. Dann schweben die Figuren, die an mächtige Kalligrafien erinnern, etwa über kopierten Landkarten.
Auf einer roten Tafel schimmern durch fallende Körper Fotos des Künstlers und Maos. Im Hintergrund gibt es Szenen eines historischen Volksaufstandes. Alte und neue Geschichte verbindet sich mit der Erfahrung der Unsicherheit und Isolation, die Ren Rong empfunden hatte, als er nach Deutschland kam.
Lie Yi, ein Meister des dritten Jahrhunderts v. Chr., soll seine Drachen ohne Pupillen gemalt haben, damit sie nicht lebendig davonflögen. "Augen sind die Fenster der Seele", sagt Ren Rong. Mag die Magie entzaubert sein, die Fantasie wuchert. Und die Chinesische Mauer hat ein Fenster in Dessau - bis zum 24. August.