Vierschanzentournee Vierschanzentournee: Richard Freitag siegt in Innsbruck

Innsbruck - Freud und Leid blieben nachbarschaftlich fair verteilt. Aus dem Springen am Innsbrucker Bergisel ging Sven Hannawald, geboren 1974 in Erlabrunn/Sachsen, als Verlierer hervor. Knapp zehn Jahre nach seinem Karriereende verlor der Skispringer im Ruhestand gestern gleich zwei seiner Bestmarken auf der Vierschanzentournee: Seinen Schanzenrekord in Innsbruck an den Österreicher Michael Hayböck und seine Ausnahmestellung als letzter deutscher Sieger bei einem Tourneespringen an Richard Freitag, geboren 1991 in Erlabrunn/Sachsen. Zwischen den beiden Ereignissen lag eine sieglose Zeit bei der Tournee von 4389 Tagen.
Nach 49 Tourneespringen ohne deutschen Erfolg schien es, als hätten die Deutschen beim großen sportlichen Jahreswendeereignis vor allem einen Nachteil: Dass die Hälfte der Tournee in Deutschland stattfindet, was die Nerven der nationalen Schanzenhelden einfach so über Gebühr strapaziert, dass sie patzen. Kaum aber ist die Tournee nun über die e Grenze nach Österreich gewechselt, schließen Deutschlands Beste wieder an ihre vorweihnachtliche Form an. Das vorletzte Springen vor dem Christfest hatte Freitag in Engelberg etwas überraschend gewonnen.
„Das ist sehr, sehr geil. Uns tut es unendlich gut und mir auch“, schwärmte er gestern nach seinem Sieg in Innsbruck (133,5 und 132 Meter), „es macht riesen riesen Spaß in diesem Kessel. Wir werden weiter versuchen, unser Bestes zu geben und gute Noten zu springen und dann passt das auch.“
Kasai auf Platz drei
Nicht zuletzt, weil Freitag mit seinem sechsten Weltcupsieg als einziger vor ihrer großen Tourneehoffnung Stefan Kraft (137/127) landete, der den Schweizer Simon Ammann und den Japaner Noriaki Kasai gemeinsam auf Platz drei hinter sich ließ, verziehen die Österreicher die Entführung des Sieges. Sie durften sich ausreichend getröstet fühlen durch die Gesamttourneewertung: Vor dem letzten Springen in Bischofshofen am Dienstag führt Kraft die Wertung mit komfortablen 23 Punkten Vorsprung vor seinem Landsmann Michael Hayböck an. Erst hinter dem Duo folgt mit dem Slowenen Peter Prevc der erste Nichtösterreicher, so dass die Chancen gut stehen, dass der Gesamtsieg ein siebtes Mal in Folge an einen Österreicher geht. Freitag ist nun Fünfter.
Die Massen waren in Innsbruck ohnehin schon zum Frühstück in Feierlaune. Bereits Stunden, bevor das dritte Skispringen der Vierschanzentournee am Innsbrucker Bergisel begann, karrte Österreichs Bahn die Fans in Scharen an. Mit ihren rot-weißen Fahnen marschierten sie in Herden hinauf zum Stadion unter der Anlaufspur, die sich über dem Hang in die Höhe windet, um unter dem Aussichtsrestaurant zu enden.
Die 22 000 Fans sorgten unten im Kessel für einen Heimvorteil der rot-weißen Überflieger. Die stürzen sich in Innsbruck von der zwölf Jahre alten Schanze dem spektakulären Ausblick entgegen: der gegenüber liegenden, wolkenverhangenen Nordkette ebenso wie dem Panorama der Tiroler Metropole und dem unmittelbar hinter der Schanze liegenden Friedhof Wilten. Der eröffnet dem Blick der Springer einen eher morbiden Charme. Sie landen in einer Art überdimensionalen Suppenschüssel und rasen dann mit ihrem Restschwung im Auslauf den Rand hinauf, ähnlich wie die Notspuren für LKW in den Alpen, wenn es steil bergab geht.
Die Österreicher träumen davon, eines Tages in dem Topf ein Eishockey-Winterspiel wie in der Deutschen Eishockey-Liga durchzuführen. Die Topographie geriet gestern etwa Severin Freund, einem von Deutschlands Besten, zum Verhängnis: Ihm gelang es nach dem zweiten Sprung nicht, sich oben an der Kante zu halten, so dass er, halb auf dem Hintern, halb auf den Händen, etwas hilflos wie alpiner Skianfänger wieder zurück ins Tal hinunterrutschte.
Der Wind verschonte gestern die mit Netzen ein wenig geschützte so Anlage weitestgehend, weil der angedrohte Orkan seinen Weg nicht ganz nach Innsbruck fand. Und dennoch beeinflussten die stark wechselhaften Verhältnisse das Springen so sehr, dass beim Sieg von Freitag ganz nebenbei der Schanzenrekord von Sven Hannawald aus dem Jahr 2002 gleich zwei Mal fiel: Im ersten Durchgang verbesserte Stefan Kraft ihn um zweieinhalb Meter auf 137 Meter, dann musste er sich noch von seinem Landsmann Michael Hayböck, der auf 138 Meter flog, toppen lassen.
Die Rehabilitation des Deutschen Skiverbandes nach den vermasselten Auftritten in Oberstdorf und Garmisch-Partenkirchen musste Freitag gar nicht mal alleine übernehmen: Severin Freund wurde Achter in Innsbruck, Marinus Kraus 14., Stephan Leyhe 15. und Michael Neumayer 18. „Ich lebe in der Gegend, ich habe hier studiert, und ich bin daher sehr gerührt, dass der Richie hier gewonnen hat. Das war ein toller Tag. Das Team hat super zusammen gehalten“, schwärmte Deutschlands österreichischer Bundestrainer Werner Schuster, „ich hatte seit Jahren das Gefühl, dass der Richard Freitag auf dieser Schanze gut springen kann. Er hat die Ruhe behalten – man braucht auch ein Quäntchen Glück, und er hat sein Ding durchgezogen.“