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Stefan Henze Stefan Henze: Eltern über den tragischen Tod des halleschen Kanu-Trainers

Von Petra Szag 26.12.2016, 08:00
Die Eltern von Stefan Henze mussten im Sommer Abschied von ihrem Sohn Stefan nehmen.
Die Eltern von Stefan Henze mussten im Sommer Abschied von ihrem Sohn Stefan nehmen. Holger John / VIADATA Photo

Halle (Saale) - Jürgen Henze zieht es auf den Auenfriedhof. Nahezu jeden Morgen ist das so. Das Areal ist nicht weit weg von der Wohnung, in der er und seine Frau seit ihrem Umzug von Halle nach Markkleeberg vor gut drei Jahren leben. Jürgen Henze ordnet die Blumen auf dem Grab seines Sohnes Stefan, er sagt ein paar Worte. Manchmal weint er auch dabei. „Danach“, sagt der 66-Jährige, „kann der Tag kommen, dann ist es also okay.“

Okay. Jürgen Henze sagt bewusst nicht gut. Gut ist nichts mehr seit dem 12. August. Seit jenem Tag, an dem sein jüngster Sohn in Rio des Janeiro verunglückt ist. Stefan war Kanutrainer der deutschen Olympiamannschaft, er saß in einem Taxi, das nachts mit hoher Geschwindigkeit gegen einen Lichtmast prallte. Zwei Tage später wurde Stefan Henze für tot erklärt. Er wurde nur 35 Jahr alt.

Karin und Jürgen Henze wollen reden - um die Trauer zu bewältigen

Trauer ist etwas Individuelles. Jeder Mensch sucht seinen eigenen Weg, versucht zu lernen, mit dem Verlust umzugehen. Karin Henze geht anders mit ihrem Schmerz um. Jeden Tag am Grab zu sein, das erträgt die Mutter nicht. Dazu fehlt ihr die Kraft. Aber darüber zu reden, hilft. Deshalb haben sich Karin und Jürgen Henze entschieden, zu reden.

Zu erzählen, wie sie mit dem Tod ihres Sohnes umzugehen lernen. Sie sitzen im Wohnzimmer, ihr älterer Sohn Frank ist dabei. Nebenan ist jener Raum, den Karin Henze Kinderzimmer nennt. Weil dort oft ihre dreijährige Enkelin spielt, die Tochter ihres Sohnes Frank. Und wohl auch, weil auf dem Regal Bilder stehen, die an ihre Kinder erinnern. Stefan ist da zu sehen: als Sportler. Als Trainer. Im Kreise der Familie.

Jeder versucht auf seine Weise, mit den Erlebnissen fertig zu werden

Das Leben der Familie hat sich verändert. Karin Henze hat sich Unterstützung gesucht. Die Gespräche mit einem Psychologen helfen ihr. Frank wiederum redet viel mit seinem Vater, will da sein. Er hat seine Eltern auch bei der schweren Reise an den Unglücksort begleitet. Hat mit Ärzten in dem brasilianischen Krankenhaus und mit den hinzugezogenen deutschen Ärzten geredet. Hat sich mit um die Formalitäten gekümmert. Und auch jetzt, wenn seine Eltern nach Worten suchen oder ihnen das Reden schwerfällt, springt er ein.

Jeder aus der Familie versucht auf seine Weise, mit den schrecklichen Erlebnissen fertig zu werden. „Der Alltag lenkt ab“, sagt Frank Henze. Der Mann, der selbst bei den Olympischen Spielen 2012 in London als Slalomkanute dabei gewesen war, ist Sportkoordinator des Markkleeberger Wildwasserkanals. Die Arbeit nimmt ihn in Anspruch. Ebenso wie die drei Jahre und acht Monate alten Töchter, die er zusammen mit seiner Frau Franziska hat. Gefordert zu sein, hilft, keine Frage. 

Durch die gemeinsame Trauer ist die Familie noch enger zusammengerückt. Über das Passierte öffentlich zu reden, fällt aber allen schwer. Und doch wollen sie es tun. Der Unfall war und ist immer wieder Thema in den Medien, holt sie auf diese Weise ein. Auch deshalb wollen sie sich erstmals selbst öffentlich äußern. Auch zu dem schwierigen Thema Organspende.

Lebensgefährtin gab die Organe von Stefan Henze frei

In Rio hatten sie Stefans Organe freigegeben. Die Entscheidung wurde öffentlich, brachte ihnen großen Respekt ein. Doch es gehörte so viel dazu. Viele Gespräche mit den Ärzten. Die Erkenntnis, dass es keine Rettung mehr für ihren Sohn gab. „Wir haben auch mit seiner Lebensgefährtin Ute telefoniert und uns ihre Zustimmung eingeholt“, erzählt Jürgen Henze. Obgleich sie nicht verheiratet waren, war sie einbezogen bei allen zu treffenden Entscheidungen. Ute hatte viele Jahre in der Nähe von Augsburg mit Stefan zusammengelebt, gehört schließlich zur Familie.

Die Zustimmung zur Transplantation, zu dem Ergebnis sind sie gekommen, war im Sinne von Stefan Henze. Schon als junger Sportler hatte er sich dazu bekannt. Herz, Leber und beide Nieren sind daraufhin vier schwer kranken Menschen in Brasilien transplantiert worden - erfolgreich. „Und das ist gut zu wissen“, sagt die Mutter.

Der Familie war nach ihrer Entscheidung im Krankenhaus in Rio Anonymität zugesichert worden. Ähnlich wie in Deutschland regeln das auch in Brasilien klare gesetzliche Vorgaben. Umso verwunderter waren die Henzes, als die Empfängerin des Herzens wenig später an die Öffentlichkeit ging.

Ärger über die öffentliche Empfängerin von Stefan Henzes Herz

Ivonette Balthazar, eine 68-Jährige Frau, bedankte sich und erklärte, dies auch persönlich bei Stefan Henzes Familie tun zu wollen, sobald es ihr besser ginge. Dass die Herz-Empfängerin große Fortschritte macht, erfuhr die Familie dieser Tage aus der Zeitung. „Das war schon extrem“, bestätigt Jürgen Henze, „die Zeitung aufzuschlagen und urplötzlich wieder damit konfrontiert zu werden.“ Es fühlt sich jedes Mal so an, als zieht man ihnen den Boden unter den Füßen weg.

Die Empfängerin hat tatsächlich eine Mail an Familie Henze geschrieben, das deutsche Konsulat leitete sie weiter. Karin und Jürgen Henze haben das Schreiben bis heute nicht gelesen. „Vielleicht später einmal“, sagt die Mutter mit leiser Stimme. Noch sei sie dazu nicht in der Lage.

Hätten sie sich heute anders entschieden, wäre ihnen die Konsequenz, diese Öffentlichkeit bewusst gewesen? 

Plötzlich in der Öffentlichkeit - eine neue Erfahrung für die Familie Henze

Frank Henze schüttelt den Kopf. Er hat den gleichen Standpunkt, wie ihn sein Bruder Stefan hatte. „Es geht um weitaus mehr als nur um die Schwerkranken, denen in diesem speziellen Fall konkret geholfen werden konnte“, sagt der gelernte Physiotherapeut. Sie haben ja mitbekommen, wie sehr die Spende die Menschen bewegt hat.

„Wenn auch nur einige von denen, die darüber gesprochen haben, nun offen einer Organspende gegenüberstehen, dann ist das doch eine gute Sache.“ Dann hätte die Bekanntheit seines Bruders, der als Weltmeister und Olympiazweiter öffentlich für seine Erfolge gefeiert worden und als junger Trainer anerkannt war, etwas bewirkt.

Der tödliche Unfall hat Stefan Henze zur öffentlichen Person werden lassen. Mehr, als er es als Sportler zuvor war. Für die Familie eine neue Erfahrung. Viele Menschen, so erzählt Frank Henze, hätten ihm und seinen Eltern Respekt gezollt. Briefe seien gekommen, von wildfremden Menschen, erzählt Karin Henze. Das habe sie zutiefst berührt. Denn so durften sie erfahren, dass viele andere auch schwere Schicksale zu tragen haben. „Es gibt aber auch Menschen im Bekanntenkreis, die Berührungsängste haben, nicht wissen, wie sich verhalten sollen“, erzählt die Familie.

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Es wird das erste Weihnachten ohne Stefan Henze

Doch Anteilnahme hilft immer. Auch wenn es Momente gibt, die trotz aller Hilfe von außen und untereinander nur schwer zu ertragen sind. Als das Gespräch auf Weihnachten kommt, ist die Angst zu spüren, die die Familie vor den Feiertagen hat. Es wird das erste Weihnachten ohne Stefan. „Jedes Jahr ist er nach Hause gekommen, hat uns immer besucht“, sagt Jürgen Henze.

Später, so erzählt er, wenn Stefan selbst einmal Kinder haben würde, dann hätten er und seine Frau mit ihm in seinem Zuhause feiern wollen. Diese Gedanken, die geschmiedeten Pläne, die nicht mehr Realität werden, schmerzen.

Die Zeit, so heißt es, heilt alle Wunden. Doch wird es mit der Zeit wirklich leichter? Jürgen Henze zuckt mit den Schultern. Nach vier Monaten vermag er das noch nicht zu hoffen. „Leichter?“, fragt der Vater. „Nein. Höchstens anders.“