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Ab dem 1. Juli verpflichtend Geschlechtertest im Boxen: Fair oder ausgrenzend?

Auch fast ein Jahr nach dem Olympia-Wirbel um Imane Khelif wird das Frauen-Boxen von einer Geschlechter-Debatte begleitet. Ein Gentest soll nun für Klarheit sorgen. Aber ist es so einfach?

Von Jörg Soldwisch, dpa 26.06.2025, 11:05
Ihr Olympia-Start sorgte für viel Wirbel: Imane Khelif
Ihr Olympia-Start sorgte für viel Wirbel: Imane Khelif Mauro Pimentel/AFP/dpa

Berlin - Im Kampf um ihre sportliche Karriere und persönliche Würde stößt Boxerin Imane Khelif nicht nur auf viel Gegenwehr. Sie erfährt auch zahlreiche Unterstützung, hat knapp zwei Millionen Follower auf Instagram. Auch Antonio Rüdiger positioniert sich in der erbittert geführten Geschlechter-Debatte auf Khelifs Seite. „Für Imane!!! Bleib' stark, immer!!“, schrieb der Fußball-Nationalspieler als Botschaft auf seinem Real-Madrid-Trikot als Geschenk an die Olympiasiegerin aus Algerien.

Zuspruch kann Khelif momentan sehr gut gebrauchen. Ihre Box-Karriere ist in akuter Gefahr, nachdem der neue Weltverband World Boxing die Einführung von verpflichtenden Geschlechtertests angekündigt hat. Dies wurde im neuen Regelwerk „Geschlecht, Alter und Gewicht“ festgehalten und sorgte für erneute Aufregung in der emotional ohnehin aufgeladenen Debatte. Das sind die wichtigsten Fragen und Antworten: 

Was bedeutet der Test?

Ab dem 1. Juli darf bei allen Wettbewerben von World Boxing nur teilnehmen, wer mittels eines PCR-Gentests sein biologisches Geschlecht bestimmen lässt. Bedeutet: Wird das männliche Y-Chromosom bei einer Boxerin nachgewiesen, wird sie automatisch für den Frauen-Wettbewerb gesperrt. 

Die final ausgearbeiteten Regularien will der Verband erst am 1. Juli bekanntgeben. „Es kann dann immer noch zu - in Anführungsstrichen - Ungerechtigkeiten kommen. Aber die sind dann am Ende auch nicht mehr zu lösen“, sagte Sportdirektor Michael Müller vom Deutschen Boxsport-Verband der Deutschen Presse-Agentur. Als Europavertreter im Executive Board von World Boxing steht für ihn schon jetzt fest: „Das Thema ist sehr, sehr komplex und eigentlich kaum so lösbar, dass alle Beteiligten damit zufrieden sind.“

Was lief bei der Verkündung schief?

In der offiziellen Mitteilung wurde Khelifs Name ausdrücklich erwähnt - was manche als eine Art Vorwegnahme der Ergebnisse wahrnahmen. Es wurde mitgeteilt, dass die Algerierin nicht zum Eindhoven Box Cup im Juni zugelassen werde und erst wieder starten dürfe, wenn sie sich einem entsprechenden Geschlechtertest unterziehe. World Boxing-Präsident Boris van der Vorst entschuldigte sich in einem Brief an den algerischen Verband, Khelifs Privatsphäre hätte besser geschützt werden müssen.

Warum wird der Test eingeführt?

Offiziell will der Verband damit „die Sicherheit aller Teilnehmer“ gewährleisten und „gleiche Wettbewerbsbedingungen für Männer und Frauen“ schaffen. Doch es ist auch eine Lehre von Olympia in Paris. Dort durften Khelif und Lin Yu-ting aus Taiwan antreten, obwohl sie zuvor vom Weltverband Iba, der vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) nicht mehr anerkannt wird, nach nicht näher erklärten Geschlechtertests ausgeschlossen waren. 

Das IOC argumentierte, beide seien als Frau in ihren Pässen geführt und hätten in ihrer gesamten Karriere an Frauen-Wettbewerben teilgenommen. Unter den Konkurrentinnen machte sich jedoch Unmut breit, zumal die späteren Olympiasiegerinnen anscheinend körperliche Vorteile besaßen. Es entbrannte auch eine gesellschaftspolitische Debatte, in die sich unter anderem der heutige US-Präsident Donald Trump und Harry-Potter-Autorin J.K. Rowling einmischten.

Warum hängt an der Sache auch die olympische Zukunft des Boxens?

Eine solche Diskussion wie in Paris, die auf dem Rücken der Athletinnen ausgetragen wurde, soll mit Blick auf Olympia 2028 in Los Angeles unbedingt vermieden werden. Zumal Trump, der im vergangenen November ein Dekret zum Ausschluss von Transpersonen im Frauensport unterschrieb, dann noch immer US-Präsident ist. 

Das IOC will die Hauptverantwortung für die Organisation der Box-Wettbewerbe an den Verband World Boxing abtreten. Nach wie vor kämpft das Boxen gegen ein Olympia-Aus. Der Geschlechtertest könnte auf Zustimmung bei der neuen IOC-Präsidentin Kirsty Coventry stoßen. Die Nachfolgerin von Thomas Bach sagte zuletzt zu dem Thema, sie wolle den Frauen-Wettbewerb und die weiblichen Athleten schützen. 

Wie sind die Reaktionen?

Von Khelif selbst ist noch keine direkte Reaktion überliefert. Sie betrachtet sich selbst als Frau und nicht als Transgender. Die Veranstalter des Box-Turniers in Eindhoven, bei dem die Weltergewichtlerin nicht starten durfte, bedauerten die Entscheidung. Auch Eindhovens Bürgermeister Jeroen Dijsselbloem kritisierte, dass Athleten „auf der Basis umstrittener Geschlechtertests“ ausgeschlossen würden.

Experten weisen zudem darauf hin, dass das bloße Vorhandensein eines Y-Chromosoms nicht automatisch einen höheren Testosteronspiegel und damit ein erhöhtes Leistungsvermögen mit sich bringt. 

Profiboxerin Nina Meinke hält die Maßnahmen jedoch für „genau richtig“. Die IBF-Weltmeisterin sagte im „Tagesspiegel“: „Jeder soll so leben, wie er oder sie sich fühlt. Aber im Kampfsport kann es gefährlich werden. Im schlimmsten Fall wird die Gesundheit der Sportlerinnen gefährdet, wenn jemand antritt, der deutlich stärker ist und körperliche Vorteile hat.“

Wie ist es in anderen Sportarten geregelt?

Die Weltverbände sind generell in der Verantwortung. In der Leichtathletik genehmigte World Athletics kürzlich die Einführung von Wangenabstrichen und Trockenblutproben für Sportlerinnen, um „die Integrität des Wettkampfs zu schützen“. Wer im Frauen-Wettbewerb starten will, muss sich einem einmaligen Gentest unterziehen.

Die südafrikanische Mittelstreckenläuferin Caster Semenya weigert sich, ihren erhöhten Testosteronwert mittels Medikamente zu senken und darf deswegen nicht mehr auf ihrer Paradestrecke über 800 Meter starten. 

Bei World Aquatics werden seit 2022 Transgender-Schwimmerinnen abgesehen von einigen Ausnahmen von Wettbewerben ausgeschlossen. Auslöser war ein Sieg der Amerikanerin Lia Thomas bei College-Meisterschaften. Der Versuch, eine „offenen Kategorie“ beim Schwimm-Weltcup in Berlin im Oktober 2023 zu etablieren, misslang: Es gab keinerlei Anmeldungen.

Imane Khelif (r) boxte sich in Paris zu Olympiagold.
Imane Khelif (r) boxte sich in Paris zu Olympiagold.
John Locher/AP