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Formel 1 Der nette Lando Norris: Weltmeister „ohne Killer-Instinkt“?

Er muss nicht mal mehr ein Rennen gewinnen, um am Ende zu triumphieren. Lando Norris ist auf dem Weg zu seinem ersten WM-Titel. Aber wie tickt der Brite? Anders als der Titelverteidiger.

Von Jens Marx und Maximilian Haupt, dpa Aktualisiert: 20.11.2025, 10:00
Freundlich, offen und ohne die Gnadenlosigkeit vieler Konkurrenten: Norris (Mitte) ist anders als viele Formel-1-Piloten.
Freundlich, offen und ohne die Gnadenlosigkeit vieler Konkurrenten: Norris (Mitte) ist anders als viele Formel-1-Piloten. Maximilian Haupt/dpa

Las Vegas - Lando Norris hat das Zeug zum netten Formel-1-Weltmeister von nebenan. Der 26 Jahre alte Brite steuert seinem ersten Fahrer-Triumph in der Motorsport-Königsklasse entgegen - er macht es auf seine Weise und anders als viele der bisher insgesamt 34 Titelträger seit 1950. 

„Ich möchte einfach mein Leben genießen. Das ist eine Einstellung, die vielleicht nicht unbedingt mit Killer-Instinkt gleichzusetzen ist“, sagte Norris einmal in einem Interview dem „Guardian“ und ergänzte: „Ich glaube einfach nicht, dass man diesen haben muss, um Weltmeister zu werden.“ Er ist auf dem besten Weg, dies zu beweisen. 

24 Punkte Vorsprung hat Norris vor dem Rennwochenende in Las Vegas auf seinen McLaren-Teamkollegen Oscar Piastri, 49 sind es auf Max Verstappen. Weltmeister kann Norris - in seinem 150. Formel-1-Rennen - in der Stadt der Sünde noch nicht werden, bisher lag der Kurs dem McLaren auch nicht besonders gut.

Mehr als Platz sechs für Norris und sieben für Piastri waren im vergangenen Jahr nicht drin beim Sieg von Mercedes-Pilot George Russell. Verstappen, Sieger beim Las-Vegas-Comeback im Jahr zuvor, hatte Rang fünf gereicht, um sich vorzeitig und zum vierten Mal zum Weltmeister zu krönen. Diesmal droht der Niederländer an gleicher Stelle entthront zu werden und danach rechnerisch keine Chancen mehr auf Titel Nummer fünf in Serie zu haben. 

Charakter-Studie für Champions - von gestern?

Auf der Strecke ist und bleibt der 28 Jahre alte Niederländer aber der personifizierte Killerinstinkt. Getrimmt durch Vater Jos in jungen Jahren und bewiesen auch zuletzt wieder bei seiner unglaublichen Aufholjagd mit dem Start aus der Boxengasse und einem Platten zwischendurch bis auf Platz drei in Brasilien.

Diese Gnadenlosigkeit hat Verstappen mit vielen erfolgreichen Formel-1-Piloten gemein. Erst recht mit denen, die mehr als einmal am Ende einer Saison ganz oben standen. Kompromiss- bis ruchlos, besessen, vom Willen getrieben, alles dem Erfolg unterzuordnen. Auch sie hatten Schwächen - sie zuzugeben, stand nicht auf ihrer To-do-Liste für Champions. 

Norris, dessen Vater Adam mit Rentenversicherungen ein Vermögen machte und mittlerweile ein E-Scooter-Unternehmen hat, fährt in der Hinsicht den Anti-Kurs. Er erzählte in der vergangenen Saison offen von seiner Nervosität an den Renntagen. Kaum essen oder trinken könne er dann. 

Dass er sich 2024 im WM-Duell mit Verstappen dann auch Fehler leistete, veranlasste Red Bulls Motorsportberater Helmut Marko zu einer Aussage („Norris hat eine Startschwäche, außerdem ist er nicht der Stärkste im Kopf“), für die sich der 82 Jahre alte Österreicher später entschuldigte. 

Norris als „eine Art Botschafter für mentale Gesundheit“

Auch, weil wiederum McLarens Geschäftsführer Zak Brown entsprechend entrüstet reagiert hatte. „Lando ist eine Art Botschafter für mentale Gesundheit“, hatte der 54 Jahre alte Amerikaner betont. Auch Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff sprach schon mehr als einmal über die mentalen Herausforderungen und Kämpfe in seiner Karriere und dem Leben in der Formel 1. Offen erzählte der 53 Jahre alte Marko-Landsmann auch, dass er schon mehrere hundert Therapiestunden hatte. 

Schwächen und Fehler sind menschlich, sie offen anzusprechen - und das auch noch als Fahrer - war in der Formel 1 eher tabu. Im knallharten Kampf um Titel, Ruhm und Ehre und vor allem viel, viel Geld, bietet jedes Eingeständnis auch weitere Angriffsfläche. Psychospielchen sind die Rad-an-Rad-Duelle im Kopf.

Wie Verstappen seine Kritiker kontert: Dreht die Lautstärke runter

Als Verstappen mal nach einer Qualifikation in Silverstone ausgebuht wurde, entgegnete der Niederländer nur lapidar: „Das Einzige, das schade war: Ich konnte den Interviewer nicht so gut verstehen.“ Kritikern, die sich an seinem Boxenfunk störten, riet er mal, einfach die Lautstärke runterzudrehen. „Das ist mir egal“, ist ein Satz, den Verstappen gern verwendet, wenn es um den Eindruck Außenstehender geht. 

Bei Norris klingt das anders. „Es ist mir wichtig, wie die Leute mich sehen“, sagte er jüngst erst, nachdem es sowohl nach seinem Sieg in Mexiko-Stadt als auch in São Paulo Buhrufe und Pfiffe bei der Siegerehrung gegeben hatte. „Das ist nicht gerade angenehm“, sagte der danach: „Aber ich denke, dass ich das in den letzten Monaten gut gemeistert habe.“

Norris 2.0 scheint reif für den Titel

Was nicht heißt, dass er auf einmal den harten Kerl spielt und sich auch verbal in die Kampfzone begibt. Er ignoriere einfach alle, die schlecht über ihn reden würden, erklärte er stattdessen. 

„Noch vor drei Monaten hätte eine Vielzahl von Hatern einen negativen Einfluss auf Lando Norris und seine Leistung gehabt. Wir alle möchten geliebt werden, nicht wahr? Norris jedenfalls schon“, schrieb nach dem Brasilien-Rennen der „Independent“ aus Norris' Heimat England. „Nun hat er jedoch ein Rückgrat aus Stahl entwickelt: Norris 2.0 schert sich keinen Deut darum.“