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Management-Experte im Interview Management-Experte im Interview: "RB ist zu schnell nach oben gekommen"

Von Ullrich Kroemer 16.08.2017, 09:43

Leipzig - Eine von Leipziger Wissenschaftlern um Prof. Henning Zülch veröffentlichte Studie bezüglich der Management-Qualitäten weist für RB Leipzig erhebliche Mängel aus. Eine durchaus überraschende Aussage, gilt der Vizemeister doch gemeinhin als moderner und professionell geführter Klub.

Im Interview spricht Zülch über seine Studie und erklärt, warum die Vereine nicht nur sportliche, sondern auch wirtschaftliche Kompetenz brauchen und warum sich die Bundesliga ingesamt verbessern muss, um international nicht abgehängt zu werden.

Herr Prof. Zülch, die Bundesligisten genießen den Ruf, gut geführte Klubs in einer solide aufgestellten Liga zu sein. Wieso sind Sie in Ihrer Studie zu der Auffassung gelangt, dass in puncto Management fast alle Vereine im internationalen Vergleich reichlich Nachholbedarf haben?
Prof. Henning Zülch: Bundesliga-Klubs sind Unternehmen. Je besser sie ihr Geschäftsmodell im Griff haben, desto erfolgreicher und profitabler können sie arbeiten und etwa das Geld für  millionenschwere Transfers generieren. Es geht darum, die entscheidenden unternehmerischen Stellschrauben zu erkennen.

Welche?
Schauen Sie in den englischen Fußball: Manchester United hat in den vergangenen vier Jahren weder in der Liga, noch in der Champions League – abgesehen von dem doch unverhofften Gewinn der Europa League 2017 - etwas erreicht, ist aber immer noch eines der wertvollsten Fußballunternehmen der Welt. Natürlich sind auf der Insel große Unternehmensgruppen am Werk, aber sie investieren nicht nur viel Geld, sondern führen die Klubs als profitable Unternehmen. Die Engländer haben es geschafft, ihr Geschäftsmodell mit allen Vor- und Nachteilen zu optimieren.

Die „Balanced Scorecard“ ist ein traditionelles Instrument der BWL zur Messung und Steuerung von Unternehmensaktivitäten, erklärt Prof. Zülch. Die vier Dimensionen dieses Konstruktes wurden auf das Management von Fußballklubs übertragen, um die Vereine aus sportlicher und finanzieller Perspektive sowie Kunden-, also Fanperspektive, und hinsichtlich der Unternehmensführung zu beurteilen.

Jeder Bereich hat drei Unterkategorien, die mit bis zu zwölf Indikatoren – KPIs – erfasst und auf der Basis von Expertengesprächen gewichtet wurden. Die gesammelten Daten wurden auf Basis der „Balanced Scorecard“ in einem komplexen System kausal zusammengeführt. So kommen sehr detaillierte Aussagen über die Managementqualitäten der Klubs zustande.

Die Studie ist abrufbar unter www.hhl.de/foma-study

Und in der Bundesliga?
Es gibt in der Bundesliga nur zwei wirklich international aufgestellte Klubs: Bayern aufgrund der Erfolgstradition und Dortmund aufgrund der Börsennotierung. Die anderen dümpeln vor sich hin. Werder Bremen beispielsweise war 2004 und 2005 auf dem Zenit, hat es aber nicht geschafft, das zu konservieren. Heute ist Werder ein Abstiegskandidat – weil die Unternehmensstrukturen nicht passen. Die Klubs müssen begreifen, dass sie in ihr Geschäftsmodell investieren müssen, das heißt Strukturen schaffen, die jeden einzelnen Klub personell und organisatorisch wettbewerbsfähig machen.

Bedarf es eines Umdenkens der Vereine?
Die deutschen Tugenden mit dem Vereinsrecht und der Nationalmannschaft im Hintergrund müssen mit besseren Geschäftsmodellen gepaart werden. Diesbezüglich haben wir noch eine Drei-Klassen-Gesellschaft in der Bundesliga. Das ist für den Wettbewerb in der Liga insgesamt problematisch.

Was empfehlen Sie konkret?
Die Vereine müssen ihr Management weiter professionalisieren. Wir brauchen mehr verantwortliche Personen, die sich nicht nur im sportlichen Bereich zuhause fühlen, sondern auch das wirtschaftliche Geschäft verstehen. Beide Bereiche müssen innerhalb der Klubs viel stärker miteinander verzahnt werden. Das ist ähnlich wie bei einem Ingenieur, der in der Konstruktion arbeitet und ein tolles Produkt entwickelt, das aber gar nicht profitabel werden kann, weil er zu wenig Einblick in die finanzielle und wirtschaftliche Machbarkeit hat. Da müssen die Klubs eine gemeinsame Sprache auf allen Ebenen lernen.

Welche Befürchtungen haben Sie mit Blick auf die aufholenden Ligen in Italien oder Frankreich?
Nehmen wir den Neymar-Transfer. 222 Millionen Euro sind eine unglaubliche Summe, die der Ligue 1 aber kurzfristig einen immensen Imageschub bringt. Man interessiert sich wieder für eine vor Jahren noch eher nachrangige Liga. Auch in Italien werden die alten Riesen, wie der AC Mailand, wiederbelebt. Juve spielt ja schon länger wieder ganz oben mit. Im Uefa-Ranking werden diese Länder in den nächsten Jahren massiv aufholen. Gleichzeitig hat die Bundesliga nur zwei oder drei große Player, die mithalten können. Das ist zu wenig. Es muss also etwas passieren.

Sie bewerten den Neymar-Transfer – finanziert mit Katar-Millionen – also als positiv?
Zumindest kurzfristig bedeutet das einen gewaltigen Schub für die Ligue 1. Der Neymar-Transfer ist Ausdruck einer Hyperinflation, sorgt also für eine komplette Entwertung des bisherigen Systems. Die Folge ist eine Überhitzung des Marktes, wodurch jedoch auch ein Professionalisierungs- und Motivationsschub in Frankreich und ganz Fußball-Europa hervorgerufen werden wird. Mittelfristig jedoch werden nicht fremdalimentierte, sondern gesunde Unternehmen gestärkt aus dieser Inflation hervorgehen. Doch dazu müssen beispielsweise die Bundesligisten jetzt tätig werden.

Was also wäre die richtige Antwort der Bundesligisten?
Die Bundesliga ist zu Recht noch immer die solideste Liga der Welt. Damit das so bleibt, muss sie ihre Systemvorteile nur ausspielen. Diese liegen darin, die Professionalisierung aller Klubs in den Bereichen Sport, Finanzen, Fans und Führungsstrukturen weiter voranzutreiben. Nicht die potenten Einzelinvestoren machen den langfristigen Erfolg einer Liga aus, vielmehr ist es das Geschäftsmodell Profifußball, welches nachhaltig zu entwickeln ist. Hier müssen wir ansetzen, um einen starken Wettbewerb in der Bundesliga zu generieren, der sich auch international auszahlt. Das schließt übrigens Tradition nicht aus.

Inwiefern?
Tradition kann ohne gesunde finanzielle Basis nicht existieren. Aber auch die beste finanzielle Basis ersetzt keine gewachsene Tradition. Beide Faktoren sind Erfolgsfaktoren, die Herzkammern eines Fußballklubs, die zusammengeführt werden müssen. Den Traditionsverein als solchen gibt es doch gar nicht mehr. Selbst der FC St. Pauli ist ein hochkommerzieller Klub.

In welchen Bereichen können auch die Spitzenklubs Bayern und Dortmund noch zulegen?
Beide konzentrieren sich rein auf sportlichen Erfolg, Markenpflege und Internationalisierung. Andere Bereiche wie etwa Social Responsibility – soziale und gesellschaftliche Verantwortung – sind ausbaufähig. Das muss besser in Einklang miteinander gebracht werden, um in allen Bereichen hervorragend aufgestellt zu sein.

RB Leipzig belegt insgesamt nur einen Abstiegsplatz. Welche Management-Qualitäten fehlen bei RB?
Zunächst muss festgestellt werden, dass Leipzig als Neuling in der Liga einen unerwartet positiven Weg genommen hat. Für die ersten Plätze in der Bundesliga reicht aber nicht nur die Optimierung des sportlichen Bereichs. Alle Facetten eines Sportunternehmens müssen gleichermaßen professionalisiert werden. Ich bin mir sicher, dass RB in den nächsten Jahren sukzessive in unserem Ranking nach oben wandern wird, wenn man aus der Wachstumsphase in stabile Unternehmensstrukturen finden wird und sich am Markt als wesentlicher Bestandteil der Bundesliga etabliert hat. Es dauert halt und braucht die richtigen Personen an den richtigen Stellen.

Bei der Transparenz vergeben Sie zum Beispiel null Prozent für Leipzig. Wie kommt das zustande?
Diese Kategorie beschäftigt sich mit den öffentlich zugänglichen Daten des Klubs, wie zu aktuellen Geschäftsberichten, zu Führungs- und Überwachungsstrukturen etc. Darüber zeigt RB im Vergleich zu seinen Wettbewerbern so gut wie gar nichts. Aber die Öffentlichkeit hat hieran – wie bei jedem anderen Unternehmen – ein berechtigtes Interesse.

Was ist Ihre Empfehlung an RB Leipzig?
RB Leipzig sollte vor allem proaktiv die Transparenzdefizite ausräumen. Man könnte mit einfachen Mitteln der Unternehmenskommunikation Informationen u.a. über Unternehmensstrukturen streuen, die vielen Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen würden. Diese Proaktivität hilft. In der Finanzkommunikation gilt etwa: Schlechte Unternehmen berichten meist wenig, gute Unternehmen berichten ausführlich und freiwillig mehr als sie müssen.

Was noch?
Unsere Untersuchungen zeigen – und das nicht überraschend –, dass RB seine Marke bzw. seinen „Brand“ noch nicht so am Markt etabliert hat, wie es sein sollte. Hier gibt es verständlicherweise noch einiges zu tun. Erst langsam bildet sich heraus, wofür der Klub im Konzert der anderen Vereine stehen könnte. Da sich RB zudem noch in einer Wachstumsphase befindet, sind Kriterien wie Profitabilität eher als unterdurchschnittlich zu bewerten. Überdies liegt im Bereich der Fanwohlmaximierung, wie wir es genannt haben, noch Nachholbedarf. Hier geht es vor allem um Dinge wie Zuschauerzufriedenheit, die unmittelbare Kommunikation mit den Fans, aber auch die soziale Verantwortung des Vereins für den Fußball und sein Umfeld.

Ist der aktuelle Entwicklungsstand für einen erst acht Jahre alten Verein nicht völlig normal?
Wir haben eine Erwartungslücke. Im sportlichen Bereich ist RB solide aufgestellt, aber alle anderen Bereiche sind nicht in dem Maße mitgewachsen. Rasenballsport ist zu schnell nach oben gekommen und war auf das, was in der vergangenen Saison in der ersten Liga passiert ist, nicht vorbereitet. Wir können nun mit der Studie Anhaltspunkte für den Verein liefern, was beispielsweise kritische Erfolgsfaktoren sind. RB will sich ja auch, was das Management angeht, in Richtung FC Bayern orientieren. Wollen sie also nachdrücklich in solche Sphären vordringen, müssen einige Stellschrauben ganz massiv und bewusst verändert werden. Das geht nicht nur über die Zeit und die normale Entwicklung.

Halten Sie den Verein hinsichtlich Personal und Infrastruktur gut aufgestellt?
Um das einmal klarzustellen: Der Klub ist grundsätzlich gut aufgestellt, sonst wäre er nicht da, wo er ist. Aber: RB Leipzig will ein jung-dynamischer Klub sein, und daran müssen sich die Verantwortlichen messen lassen: Schaffen es wirklich Talente aus der eigenen Jugend bis ganz nach oben, weil die Nachwuchsarbeit tatsächlich das Herz des Vereins ist? Wie geht der Klub mit der Community, den Fans und auch seinem unmittelbaren Umfeld um? Will ein Klub an die Spitze, dann muss er auch in diesen Bereichen Vorbild sein. Denn je höher man steigt, umso gnadenloser wird die Leistungsbeurteilung auf allen Ebenen. Transparenz, Gelassenheit und Offenheit können hier vielfach ein erfolgreicher Ratgeber sein. Da gilt es, künftig anzusetzen.

(mz)