Interview mit Fanbeauftragten Interview mit Fanbeauftragten: Warum St. Paulis Fans RB Leipzig nicht boykottieren

Leipzig - Herr Peltzer, weshalb verweigern ausgerechnet die Fans des FC St. Pauli den allgemeinen Trend zum Boykott von Spielen von RB Leipzig?
Justus Peltzer: Unter den Fans des FC St. Pauli war es die einhellige Meinung, dass Red Bull Geld eh nicht interessiert und der Verein auf die Einnahmen der Auswärtsfans sowieso nicht angewiesen ist. Also fahren wir nach Leipzig, um unser Team zu unterstützen; auch um zu zeigen, wie Fußball anders funktionieren kann und bei St. Pauli seit Jahrzehnten anders funktioniert, was auch gerade bei der Jahreshauptversammlung des Vereins bestätigt wurde: (basis-)demokratisch, nicht von großen Geldgebern abhängig.
Wie wurde unter den Fans diskutiert, ob das Spiel boykottiert wird oder nicht?
Peltzer: Seitdem klar war, dass wir gegen RB Leipzig spielen und dass andere Fangruppen boykottieren, wurde das immer mal wieder besprochen. Da hat sich in diversen Gesprächen herauskristallisiert, dass ein Boykott nicht der geeignete Weg für die St.-Pauli-Fans ist. Es gibt schon ein paar Leute, die nicht nach Leipzig fahren, aber die sind klar in der Minderheit.
Wie viele St. Paulianer werden in Leipzig erwartet?
Peltzer: Die 4300 Karten, die uns als Gastverein zur Verfügung stehen, waren recht schnell ausverkauft. Wir haben zwar immer viele Auswärtsfans, aber so einen großen Gästeblock füllen wir sonst auch nicht so schnell. So haben wir nachgefragt, ob RB uns mehr Karten zur Verfügung stellt. Aber der Gästeblock ist ausverkauft. Wie viele St.-Pauli-Fans sich daraufhin Karten für die Heim-Blöcke Karten gekauft haben, wissen wir natürlich nicht. Das war auch Thema bei der Sicherheitsbesprechung in Leipzig, aber das können auch die Kollegen in Leipzig nicht beantworten.
Wollen sich die St.-Pauli-Fans bewusst von dem Boykott-Mainstream distanzieren?
Peltzer: Auch das ist ein Grund, weil wir es nicht so machen wollen, wie alle anderen. Es ist ja auch ein wenig seltsam, dass plötzlich alle boykottieren. Das scheint ein Muss geworden zu sein. Im vergangenen Jahr war RB Leipzig ja bereits der gleiche Verein mit dem gleichen Geld, und da sind noch alle Fans gekommen. Wir machen das eben anders, haben Bock auf das Spiel in Leipzig. Mit unserer ersten Mannschaft waren die St.-Pauli-Fans ja bislang auch noch nicht im Leipziger Stadion.
Was halten die St.-Pauli-Fans von der Kampagne nein-zu-rb.de?
Peltzer: Hier wird das nicht unterstützt, eher ein wenig kritisch beäugt. Man muss schauen, wo die Vereine der an der Kampagne beteiligten Fanklubs ihr Geld her bekommen. Wenn die Fans von Ingolstadt beim Gastspiel auf St. Pauli das Anti-RB-Protestbanner hochhalten, mutet das schon seltsam an, da Ingolstadt auch ganz schön am Tropf seines Hauptsponsors Audi hängt. Wo ist da die Grenze? Wo fängt Kommerz an, wo hört er auf? Das wird hier in der Pauli-Fanszene sehr heterogen betrachtet. Einige sagen, dass es RB nur auf die Spitze treibt und konsequent weiterdenkt, wie alle anderen Vereine im Kapitalismus auch funktionieren. Andere lehnen RB vor allem auch wegen der Tauschgeschäfte zwischen Leipzig und Salzburg konsequent ab.
Wie wird denn der Protest der St.-Pauli-Fans in Leipzig aussehen?
Peltzer: Ultrà St. Pauli (USP) haben eine Mottofahrt organisiert: Jeder Fan soll sein ältestes Trikot von St. Pauli anziehen, um die Geschichte und Tradition zu dokumentieren, die dieser Klub mit seinen Fans hat. Ich bin gespannt, wie das bei dem Wetter umgesetzt wird.
Wird es Spruchbänder oder Choreografien geben, die sich mit RB Leipzig beschäftigen?
Peltzer: Nein, angemeldet sind nur die normalen Fanutensilien, die in Leipzig nur sehr begrenzt genehmigt werden. Da wird viel verboten, wenig erlaubt. Nicht nur Protest gegen RB wird verboten, auch große Fahnen etc. Es gibt da sehr rigide Vorschriften. Deswegen wird es auch keine Choreografie der St.-Pauli-Fans geben, das wäre viel zu umständlich gewesen.
Sind die scharfen Einlasskontrollen in Leipzig das bestimmende Thema bei den St. Pauli-Fans?
Peltzer: Das ist sicher das größte Thema. Unsere Fans fragen sich: Muss ich mein T-Shirt ausziehen, wenn sich die Aufschriften gegen RB, DFL, DFB oder Polizei richten? Das ist in Leipzig alles verboten. Das handhaben wir bei St. Pauli ganz anders. Hier steht die freie Meinungsäußerung – natürlich im Rahmen der Stadionordnung – über allem. Der Leipziger Ordnungsdienst hat da nicht den besten Ruf. Wir schauen auch genau hin, wer da so am Gästeeingang steht und wie kontrolliert wird. Ich habe auch schon bei der Sicherheitsbesprechung ganz klar gesagt, dass wir bezüglich der Einlasskontrollen Konfliktpotenzial sehen, auch um den Leipziger Ordnungsdienst zu sensibilisieren, dass es zu keinen negativen Vorfällen kommt.
Was wünschen Sie sich für die Auswärtsfahrt nach Leipzig?
Peltzer: Zunächst hoffen wir natürlich auf einen Sieg, da wir aus dem Tabellenkeller raus kommen müssen. Und dann hoffen wir, dass wir Fans einen Teil dazu beitragen und einen geschlossenen, guten Auftritt hinlegen, der die Mannschaft nach vorn bringt. Es gibt auch große St.-Pauli-Fanklubs in Leipzig und Dresden. Dazu haben wir Kontakte zum Roten Stern Leipzig. Uns werden auch viele Fans aus der Region unterstützen.
(mz)