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DDR-Eislaufikone wird 90 Jahre Jutta Müller: DDR-Erfolgstrainerin feiert 90. Geburtstag

Von Julius Lukas 13.12.2018, 11:36

Chemnitz - Manchmal kam es vor, dass Jutta Müller für ihre Schützlinge einkaufen ging. Dann machte sich die Weltklasse-Trainerin auf den Weg und holte für die hungrigen Eisläufer etwas zu essen. Oft kochte sie die Mahlzeiten auch gleich selbst - schon allein, um darauf zu achten, was auf den Tisch kam. 

„Wenn wir unterwegs waren, hat sie sich sehr rührend um ihre Sportler gekümmert“, sagt Katharina Witt, die von Jutta Müller mit neun Jahren entdeckt und von ihr zur Doppel-Olympiasiegerin gemacht wurde. „Auch wenn sie immer aufgepasst hat, dass man nicht zu viel Eis und Schokolade aß.“

Jutta Müller hat sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen

Jutta Müller, die am Donnerstag 90 Jahre alt wird, beschrieb das Verhältnis zu ihren Eisläufern einmal so: „Ich habe viel verlangt, aber auch viel gegeben.“ In den Berichten über die kleine, zierliche Frau wird jedoch oft nur das Verlangen und weniger das Geben betont.

Hart, härter, Jutta Müller - dieser Dreiklang steht über der Karriere der Trainerin aus Chemnitz, die seit einigen Jahren kaum noch in die Öffentlichkeit geht. Dabei trifft es wohl eine andere Aussage genauer: Jutta Müller war hart wie Eis, aber keinesfalls so kalt.

Trotzdem wurde die Frage nach ihrer gnadenlosen Art immer wieder gestellt. 2008, als sie noch jede Woche auf und neben dem Eis stand, um Nachwuchssportler zu trainieren, sagte die Chemnitzerin der MZ: „Ohne Härte geht es nicht im Spitzensport, und meine Sportler haben mir ja im Nachhinein Recht gegeben. Ich habe mich nie auf Siegen ausgeruht, es ging immer gleich weiter.“

57 internationale Medaillen holte Jutta Müller mit ihren Schützlingen

Viel verlangen, nie zufrieden sein - diese Einstellung prägte das Bild von Jutta Müller. Es war aber auch diese Einstellung, die sie zur erfolgreichsten Eiskunstlauftrainerin aller Zeiten machte. 57 Medaillen bei Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften erliefen ihre Zöglinge.

Dabei war das Amt als Trainerin für Jutta Müller weniger Wunsch, sondern viel mehr Berufung -  im wahrsten Sinne des Wortes. 1955 wurde ihr der Posten zugeteilt, weil Trainer fehlten. Müller, die selbst Eisläuferin war, musste an den Rand der Schlittschuhbahn wechseln.

Die Akrobatik war schon zuvor in ihrem Leben verankert. Mit drei Jahren kam Jutta Müller, die die 1928 in Chemnitz geboren wurde, zum Ballett. Ihre Kindheit und Jugend war vom Krieg geprägt. Als der vorbei war, zog sie mit einer Sportwerbegruppe über die Dörfer.

Jutta Müller wurde 1949 DDR-Landesmeisterin im Paarlauf - mit einer Frau an ihrer Seite

Erst war sie Rollschuhfahrerin und trat mit einer Schleudernummer auf. Dann wechselte sie die Schuhe - und den Untergrund. Im Paar-Eislauf wurde sie 1949 DDR-Landesmeisterin - mit einer Frau an ihrer Seite, weil es nach dem Krieg an Männern fehlte.

Schnell wurde jedoch klar, dass Müller von der internationalen Spitze zu weit entfernt war. Und in der DDR hatte man ohnehin andere Pläne. Der Sport sollte aufgebaut werden, um den Ruhm des jungen Staates zu mehren. Jutta Müller musste dabei helfen - und das tat sie auch.

Bereits 1946, im Gründungsjahr der SED, war sie in die Partei eingetreten. Sie galt immer als linientreu. Obwohl andere Eislaufnationen sie mit Kusshand genommen hätten und sie viele Chancen hatte, auf Wettkampfreisen der DDR den Rücken zu kehren, blieb sie. „Ich hatte eine Aufgabe. Ich wusste, dass ich gebraucht werde“, sagte Müller vor zehn Jahren der MZ.

Jutta Müller war früh in der SED und galt als linientreu

Ihre erste Meisterschülerin wird ihre eigene Tochter: Gabriele Seyfert. Deren Vater verließ die Familie kurz nach ihrer Geburt. Jutta Müller heiratet anschließend den Fußballer Bringfried Müller, der 2016 starb.

Im Video: Jutta Müller und Katarina Witt im „Aktuellen Sportstudio“

Die ersten Jahre auf dem Eis sind von der politischen Auseinandersetzung zwischen Ost und West geprägt. Noch 1964, bei der WM in Dortmund, muss Jutta Müller mit ihrem Team abreisen, weil sie als Mannschaft aus der „Ostzone“ angekündigt werden.

1966 gelingt dann der Durchbruch. Gaby Seyfert gewinnt Silber bei Europa- und Weltmeisterschaft. Ein Medaillenreigen startet, der erst ein Vierteljahrhundert später wieder enden wird.

Ihr Markenzeichen war der Ozelot-Pelzmantel

Auch im Westen finden man Gefallen an der Mutter-Tochter-Kombination aus dem „verlorenen Teil der Nation“, wie die Bild-Zeitung schreibt. Die glamouröse Gaby und ihre immer schick gekleidete Mutter, zu deren Markenzeichen der Ozelot-Pelzmantel wird - das wirkt im Fernsehzeitalter.

Doch die Erfolge von Jutta Müller, die sich nach Gaby Seifert mit Jan Hoffmann und Anett Pötzsch fortsetzen, erzeugen ebenso gegenteilige Reaktionen. Der Kalte Krieg findet auch im Sport statt. Und während Jutta Müller in der DDR die „Eislaufikone der Nation“ ist, wird sie im Westen zur empathielosen Einpeitscherin aus dem Ostblock gemacht.

Ihr selbst allerdings, so sagt Müller es später, sei das egal gewesen. Das Drumherum, der Eislauf-Zirkus - darum ging es ihr nie. Der Sport war ihr wichtig und dort gab sie in der Weltspitze den Takt vor.

Mit der Wende endete Jutta Müllers Karriere

Ihr Erfolgsrezept war neben der Härte zu sich und ihren Schülern auch die Weiterentwicklung des Sports. Technisch, körperlich und künstlerisch setzten ihre Schützlinge Maßstäbe.

Im Video: Katarina Witt bei den Olympischen Spielen 1984

Bei Olympia 1988 kam das alles im unvergesslichen „Carmen“-Interpretation von Katarina Witt zusammen. Mit dem „Schönsten Gesicht des Sozialismus“ gewinnt Jutta Müller ihren letzten großen Titel.  Bis heute sind ihre Schüler ihr - trotz der Härte - dankbar. „Ohne sie hätte ich nie diese Weltkarriere erreicht“, sagt Witt.

Doch mit der Wende endet auch Jutta Müllers Karriere. Im bundesdeutschen Sport ist die Expertise der hochdekorierten Trainerin, die 1980 den Vaterländischen Verdienstorden bekam, nicht mehr gefragt. Doch die Trainerin wirkte darüber - zumindest nach außen - nie erbost.

Sie kümmerte sich fortan um den Nachwuchs, stand jede Woche auf und neben dem Eis - so wie sie es immer getan hatte. Nur ab und an haderte sie damit, dass die Tradition in Chemnitz so schnell ausradiert wurde: „Bei uns waren die Trainingsbedingungen und das ganze Umfeld super. Dieses Kollektiv begann im Elternhaus und in der Schule. Da gab es kein Ziehen in irgendwelche Richtungen, da gab es Gemeinsamkeit.“ (mz)