Interview mit Skispringer Severin Freund Interview mit Skispringer Severin Freund: "Ich bin nicht der Top-Favorit das ist so"

Herr Freund, in der vergangenen Skisprung-Saison haben Sie das letzte Drittel dominiert. Sie wurden Weltmeister von der Großschanze, gewannen in einer Phase danach mal vier Springen in Folge und am Ende auch noch den Gesamt-Weltcup. Damals konnten Sie zur Schanze gehen – und es war klar, dass Sie zumindest auf dem Podium landen. Was war das für ein Gefühl?
Das ist der Traumzustand. Das ist das, wonach man die ganze Zeit eines Sportlerlebens sucht. Ein großes Glücksgefühl. Du weißt in dem Moment, dass du nichts mehr falsch machen kannst. Da ging mir alles leicht von der Hand – und es ist der Augenblick, in dem man Titel gewinnt. Ich empfinde es jetzt durchaus als eine schöne Freiheit, dass ich viele Karriere-Ziele schon erreicht habe. Das macht zufrieden, aber auch Lust auf mehr. Ich habe künftig nicht das Gefühl, dass für mich eine Welt einstürzen würde, wenn mir mal was misslingt.
Ganz offensichtlich haben Sie etwas von dieser Form in die aktuelle Saison gerettet. Sie haben bereits zwei von sieben Springen dieses Winters gewonnen und reisen nun als Zweiter der Weltcup-Gesamtwertung zur Vierschanzentournee – dabei gelten Sie als Spätstarter. Warum ist das diesmal anders?
Severin Freund, geboren am 11. Mai 1988 in Freyung in Niederbayern, lebt mit seiner Freundin Caren in München. Freund gewann bisher 20 Weltcup-Springen und in der vergangenen Saison neben dem Gesamt-Weltup auch den Weltmeistertitel von der Großschanze, den WM-Titel im Mixed und Silber von der Kleinschanze. Freund ist zudem aktueller Skiflug-Weltmeister. (ksta).
Ich bin eigentlich wirklich ein Spätstarter. In diesem Jahr lief es für mich im Sommer schon ganz gut mit Erfolgen bei den Mattenspringen. Ich konnte auch deutlich länger auf einem technisch guten Niveau und ohne gesundheitliche Probleme trainieren als in den Jahren zuvor. Ich gehe davon aus, dass ich von all diesen Dingen auch gerade jetzt profitiere.
Am letzten Wochenende vor Weihnachten haben Sie die Wettkämpfe in Engelberg in der Schweiz als Achter und Sechster beendet. Was nehmen Sie davon für die Tournee mit?
Für mich war es seit Jahren einer der besseren Auftritte auf einer Schanze, mit der ich mich schwer tue. Insofern ist mir die Platzierung nicht so wichtig, für mich zählen vielmehr die Sprünge und mit denen war ich zufrieden. Letztlich war ja sogar auch mehr drin für mich, ich habe beim zweiten Wettkampf bei beiden Landungen verschnitten, das gab Punktabzüge. Ich nehme nun aber die Sprünge als positive Rückmeldung mit zur ersten Tournee-Station nach Oberstdorf.
Dort startet diesmal der Slowene Peter Prevc als Top-Favorit. Er gewann die letzten drei Wettkämpfe vor der Tournee souverän. Nimmt Ihnen das auch etwas Druck?
Ich bin nicht der Top-Favorit, das ist so. Aber man kann von Engelberg für die Tournee keine hundertprozentigen Schlüsse ziehen. Ab Oberstdorf werden die Karten neu gemischt. Aber klar ist auch: Peter Prevc springt momentan richtig gut, er hat sich das Gelbe Trikot des Weltcup-Führenden auf jeden Fall verdient – und er ist definitiv einer der Kandidaten für den Tournee-Gesamtsieg.
Wie würden Sie Ihre Chancen beschreiben?
Die Erwartungshaltung bleibt ja die gleiche für mich: Man erwartet, dass ich gewinne. Ich habe den Sommer gut genutzt, ich gehe davon aus, dass ich besser vorbereitet bin als vor einem Jahr. Ich bin in einer deutlich besseren Verfassung für die Tournee als im Vorjahr. Ich bin technisch stabil und athletisch in Form. Mehr kann ich nicht machen. Den Moment des Siegens kann man aber nicht immer auf die Sekunde genau festlegen.
Im nächsten Abschnitt: Die letzte Tournee, Ziele und die Bedeutung der Vierschanzentournee
In der vergangenen Saison galten Sie als einer der Tournee-Favoriten. Das haben Sie auch so kommuniziert. Am Ende wurden Sie Achter. Sind Sie es zu offensiv angegangen?
Das war ein Experiment. Ich bin schon sehr passiv an die Tournee herangegangen, ohne wirkliche Aussage. Und im vergangenen Jahr habe ich es mal sehr offensiv versucht. Es hat alles keinen großen Unterschied gemacht. Das bestärkt mich darin, dass es auf solche Dinge nicht ankommt. Entweder bin ich in der Form, um zu gewinnen oder nicht. Wenn du es nicht bist, ist es egal, was außen herum passiert.
Was hat Ihnen im vergangenen Jahr gefehlt?
Ich war bei der Tournee nicht auf dem körperlichen Niveau, auf dem ich hätte sein sollen. Ich hatte zuvor zeitweise Rückenprobleme. Da fehlten mir dann ein paar Prozent. Das ist nicht tragisch, wenn deine Leistung nicht unter eine bestimmte Schwelle fällt, unter der auch dein Gefühl leidet. Aber das ist mir passiert. Es war ein bisschen zu wenig. In diesem Jahr bin ich auf jeden Fall einen großen Schritt weiter. Vom Rest lasse ich mich überraschen.
Was nehmen Sie sich diesmal konkret vor für die Tournee?
Ich kann mich nicht abducken. Das ist logisch. Mein Ziel ist deutlich definiert: Ich will vier gute Wettkämpfe machen, aus jedem das Maximum herausholen und dann mein bestes Gesamtergebnis machen. Bisher war das im Januar 2012 Platz sieben.
Zwei große Titel gibt es dieses Jahr zu gewinnen. Neben der Tournee noch die Skiflug-Weltmeisterschaft am Kulm in Österreich kurz nach der Reise zu den vier Schanzen. Sie sind der Titelverteidiger. Welches ist da für Sie das größere Ziel?
Medial, von dem Standpunkt her, dass ich die Leute glücklich machen könnte und auch finanziell ist die Tournee sicher lukrativer. Ich finde aber beide Wettbewerbe spannend und interessant. Bei der Skiflug-WM ist es eine besondere Situation, dass ich eben Titelverteidiger bin.
Welche Bedeutung, welchen Stellenwert hat die Vierschanzentournee für Sie?
Der Titel, den ich am höchsten einschätze, ist der Gesamt-Weltcup, das ist eine emotionale Sache. Alle anderen sind für mich mehr oder weniger gleichwertig.
Und wie nehmen Sie die Tournee als Veranstaltung wahr?
Die 64. Vierschanzentournee beginnt am Dienstag mit dem ersten Wettkampf in Oberstdorf (17 Uhr, live in der ARD). Die Qualifikation für die erste Station ist für Montag angesetzt (17.05 Uhr live in der ARD). Die anderen Wettkampftermine: 1. Januar Garmisch-Partenkirchen (14 Uhr, ZDF), 3. Januar Innsbruck (14 Uhr, ZDF) und 6. Januar Bischofshofen (17 Uhr, ARD). (ksta)
Es macht jedes Jahr sehr viel Spaß, auch wenn es manchmal bei mir nicht so aussieht. Es ist großartig vor vollen Rängen zu Hause in Oberstdorf und in Garmisch zu springen. Mein Ziel ist ganz klar, besser auszusehen als in den vergangenen Jahren.
Wie haben Sie den Trainingsreiz von Bundestrainer Werner Schuster empfunden, der mit dem deutschen Team im September die Tourneestationen abgefahren ist und einen teaminternen Probewettkampf organisiert hat, um die Abläufe noch mal durchzuspielen?
Das war eine sehr gute Sache. Auch für mich. Weil ich von den Schanzen einzeln von jeder schon ganz gut gesprungen bin auf Lehrgängen. Aber gerade der Schanzenwechsel war bei dieser Idee sehr interessant. Ich habe dann den Trainingswettkampf gewonnen, das ist nett und schön, aber bedeutet natürlich nichts.
Liegen Ihnen alle vier Anlagen oder gibt es eine Problemschanze für Sie unter dem angebotenen Quartett?
Sie sind alle nicht perfekt auf mich zurechtgeschnitten. Die klassische altfinnische Schanze mit einem supersteilen Hang liegt mir mehr. Ich mag die Tournee-Schanzen aber alle. In Garmisch hatte ich über die Jahre gesehen letztlich am meisten Probleme. Das hängt aber damit zusammen, dass ich das Training in Garmisch einfach immer verpennt habe. Ich bin aber auf allen vier Schanzen schon sehr gut gesprungen. Und ich weiß auch, dass ich auf allen vier Anlagen sehr konkurrenzfähig bin, wenn ich in Form bin.
Reisen Sie mit über Weihnachten gewonnener Entspanntheit zur Tournee an?
Weihnachten ist für mich eine ganz wichtige Pause vom Weltcup, die ich nach der ersten Phase auch gebraucht habe. Denn am Anfang war es sehr intensiv. Ich habe mir die Zeit genommen, mich zu beruhigen. Ich habe da bewusst bei und mit der Familie gefeiert. Und zwar bei meiner und bei der meiner Freundin. Am ersten Weihnachtsfeiertag haben wir Ente gegessen. Ich konnte aber auch nicht fünf Tage die Beine hoch legen. Ich habe normal weiter trainiert.
Was haben Sie trainiert?
Ich war im Kraftraum. Ging gut. Passt schon. Ich bin aber froh, dass ich die ruhigen Tage hatte. Denn die Tournee wird hart genug.
Das Gespräch führte Stephan Klemm

