Vier Tore Toni Kroos, Mario Götze, Jonas Hector und Mesut Özil treffen

München/Köln - Wenn es um die Diktion des Fußballs geht, ist die Kreativität der Protagonisten grenzenlos. In den vergangenen Tagen hat eine Wortschöpfung die deutsche Nationalmannschaft beschäftigt, die womöglich nicht ganz neu ist, aber an Popularität gewonnen hat, weil sich Thomas Müller ihrer bediente, als er am Samstag die 2:3-Niederlage der DFB-Elf gegen England analysierte: Im „Testspiel-Modus“ habe sich das deutsche Team befunden, erklärte Müller – und das war nichts weiter als ein Euphemismus dafür, dass die Spieler (vor allem in der zweiten Halbzeit) nicht bereit waren, ihr Potenzial zu strapazieren.
Das warf prompt die Frage auf, wie es sich am Dienstagabend in München verhalten würde. Niederlagen gegen Italien sind für die deutsche Elf ja nie eine Bagatelle, ob im WM-Halbfinale 2006, im EM-Halbfinale 2012 – oder eben in einem Testspiel im März 2016. Zumal die deutsche Mannschaft von den vorherigen sieben Duellen mit Italien keins gewinnen konnte, ja, das nennt sich Angstgegner. Doch diesmal triumphierte an einem schönen, beinahe historischen Abend in der Allianz Arena die DFB-Elf – sie setzte sich verdient mit 4:1 (2:0) durch.
Jubiläum für Mario Götze
Mit der angekündigten Rotation in seiner Aufstellung signalisierte Joachim Löw, dass er die Partie nicht ernster nahm als andere Testspiele, auch nicht drei Tage nach der Niederlage gegen England. Im Tor vertrat Marc-André ter Stegen vom FC Barcelona den krankheitsbedingt abgereisten Manuel Neuer. In der Abwehr agierten Antonio Rüdiger, Shkodran Mustafi und Mats Hummels als Drei-Mann-Kette, wobei freilich nur letzterer seinen Stammplatz für die EM in etwas mehr als zwei Monaten sicher hat. Dass Sebastian Rudy beim Turnier in Frankreich zur ersten Wahl gehört, ist auch kaum vorstellbar, doch er begann als Rechtsaußen und flankierte – wie Jonas Hector vom 1. FC Köln auf der linken Seite – die Dreierkette bei Bedarf. Außerdem durfte der in Wolfsburg in dieser Saison eher wechselhafte Julian Draxler von Beginn an ran. Und Mario Götze startete wie geplant in seinem 50. Länderspiel trotz eines Fitnesszustands, den auch der DFB-Trainerstab verbesserungswürdig nennt.
Nach einer einigermaßen lebhaften Anfangsphase mit Fehlpässen und Kontern auf beiden Seiten war das vorläufige Schema des Spiels erkennbar: Waren die Italiener im Angriff, attackierten die Deutschen früh und zielstrebig. Bei deutschem Ballbesitz wiederum verschoben die Italiener ihre Reihen nach hinten und waren darauf aus, keine Räume für Pässe von Mesut Özil oder Toni Kroos zu bieten. Aber da war ja noch Thomas Müller, der Wundersame, und in der 24. Minute hatte er auf der rechten Seite ein wenig Platz, flankte, mit Glück landete der Ball an der Strafraumkante beim herausragenden Kroos, der seine großartige Schusstechnik nutzte und den Führungstreffer erzielte.
Die Deutschen hatten durchweg mehr Ballbesitz und bemühten sich gegen die auch danach tief verteidigenden, in der Offensive zahmen Italiener um Chancen. Sekunden vor dem Pausenpfiff war das von Erfolg gekrönt: Müller flankte – und fand den 1,76 Meter großen Mario Götze, dem unter Mithilfe der nachlässigen italienischen Verteidigung ein Kopfballtor gegen den großen Gianluigi Buffon gelang. Die Mimik des Torschützen als Erleichterung zu deuten, war kein interpretatorisches Hexenwerk. Ein Erfolgserlebnis nach komplizierten Wochen, in jenem Stadion, in dem er sich bei Spielen des FC Bayern zuletzt bloß noch aufwärmen durfte.
Jonas Hectors Premierentreffer
Im zweiten Durchgang waren die Italiener zunächst die aggressivere Mannschaft, sie mühten sich – ohne dass die deutsche Führung dabei allerdings ernsthaft in Gefahr geriet. Nur ein Schuss von Riccardo Montolivo kam dem deutschen Tor nah – mehr nicht. Und dann hatte Jonas Hector seinen großen Augenblick: Nach einer wunderbaren Kombination mit Götze legte Draxler im Strafraum quer für den Kölner, der aus elf Metern die Ruhe wahrte und flach einschoss (59.) – das erste Länderspiel-Tor des FC-Linksverteidigers. Wenig später traf auch noch Mesut Özil, er verwandelte einen Foulelfmeter, nachdem Rudy von Buffon gefällt worden war – 4:0.
Zwar gelang Stephan El Shaarawy mit einem abgefälschten Schuss aus 20 Metern noch das einzige Tor der Italiener (82.). Aber alle möglichen Zweifel an der Einstellung der deutschen Mannschaft waren da natürlich längst beseitigt: Mit einem Testspiel-Modus hatte das, was am Dienstagabend in München zu sehen war, rein gar nichts zu tun.