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Steffen Simon über die WM in Brasilien Steffen Simon über die WM in Brasilien: "Ich habe Sympathie für die Proteste"

Von Philip Sagioglou 08.06.2014, 19:35
Steffen Simon
Steffen Simon SWR/Olga Samuels Lizenz

Herr Simon, Sie sind seit fast zwei Jahrzehnten Fußball-Kommentator. Die sozialen Netzwerke machen Ihren Job nicht angenehmer, oft gibt es bei Facebook und Twitter harte Kritik. Macht Ihnen der Job vor diesem Hintergrund noch so viel Spaß wie vor zehn Jahren?

Steffen Simon: Wir Fußballkommentatoren sind eine Berufsgruppe, die unter sozialen Netzwerken nicht so sehr leidet, weil wir auch vor der Zeit dieser Netzwerke schon einer gewissen Form von Mobbing ausgesetzt waren. Für uns ist das kein neues Phänomen und deshalb nicht weiter schlimm.

Lesen Sie sich die Sachen im Internet durch?

Simon: Nein. Das bringt uns nicht weiter.

Nach dem Relegations-Spiel um den Bundesliga-Aufstieg zwischen Kaiserslautern und Hoffenheim gab es im Sommer 2013 eine harte Kritik der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, die Sie „menschenverachtend“ nannten. Wünschen Sie sich gelegentlich mehr Feingefühl oder Nachsicht?

Simon: Man muss natürlich unterscheiden zwischen professionellen Kritikern und den Usern in den sozialen Netzwerken. Im Gegensatz zu denen agieren die Kritiker mit ihrem Klarnamen. Trotzdem ist es so, dass man sich – gerade während großer Turniere – hin und wieder ein Korrektiv innerhalb der Redaktionen wünscht. Gelegentlich habe ich den Eindruck, dass die Kritiker ein Bedürfnis haben, sich gegenseitig zu übertreffen. Mitunter geht es einfach in Richtung Schmähkritik, das halte ich für bedauerlich und unnötig.

Wie wird denn eigentlich entschieden, welche Kommentatoren für die öffentlich-rechtlichen Sender zu den Turnieren reisen?

Simon: Wir haben in der ARD drei Live-Reporter. Gerd Gottlob, Tom Bartels und ich sind das in dieser Konstellation seit 2008. Es wird regelmäßig darüber beraten, ob die Live-Reporter noch die Richtigen für den Job sind, und die Sportchefs der Sender haben beschlossen, dass wir drei es eben auch beim Turnier in Brasilien machen sollen.

Gibt es Grabenkämpfe um Spitzenspiele?

Simon: Es ist ja bezeichnend, wenn die Sportchef-Runde einstimmig beschließt, dass Tom Bartels das Endspiel kommentieren soll – und die anderen beiden Reporter-Kollegen, also Gerd Gottlob und ich, als Sportchefs des NDR beziehungsweise WDR mit in dieser Runde sitzen. Das läuft alles sehr fair ab.

Vor einigen Monaten wurde beschlossen, wer nach Brasilien reist. Wie sah dann der weitere Ablauf aus, wann haben Sie mit der konkreten Vorbereitung auf das Turnier begonnen? Sie haben ja noch lange mit der Bundesliga zu tun gehabt.

Steffen Simon, geboren am 10. März 1965 in Berlin, ist TV-Moderator und Fußball-Kommentator. Seit Oktober 2006 ist er Sportchef des Westdeutschen Rundfunks (WDR). Wie schon 2006 und 2010 wird er auch bei der WM in Brasilien im Einsatz sein. Außer ihm kommentieren Tom Bartels und Gerd Gottlob die Live-Spiele in der ARD. (ksta)

Simon: Es sind viele Bundesliga-Spieler bei der WM dabei, deshalb habe ich, wenn man so will, schon während der Bundesliga-Saison mit der Vorbereitung begonnen. In den Wochen unmittelbar vor dem Turnier ist diese Vorbereitungsphase sehr intensiv. Ich kommentiere in der Vorrunde sieben Spiele mit dreizehn verschiedenen Mannschaften. In großen Zügen musste meine Vorbereitung schon in Deutschland fertiggestellt sein, weil ich während der Vorrunde kaum Zeit habe, zu recherchieren und Informationen zu sammeln, denn die Reisestrapazen in Brasilien werden sehr speziell sein: Ich bin während der Vorrunde elf Tage unterwegs und kommentiere dabei sieben Spiele. Ich bin während dieser elf Tage knapp 25 Stunden in der Luft und lege 15.000 Kilometer zurück. Das heißt: Ich werde im Stadion arbeiten, im Flieger sitzen oder schlafen.

Im Schnelldurchlauf heißt das: Sie wachen auf, frühstücken, und…

Simon: … dann bespreche ich mich mit meinem Team, meinem Assistenten Stefan Knobloch und dem Stadionredakteur Robert Freis vom Bayerischen Rundfunk. Wir diskutieren, was uns am Nachmittag in den 90 Minuten erwarten kann, und dann fahren wir nach dem Frühstück relativ schnell ins Stadion. Wir müssen zeitig da sein, um möglichen Verkehrsproblemen aus dem Weg zu gehen. Dann kommentiere ich das Spiel, danach werden wir abgeholt, sofort in den Flieger gesetzt und in die nächste Stadt geflogen. Dort haben wir im Optimalfall einen Tag zur Vorbereitung. Manchmal sind unsere Spiele aber auch an zwei Tagen hintereinander.

Welche Recherchemöglichkeiten gibt es während des Spiels?

Simon: Mein Team sitzt im Stadion neben mir. Während des Spiels können wir auf einen Datenkanal mit allen möglichen Zahlen und Fakten zugreifen. Ansonsten gibt es die üblichen Recherchemethoden – Internet, Telefon, Kollegen vor Ort.

Bekommen Sie das parallel zum Kommentieren noch hin?

Simon: Während des Spiels mache ich gar nichts davon. Ich konzentriere mich nur auf das Geschehen auf dem Rasen und im Stadion.

Lesen Sie auf der nächsten Seite:
Steffen Simon über den Tagesablauf eines Kommentators, Proteste in Brasilien und die Perspektive der DFB-Elf

Sind Sie nach all den Jahren noch nervös, bevor Sie die ersten Worte ins Mikrofon sprechen?

Simon: Ich bin sehr demütig vor dieser Reise. Was ich geschildert habe, sind sehr besondere Bedingungen, das hatten wir nirgends sonst. Brasilien hat Dimensionen, die wir uns kaum vorstellen können. Und ich gestehe, dass ich auch deshalb demütig dorthin reise, weil ich sehr viel Sympathie für die Proteste der Bevölkerung habe. Einerseits ist es gut, dass durch die Weltmeisterschaft eine Bühne entsteht, auf der man Missstände öffentlich anprangern kann. Andererseits hoffe ich, dass wir doch in irgendeiner Form willkommen sind und sich so etwas wie eine WM-Stimmung einstellt. Damit die vier Wochen nicht – am Ende womöglich sogar mit Polizeigewalt – gegen den Willen der Bevölkerung durchgezogen werden. Das wäre ein sehr trauriges Szenario, das sich momentan, ein paar Tage vorher, aber nicht ausschließen lässt.

Bekommen Sie als TV-Kommentator vor den Spielen noch Einzelgespräche mit Trainern oder Spielern?

Simon: Keine Chance. Die sind hermetisch abgeriegelt. Es gibt die offiziellen Pressekonferenzen und man darf bei den Abschlusstrainings 15 Minuten ins Stadion. Ansonsten kommt man, während ein Turnier läuft, an niemanden mehr heran.

Ist es schon einmal vorgekommen, dass Trainer oder Spieler Sie wegen Dingen kritisiert haben, die Sie während des Spiels gesagt haben?

Simon: Es kommt schon vor, dass man sich hinterher austauscht. In der Regel ist es aber so, dass sich die beteiligten Protagonisten die 90 Minuten nie selbst anhören. Wenn, dann läuft das über Umwege, Verwandte oder Berater, die etwas gehört oder missverstanden haben. Wenn es gut läuft, meldet sich der Spieler, damit man das ausräumen kann.

Es gab mit Radiomoderatoren von 1Live in der Vergangenheit mehrfach Wetten, wegen derer Sie bestimmte Wörter wie „Bratpfanne“ oder „Papagei“ unterbringen mussten. Die, die es wussten, fanden es vermutlich lustig, aber viele andere haben sich gewundert.

Simon: Es ist ein schmaler Grat. Bei der Bratpfanne hat es hingehauen, bei den Papageien würde ich jede Kritik akzeptieren. Am Ende ist es aber auch nur Fußball – man muss es nicht zu ernst nehmen.

„Drei Schwachstellen im deutschen Kader“

Ein Wort zur deutschen Mannschaft: Was kann die DFB-Elf in Brasilien erreichen?

Simon: Wir sind derzeit in einer Phase, in der wir sehr fatalistisch werden. Wir Deutschen sind in unseren Ausschlägen extrem, wenn es um die Nationalmannschaft geht. Entweder, wir sind die Allerschärfsten der Welt, oder wir überstehen die Vorrunde nicht. Ich glaube, dass wir in unserem Kader derzeit drei Schwachstellen haben.

Welche sind das?

Simon: Zum einen haben wir mit Miroslav Klose einen 36 Jahre alten Stürmer, der mit den klimatischen Herausforderungen in Brasilien auch erst einmal klarkommen muss und nicht restlos fit ist – zu ihm gibt es im Kader keine Alternative, jedenfalls keine gelernten Stürmer. Wir haben – vorausgesetzt, Philipp Lahm spielt im Mittelfeld – außerdem keinen gelernten Außenverteidiger im Kader, sondern lauter Jungs, die das zwar auch können, aber in der Rolle keine Spezialisten sind. Und wir haben mit Manuel Neuer, Sami Khedira, Bastian Schweinsteiger und Lahm vier Leistungsträger, die nicht fit sind. Diese drei Faktoren können problematisch werden – trotzdem bin ich mir sehr sicher, dass wir die Vorrunde überstehen.

Wie beurteilen Sie die harte Kritik an Mesut Özil? Beim Testspiel gegen Kamerun wurde er von den deutschen Fans ausgepfiffen – und das nicht zum ersten Mal.

Simon: Özil war noch nie jemand, der eine Mannschaft mitgerissen hat. Sondern jemand, der in einem gut funktionierenden Team für geniale Momente gesorgt hat, wie es niemand sonst kann. Insofern muss eine Mannschaft um ihn herum funktionieren. Er wird niemals allein eine Mannschaft aufbauen, sondern im Ernstfall mit ihr untergehen. Wenn man das aber weiß, kann man ihn mit seinen Stärken sehr nutzbringend einbringen. Ich sehe ihn nicht so kritisch. Für mich hat es einen Grund, warum er von den englischen Fans in das Team des Jahres gewählt wurde. Ich sehe Toni Kroos etwas kritischer.

Das Gespräch führte Philip Sagioglou

Schon lange im Geschäft: Steffen Simon im Juli 2003 mit dem damaligen WDR-Sportchef Heribert Faßbender
Schon lange im Geschäft: Steffen Simon im Juli 2003 mit dem damaligen WDR-Sportchef Heribert Faßbender
Bongarts/Getty Images Lizenz