Deutsche Fußball-Bund National-Teams kämpfen um Talente: DFB prüft Ablöse-Chance
Junge Kicker, viele Pässe und die Frage: wer trägt künftig Schwarz-Rot-Gold? Der Kampf der Nationalteams um Talente wird immer größer. Der DFB sucht einen Weg, um Wechsel zum Nulltarif zu verhindern.

Frankfurt/Fürth - Im Kampf der National-Verbände um Fußball-Talente schaut sich der Deutsche Fußball-Bund (DFB) eine spannende und lukrative Frage genauer an. „Wir prüfen derzeit, ob es die Chance auf Ausbildungsentschädigungen beim Nationalverbandwechsel gibt. Dieses Thema ist bislang noch nicht im großen Umfang angegangen worden“, sagte DFB-Geschäftsführer Andreas Rettig.
Vielfalt bringt Wahlmöglichkeiten
Neu ist das Werben um die Stars von Morgen nicht. Aber das Ausmaß der Nationalitätenfrage nimmt in den Multi-Kulti-Gesellschaften zu. „Jetzt verschärft sich das in einem Land wie Deutschland, in dem wir zum Glück diese kulturelle Vielfalt haben. Diese Vielfalt bringt aber auch die Wahlmöglichkeiten mit sich: Spieler können für das Land der Mutter, des Vaters oder sogar für eine dritte Option antreten“, sagte Rettig der Deutschen Presse-Agentur.
Jamal Musiala, der vor und nach zwei U16-Länderspielen für den DFB mit überschaubarem Erfolg in Nachwuchsteams der Three Lions auflief, entschied sich zum Beispiel als ein ganz großer Star für Schwarz-Rot-Gold. Bayern-Verteidiger Josip Stanisic (Kroatien), Juve-Star Kenan Yildiz oder Frankfurts Sturm-Talent Can Uzun (beide Türkei) etwa zogen andere Auswahltrikots vor.
Spannende Zukunftsfragen
Im aktuellen Aufgebot der deutschen U21, die in der EM-Qualifikation am Freitag in Fürth gegen Malta und vier Tage später in Georgien antritt, steht eine Reihe von Spielern, die mehr als eine Option haben. Drei Beispiele: Bei Stürmer Nicolo Tresoldi vom Champions-League-Club FC Brügge wurde wiederholt spekuliert, ob er künftig für Italien oder weiter für Deutschland aufläuft. Torhüter Mio Backhaus (Werder Bremen) darf mit einer WM-Teilnahme für Japan liebäugeln. Und der Wolfsburger Stürmer Dzenan Pejcinovic kann sogar zwischen Deutschland, Montenegro und Bosnien und damit drei Optionen wählen.
„In Deutschland haben 43 Prozent der unter Fünfjährigen einen Migrationshintergrund“, sagte Rettig mit Verweis auf Zahlen der Bundeszentrale für politische Bildung. „Wenn sie zehn oder zwölf Jahre älter sind, können sie sich entscheiden: Ist mir der Adler lieber als beispielsweise der Halbmond?“
In den Kaderlisten von der U15 bis zur U21 geht der Anteil laut Rettig mitunter weit über die genannten 43 Prozent hinaus. Es gebe Jahrgänge mit sieben oder acht Spielern in der Startelf, die zwei Pässe hätten. Nach Recherchen der „Neuen Zürcher Zeitung“ ist es in der Schweiz ähnlich: In den dortigen Nachwuchsteams haben rund 70 Prozent mehrere Pässe.
Wann ist man festgespielt?
Nach den geltenden FIFA-Regeln ist ein Fußballer grundsätzlich an ein Land gebunden, sobald er in einem Pflichtspiel der A-Nationalmannschaft aufgelaufen ist. Unter engen Voraussetzungen darf er aber einmal den Verband wechseln: Er muss beim letzten Einsatz jünger als 21 Jahre gewesen sein, darf höchstens drei Pflichtspiele absolviert haben, an keinem großen Turnier wie WM oder EM teilgenommen haben und seit dem letzten Einsatz müssen mindestens drei Jahre vergangen sein.
„Aus sportökonomischer Perspektive gibt es drei spezifische Nutzen, die ein Spieler mit Migrationshintergrund abwägen muss. Da ist zum ersten die Frage nach den sportlichen Zielen. Wo kann man eher Nationalspieler werden, mit welcher Nationalmannschaft eher an einem großen Turnier teilnehmen?“, sagte Sportökonom Christoph Breuer von der Deutschen Sporthochschule in Köln. „Als zweiten Nutzen gibt es die wirtschaftliche Perspektive. Sobald man den Status eines Nationalspielers hat, hat das Einfluss auf den Marktwert des Spielers und die Verdienstmöglichkeiten. Als dritten Punkt beim Spieler-Kalkül gibt es die Rückbindung an eine Herkunftskultur.“
Geld oder Herz - oder beides?
Zwar wird öffentlich immer wieder die „Herzensentscheidung“ propagiert, aber im Profi-Business sind es eben oft wirtschaftliche Interessen, die den Ausschlag geben. „Nationalspieler können in Vertragsverhandlungen mehr Gehalt fordern“, erklärt ein Spielerberater. „Viele Jungs sind aber auch hin- und hergerissen zwischen den Kulturen. Da kann es schonmal den Ausschlag geben, wenn sie in der Jugend zu wenig Wertschätzung erfahren haben.“
Kleinere Verbände werben oftmals früher und vehementer um die Talente. Jeder will Nationalspieler sein, aber nicht erst morgen, sondern sofort. Wenn das in Land A aber nicht geht, dann soll es eben B sein. Die Versprechen - zum Beispiel auf eine schnelle Turnier-Teilnahme - sind groß. Längst nicht immer erfüllen sie sich.
Rettig: Nicht „inflationär Stammplätze versprechen“
„Wir wollen mit den Nachwuchsspielern eine Karriereplanung betreiben, ohne inflationär Stammplätze zu versprechen. Spieler, die "nur" den deutschen Pass besitzen, dürfen nicht schlechter gestellt werden. Es zählt in erster Linie das Leistungsprinzip“, sagte Rettig.
Zwar findet die Ausbildung der Talente hauptsächlich bei den Vereinen statt, aber auch im Verband werden sie mit vielen Maßnahmen gefördert. Zumindest die, die zum Kreis der Nachwuchsnationalteams gehören. Spätdurchstarter wie Aleksandar Pavlovic, der erst in der U20 zum DFB-Debüt kam, drohen, durch das Raster zu fallen. Der Bayern-Profi wurde intensiv von Serbien umworben, ist mittlerweile aber fest bei Julian Nagelsmann im deutschen A-Team dabei.
Er wolle nur die überzeugen, „wo ich das Gefühl habe, die fühlen auch, für Deutschland zu spielen. Sonst macht das keinen Sinn, weil wir eben kein Verein sind, sondern ein Verband, eine Vertretung des Landes auf fußballerischer Ebene“, sagte Nagelsmann. Nationalität sei mehr als Fußball, auch Herz und Emotion.
DFB prüft Chance auf Ausbildungsentschädigung
Wechselt dann ein Talent, das die Jugendnationalmannschaften im DFB durchlaufen hat, den Verband, ist das natürlich ärgerlich. „Es erschließt sich mir überhaupt nicht, warum ein Spieler, der über fünf Jahre in erster Linie bei seinem Verein, aber dann auch bei dem Verband als Juniorpartner ausgebildet wurde, zum Nulltarif den Nationalverband wechseln kann“, sagte Rettig.
Die Überlegungen von Rettig sind gut nachvollziehbar. Spannend ist die Frage, wie eine solche Entschädigung berechnet werden könnte. Nach der Zahl der Einsätze in den U-Teams? Wird das dann ein Geschäftsmodell für finanzschwache Verbände? Und ist es überhaupt durchsetzbar?
„Reißbrett tritt auf Politik“
„Sicherlich könnte man ein solches Entschädigungssystem auf dem Reißbrett entwerfen, aber dann trifft so ein System auf Politik. Und dann ist immer die Frage, was ist mehrheitsfähig“, sagte Breuer. „Während sich im recht kapitalistischen Vereinsfußball Entscheidungen ganz gut über Marktmechanismen erklären und beeinflussen lassen, ist das im politisch geprägten Nationalverbandsgeschäft nicht so einfach.“ Je mehr Verbände von Nationenwechseln profitieren, desto unwahrscheinlicher ist eine Mehrheit.
Umso wichtiger ist für den DFB die eigene Überzeugungsarbeit im Nachwuchs, zumal er nicht mehr so stark wie einst mit Titel oder Endspielen werben kann. Größere Lehrgänge, mehr unterschiedliche Spieler in den Nationalteams, lautet eine Idee, um mehr Talente zu binden. Angesichts der Fülle an guten Nachwuchsleistungszentren (NLZ) in Deutschland ist die Sichtung für die DFB-Nachwuchstrainer allerdings schwieriger als etwa in England oder Spanien, wo sich die Toptalente zeitiger auf eine überschaubare Zahl an Leistungszentren verteilen.
Entscheidung schon mit 18?
Immer wieder wird auch die Idee aufgeworfen, ob eine Entscheidung zum 18. Geburtstag nicht besser ist. „Wir diskutieren verbandsintern kontrovers, wann die Entscheidung unwiderruflich getroffen werden soll. Sollte man das Alter heruntersetzen, etwa auf 18 Jahre? Der eine wird das für richtig halten, der andere für zu früh“, sagte Rettig. „Wir versuchen, den Königsweg zu finden.“