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Letztes DDR-Länderspiel vor 30 Jahren Letztes DDR-Länderspiel 1989: Ein Hauch von Agentenkrimi in Wien

14.11.2019, 11:39

Wien - Die Erinnerung an den 15. November 1989 lässt die Hauptdarsteller auch 30 Jahre später nicht los. Für Eduard Geyer bedeutet das verlorene letzte Pflichtspiel der DDR kurz nach dem Mauerfall das Ende aller WM-Träume, für Reiner Calmund beginnt einer der größten Coups seiner Manager-Karriere. Das 0:3 in Österreich zum Abschluss der Qualifikation für das Fußball-Weltturnier 1990 in Italien ist eine Geschichte voller Aufbruch und Trauer mit einem Hauch Agentenkrimi - erzählt aus zwei deutschen Perspektiven.

Der Mauerfall

Die Mannschaft der DDR erhält die historische Nachricht während der Vorbereitung in der Leipziger Sportschule Abtnaundorf. „Dann hieß es, die Grenze sei offen. Es war nicht so, dass die Spieler gleich abhauen wollten, aber die Köpfe waren nicht frei“, erinnert sich der damalige Trainer Geyer. „Das war in der Geschichte sicherlich einmalig.“

Mit drei Magdeburgern in der Startelf spielte die DDR gegen Österreich. Neben Torhüter Dirk Heyne waren dies auch die Verteidiger Detlef Schößler und Dirk Stahmann. Ebenfalls von Beginn an spielten: Ronald Kreer (Verteidigung), Matthias Lindner, Jörg Stübner (Mittelfeld), Rico Steinmann, Matthias Döschner, Matthias Sammer Ulf Kirsten (Angriff), Andreas Thom. Zudem wurden Thomas Doll und Uwe Weidemann eingewechselt.

Acht der 13 Spieler wechselten nach der Wende nach Westdeutschland: Weidemann (1989 von Rot-Weiß Erfurt zum 1. FC Nürnberg), Döschner (1990 von Dynamo Dresden zu Fortuna Köln), Sammer (1990 von Dynamo Dresden zum VfB Stuttgart), Thom (1990 vom FC Berlin zu Bayer Leverkusen), Kirsten (1990 von Dynamo Dresden zu Bayer Leverkusen), Doll (1990 vom FC Berlin zum Hamburger SV), Heyne (1991 vom 1. FC Magdeburg nach Mönchengladbach), Steinmann (1991 vom Chemnitzer FC zum 1. FC Köln)

Die außergewöhnliche sportliche Chance rückt zunächst in den Hintergrund. Nach dem 2:1 gegen die Sowjetunion im Vormonat braucht die DDR nur noch einen Punkt in Österreich, um das zweite Mal nach dem Debüt 1974 bei einer WM dabei zu sein. „Wir waren alle junge Kerle und hatten einfach zu viele Dinge im Kopf“, sagt Ersatztorwart Perry Bräutigam. „Wir haben uns sicherlich nicht so 100 Prozent vorbereitet, wie es unter anderen Umständen der Fall gewesen wäre.“

Im Westen saugt der Manager von Bayer Leverkusen alles auf, was er über die Wende erfahren kann. „Ich hatte viereckige Augen vom Fernsehgucken bis morgens früh“, sagt Calmund im Rückblick. Den damals 40-Jährigen zieht es in die nun nicht mehr geteilte Hauptstadt, er verfolgt zwei Tage nach dem Fall der Mauer das Zweitligaspiel von Hertha BSC gegen Wattenscheid im Berliner Olympiastadion. Schnell kommt der Gedanke an das mögliche Geschäft: „Was machst du nun? Du musst an die Spieler ran.“

Das Spiel

57.000 Zuschauer fiebern beim Showdown im Wiener Praterstadion, das heute den Namen von Trainer-Legende Ernst Happel trägt, mit. Die Euphorie und WM-Hoffnung im Land der Gäste ist groß, von „mindestens 5.000 mit Trabis und in Sonderzügen angereisten DDR-Fans“ berichtet die Deutsche Presse-Agentur damals.

Doch es geht alles schief. Der spätere Kölner Toni Polster erzielt nach zwei Minuten die österreichische Führung, legt per Elfmeter nach. Für die DDR verschießt Rico Steinmann einen Strafstoß. Spätestens nach dem dritten Treffer von Polster und Rot für Kapitän Ronald Kreer ist der Traum vorbei. „Man hatte das Gefühl, es war gewollt, dass wir ausscheiden“, sagt Geyer und bezeichnet den Schiedsrichter als „bezahlten Gangster“.

Auf der Tribüne geht es zahlreichen Scouts und Managern aus dem Westen weniger um das Ergebnis. Noch ist unklar, wie ein Wechsel aus der DDR-Oberliga ablaufen würde, aber alle wollen die Stars wie Andreas Thom, Ulf Kirsten, Matthias Sammer oder Steinmann. Manager Calmund verfolgt zeitgleich in Köln, wie sich Deutschland mit 2:1 gegen Wales zur WM rettet - und ist doch nah dran.

Neben zwei offiziellen Beobachtern hat der Werksklub in geheimer Mission auch A-Jugendbetreuer Wolfgang Karnath entsandt, dem Calmund nach eigener Darstellung eine Akkreditierung als Fotograf organisierte. „Wenn der hinter dir in die Drehtür ging, kam der vor dir wieder raus“, charakterisiert der Manager seinen „Hansdampf in allen Gassen“, der den Hauptanteil an den Transfererfolgen später für sich reklamiert.

Karnath schafft es sogar bis zur Bank der DDR, erzählt später, dass er Sammer nach dessen Auswechslung direkt anspricht. Am Platz-Telefon des „Kicker“ erhält Calmund im Kölner Stadion den Anruf, dass Karnath in die Sportschule Lindabrunn aufbricht, um weitere Kontakte zu knüpfen. „Er hat den Job ausgezeichnet gemacht“, sagt Calmund. „Sollte das stimmen, ist das an Frechheit nicht zu überbieten. Das hat auch nichts mehr mit Spaß zu tun“, sagt Geyer zum Bank-Besuch. „Gesehen habe ich damals allerdings niemanden.“

Die Folgen

Am nächsten Abend besucht Calmund die Familie Thom mit Pralinen, Blumen und Spielzeug als Geschenken. Nach erfolgreichem Überwinden aller bürokratischen Hürden wird der erste Wechsel eines DDR-Fußballers ins fußballerische Ausland einen Monat später am selben Tag in Ost-Berlin und Leverkusen verkündet.

Auch Kirsten geht zum Werksclub, die Verpflichtung Sammers scheitert nach Darstellung Calmunds an der Intervention des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl, nach der die Bayer AG aus Sorge um ihr Image vom Transfer Abstand nimmt. Es hätten damals nicht drei aktuelle Auswahlspieler zu demselben westdeutschen Klub wechseln sollen, berichtet Calmund.

Aber schon 1991 waren acht der 13 im letzten WM-Qualispiel eingesetzten DDR-Spieler in den Westen gewechselt. Als „Jahre der Ausbeutung“ und einen „Kahlschlag“ kritisierte der scheidende Bayern-Präsident Uli Hoeneß das Verhalten von Bundesligaklubs zuletzt in der „Berliner Zeitung“.

Vor der Auflösung des Auswahlteams betreut Geyer die DDR nach der verpassten WM-Teilnahme noch in sieben Freundschaftsspielen. Energie Cottbus führt der heute 75-Jährige von der Regionalliga bis in die Bundesliga. Der 15. November 1989 bleibt dabei als prägendes Ereignis im Gedächtnis. „Das sind Erinnerungen, die ich bis an mein Lebensende haben werde“, sagt Geyer. „Das tat richtig weh.“ (dpa)