Hinter den Kulissen Hinter den Kulissen des DDR-Fußballs: Wie hohe Wirtschaftsfunktionäre die DDR-Oberliga beeinflussten

Halle (Saale) - Geld spielt nie eine Rolle, zumindest nicht beim FC Carl Zeiss Jena der 60er und 70er Jahre. Lothar Kurbjuweit, gerade 19 Jahre alt und nach seiner ersten Saison in der Oberliga ein aufgehender Stern des DDR-Fußballs, hatte eigentlich von seinem Heimatverein Riesa nach Dresden wechseln wollen. Doch der Fußballverband lehnt ab. Kurbjuweit, der später auch beim Halleschen FC spielte, soll nach Jena gehen.
Ein Angebot, das sich schlimmer anhört als es ist. Erst werden der junge Fußballer und seine Eltern von einem Assistenten des Jenaer Trainers Georg Buschner durch die Stadt geführt. „Da hieß es: Hier wohnt der Harald Irmscher, hier der Konrad Weise, willst Du nicht auch hier wohnen?“Als der Verein auch noch die Einrichtung der Wohnung, eine einjährige Einsatzgarantie und eine Studienzulassung per Sonderprüfung zusagt, ist Kurbjuweit weichgeklopft.
DDR-Oberliga: Nach außen Amateurliga, im Kern aber Profisport
Der talentierte Jungstar wechselt nach Jena - nur einer aus einer ganzen Riege von jungen Fußballern, die in der vermeintlichen Amateurliga der Deutschen Demokratischen Republik dem Ruf des Geldes folgten, wie der Historiker Michael Kummer in seiner Doktorarbeit beschreibt. Mehrere Jahre lang hat der Potsdamer Wissenschaftler in Archiven gegraben und Klassenbücher studiert, offizielle Verbandsdokumente ausgewertet und Stasiunterlagen analysiert, um den inneren Mechanismen des DDR-Fußballs auf die Spur zu kommen.
Denn nur nach außen hin war dessen oberste Spielklasse eine reine Amateurliga, in der hauptberuflich als Schlosser, Angestellte oder Elektriker eingruppierte Spieler um Tore und Punkte fighten. In Wirklichkeit aber handelt es sich auch bei der um 1950 gegründeten Liga spätestens ab Mitte der 60er um einen Profibetrieb, der nach Marktgesetzen funktioniert.
Die allerdings, wie Kummer belegt, jederzeit von den mächtigen Strippenziehern hinter den Kulissen außer Kraft gesetzt werden konnten, weil die Machtmöglichkeiten besaßen, die bestimmte Parteipositionen mit sich brachten. Oder über den beinahe unbeschränkten Zugriff auf die Ressourcen großer volkseigener Kombinate verfügten.
Carl Zeiss unterstützt den Jenaer Fußball
Einer der Männer, die sich auf volkseigene Kosten einen eigenen Fußballverein halten wie gewöhnliche DDR-Bürger eine Modelleisenbahn, ist der Carl-Zeiss-Chef Wolfgang Biermann. Ihm haben es die Fußballfans in Jena zu verdanken, dass ihr Club dem regionalen Rivalen Rot-Weiß Erfurt ebenso enteilen kann wie den meisten anderen Vereinen der Arbeiter- und Bauernrepublik.
Während der direkte Konkurrent Erfurt sich nur auf den vergleichsweise kleinen VEB Optima stützen kann, wird der FC Carl Zeiss durch das gleichnamige riesige Kombinat getragen. Kombinatsdirektor Wolfgang Biermann, auch in der SED-Hierarchie ganz oben angebunden, sorgt über die Zeiss-Stiftung dafür, dass Spieler begehrte Konsumgüter, Häuser, Autos und Urlaubsplätze bevorzugt bekommen.
Zudem veranlasst der gebürtige Leipziger, dass Mittel aus den sogenannten Sozialfonds des Hightech-Konzerns abgezweigt werden, um beispielsweise für eine Viertelmillion DDR-Mark eine Traglufthalle zu bauen, damit die Jenaer Spieler optimale Trainingsbedingungen vorfinden.
Die DDR-Oberliga - Ein Wettbewerb der Strippenzieher
Was für die Fans in der Kurve aussieht wie eine Fußballliga, in der junge Männer in kurzen Hosen um Meisterschaften und Pokale spielen, ist so eigentlich ein Wettbewerb, in dem Strippenzieher wie Biermann, der hallesche SED-Chef Achim Böhme oder Stasi-Minister Erich Mielke mit Hilfe ihrer ökonomischen Möglichkeiten daran arbeiten, sich selbst Denkmale als Väter von Meistertiteln und Pokalsiegen zu setzen.
So fordert Herbert Kroker, als Chef des VEB Umformtechnik Mitte der 70er Jahre als zusätzlicher Geldgeber bei Rot-Weiß Erfurt eingestiegen, mehrfach, nun müsse das Team aber auch mal wieder Meister werden.
Kroker aber schätzt das Kräfteverhältnis völlig falsch ein. Nebenan in Jena werden Nägel mit Köpfen gemacht. „Die gesamte Organisation des Klubs wurde über das Kombinat abgewickelt“, schreibt Michael Kummer, „Post, Telegramme, Fernschreiben, Telefon, Busse, Pkw und Büromaterial“.
Sportler und Funktionäre werden in der DDR zum Spielball
Der FC Carl-Zeiss ist eine Art Tochterfirma, eine Geschäftssparte des High-Tech-Konzerns, die die Poliklinik mitnutzt, die Sauna und was sonst noch gebraucht wird. Ein nicht zu überschätzender Vorteil gegenüber ärmeren Vereinen etwa in Halle oder Cottbus. Doch auf der anderen Seite auch eine Situation, in der Sportler und Sportfunktionäre zum Spielball der mächtigen Amateure werden, die von sich glauben, die besseren Trainer zu sein.
Wolfgang Biermann etwa stürmt gelegentlich nach Spielen, in denen ihm das Auftreten seiner Kicker nicht gefallen hat, in die Kabine und friet die eigentlich vereinbarten Prämienzahlungen je nach Gemütszustand für kurze oder längere Zeiträume einfach ein.
Sportpolitik der DDR unterstützt die besten Sportler
Auch die angeblichen „Klubverantwortlichen“ sind das nur von seiner Gnade. 1979 etwa ist Biermann so unzufrieden mit seinem Clubvorsitzenden, dass er bei einer Tagung des ZK der SED mit dem DDR-Sportchef Manfred Ewald und den Parteigranden des Bezirks Gera einfach eine Neubesetzung vereinbart. In Erfurt läuft es ähnlich - als es dem FC Rot-Weiß trotz großer Hoffnungen nicht gelingt, in der Meisterschaft eine Rolle zu spielen, besetzt die Bezirksleitung der SED den Trainerposten höchstselbst mit einem neuen Mann.
Das liegt daran, dass die Sportpolitik der DDR stets die Stärkeren bevorteilt. Sehr gute Spieler werden zu den sehr guten Klubs „delegiert“, wo sie sehr gut verdienen. Beim BFC, der seine Spieler als „Sportinstrukteure“ führt und nach ihrem Rang als Oberleutnant besoldet, erhalten Spieler laut einer Stasiakte 1967 bis zu 1 650 Mark - 1 150 Mark Grundgehalt, 500 Mark „Leistungszulage“. Zum Vergleich: Der Durchschnittslohn im Land liegt damals bei 800 Mark.
Den weniger guten Vereinen aber wird zeitweise die Möglichkeit genommen, ihren Kickern eine Siegprämie zu zahlen. Dadurch ist Mitte der 70er bei Spitzenvereinen der 2. Liga mehr Geld zu verdienen als in schlechten Oberliga-Klubs.
Drohung: NVA statt Profifußball
Ziel der neuen Fußball-Strategie soll nach dem Willen des Sportverbandes DTSB eine größere internationale Wettbewerbsfähigkeit sein. Sträubten sich Spieler gegen Entscheidungen von oben, indem sie wie der Erfurter Reinhard Häfner darauf beharrten, nach Jena wechseln zu dürfen und nicht nach Dresden wechseln zu müssen, werden die Instrumente ausgepackt: Häfner bekommt angedeutet, dass eine dritte Möglichkeit ein sofortiger Wechsel in den NVA-Wehrdienst sein könnte.
Unter den Fans sorgen solche Vorgänge immer wieder für Empörung, nicht nur in Halle, wo erfolgreiche Spieler wie Frank Pastor oder Heiko Peschke ihren Abschied nehmen, um in Berlin und Jena weiterzuspielen. Auch in Erfurt ist die Wut so groß, dass Jenaer Abgesandte, die den talentierten Lutz Lindemann abwerben wollen, aus Furcht vor dem Rot-Weiß-Anhang mit gefälschten Kennzeichen zu den ersten Geheimverhandlungen nach Erfurt fahren.
Vergebens. Nach Lindemanns Wechsel schlägt der Volkszorn hohe Wellen. Im Stadion werden Flugblätter verteilt, ganze Parteigruppen drohen mit Austritt aus der SED. Dabei war Lindemann zuvor auf ähnliche Art von seinem früheren Verein Motor Nordhausen abgeworben worden. Lindemann selbst hatte das Angebot, nach Erfurt zu kommen, erst abgelehnt. „Aber die Nordhäuser haben mir klipp und klar gesagt, da gibt es einen Parteiauftrag, und jetzt fährst Du nach Erfurt und dann bist du am morgen bei Rot-Weiß“. (mz)