1:0 gegen Nordirland EURO 2016: Deutschland ringt Nordirland nieder

Paris - Draußen auf den Tribünen des Parc des Princes sangen die nordirischen Fans noch immer, und als Michael McGovern die Kabine betrat, applaudierten seine Mitspieler. Der Torwart der nordirischen Auswahl hatte ein großes Spiel gezeigt. Allein acht Paraden waren ihm gelungen, und sein Trainer Michael O’Neill (46) sprach hinterher von einer historischen Leistung. Man müsse wohl Pat Jennings bemühen, Nordirlands Torhüter-Ikone und einer der besten Keeper aller Zeiten, um McGoverns Leistung einzuordnen. Wobei O’Neill zum besseren Verständnis mit einem Lächeln anmerkte, McGovern sei daran gewöhnt, so viel auf das Tor zu bekommen. Denn er spiele schließlich mit Hamilton Academical in der schottischen Liga „jede Woche um sein Leben". O'Neill war zufrieden: "Wenn man davon ausgeht, dass man gegen den Weltmeister sowieso verliert, ist ein 0:1 das beste Ergebnis."
27 Schüsse auf McGoverns Tor hatten die Deutschen zuvor abgegeben, knapp 80 Prozent Ballbesitz gehabt – und am Ende doch nur 1:0 (1:0) gewonnen. „Mit dem Ergebnis bin ich nicht zufrieden“, sagte Joachim Löw anschließend, „wir hätten schon zur Halbzeit 4:0 führen können.“ Weil Polen gleichzeitig nur 1:0 gewann, reichte das Resultat dennoch zum Sieg in Vorrunden-Gruppe C. Die deutsche Elf trifft damit am Sonntag in Lille auf die Slowakei oder Albanien. „Es war ein Schritt nach vorn“, sagte Thomas Müller, der allein zweimal den Pfosten getroffen hatte. Doch der Münchner, der weiterhin ohne Treffer bei einer EM bleibt, war auch selbstkritisch: „Bei zwei von vier Szenen war auch Unvermögen dabei.“
Die Deutschen waren extrem druckvoll gestartet. Um offensiver zu sein, hatte Löw auf der rechten Abwehrseite Benedikt Höwedes durch Joshua Kimmich ersetzt. Eine gute Wahl, der 21-Jährige veränderte das Spiel der deutschen Elf fundamental: Flankte, sprintete vor und zurück – war am Ende der Mann mit der höchsten Laufleistung auf dem Platz.
Gomez in der Startelf
Löw hatte außerdem Mario Gomez in die Startelf berufen und damit einen echten Mittelstürmer aufgeboten. Mario Götze rückte auf den Flügel, es sollte also weiterhin kombiniert werden. Doch im Zentrum sollte diesmal einer stehen, der die Angelegenheit zum Abschluss bringen kann. Außerdem sollte Mesut Özil in der Spitze jemanden haben, auf den er seine torbringenden Pässe spielen konnte. Der Plan gelang in jeder Hinsicht.
Nordirland verteidigte mit einer Sechserkette und drei Mann davor, die DFB-Elf griff zu acht an. Nur Jérôme Boateng und Mats Hummels blieben an der Mittellinie zurück. Schon in der achten Minute stand Müller nach Özils Zuspiel allein vor dem Tor der Iren, schoss jedoch McGovern auf den Körper. Drei Minuten später scheiterte Özil freistehend, es folgten Kimmich (12.) und zweimal Thomas Müller (23., 27.) mit weiteren Gelegenheiten.
Das Chancenspektakel fand vor dem Block der nordirischen Fans statt, die dem Treiben ungerührt zuschauten und jeden Ball, der irgendwie in die deutsche Hälfte gelangte, wie ein Tor feierten. Das alles wirkte fußballerisch wie eine erste DFB-Pokalrunde, die Stimmung auf den Rängen war allerdings gewaltig. Derart wunderbar gelangen die Choräle der Nordiren, dass der deutsche Block zeitweise einstimmte.
In der 29. Minute geschah das Unausweichliche: Deutschland traf. Özil spielte steil in die Spitze, Gomez leitete direkt weiter auf Müller, der keinen freien Weg zum Tor fand und daher zurücklegte auf Gomez, der mit links vollendete – aus dem Strafraum, zudem leicht abgefälscht – ein klassisches Stürmertor.
Dominanter Auftritt im ersten Durchgang
Zur Halbzeit rollte der Applaus durch den Pariser Prinzenpark. Die deutschen Fans klatschten, weil ihre Mannschaft nach einem dominanten Auftritt in Führung lag. Und die Nordiren, weil alles irgendwie trotzdem wunderbar war.
Auch nach dem Wechsel sang der grüne Block unaufhörlich davon, dass die deutsche Abwehr in Panik sei, weil Will Griggs heißlaufe. Doch nichts davon stimmte. Mats Hummels und Jérôme Boateng verteidigten zwar dem Anlass entsprechend konzentriert. Doch von Angst war ebenso wenig zu sehen wie von Will Griggs, ihrem berühmten Angreifer aus der dritten englischen Liga.
Doch die DFB-Offensive verpasste weitere Tore, die sich Joachim Löw so gewünscht hatte, um Teile seines Personals zu schonen und seinen jungen Leuten zu gefahrlosen EM-Debüts zu verhelfen. „Wir haben total dominiert“, resümierte der Bundestrainer, „aber wir hätten vor dem Tor zielstrebiger sein müssen. Dann läuft sich der Gegner in der zweiten Halbzeit tot.“
Statistik zum Spiel
Nordirland
McGovern/FC Hamilton Academical (31 Jahre/14 Länderspiele) - Hughes/Melbourne City (36/102), McAuley/West Bromwich Albion (36/64), Cathcart/FC Watford (27/31), Jonny Evans/West Bromwich Albion (28/52) - Davis/FC Southampton (31/86) - Corry Evans/Blackburn Rovers (25/36) ab 84. McGinn/FC Aberdeen (28/44), Norwood/FC Reading (25/37) - Ward/Nottingham Forest (30/25) ab 70. Magennis/FC Kilmarnock (25/21), Dallas/Leeds United (25/16) - Washington/Queens Park Rangers (24/7) ab 59. Lafferty/Birmingham City (28/53). - Trainer: Michael O'Neill
Deutschland
Neuer/Bayern München (30/68) - Kimmich/Bayern München (21/2), Boateng/Bayern München (27/62) ab 76. Höwedes/Schalke 04 (28/37), Hummels/Borussia Dortmund (27/48), Hector/1. FC Köln (26/17) - Khedira/Juventus Turin (29/63) ab 69. Schweinsteiger/Manchester United (31/117), Kroos/Real Madrid (26/68) - Özil/FC Arsenal (27/76), Müller/Bayern München (26/74), Götze/Bayern München (24/55) ab 55. Schürrle/VfL Wolfsburg (25/55) - Gomez/Besiktas Istanbul (30/66). - Trainer: Löw
Schiedsrichter: Clement Turpin (Frankreich)
Tore: 0:1 Gomez (30.)
Zuschauer: 44.125
Gelbe Karten: keine
Torschüsse: 2:28
Ecken: 3:6
Ballbesitz: 26:74 %
Zweikämpfe: 81:80