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Nachwirkungen noch heute spürbar Ende der DDR-Oberliga: Wie der Ost-Fußball 1990 abgewickelt wurde

08.07.2020, 13:09

Berlin - Nicht nur in Magdeburg, Strausberg und Leipzig, sondern auch auf Malta und in Rom wurde 1990 die Auflösung des DDR-Fußball entschieden. Die Auswirkungen reichen hinein bis in die Gegenwart. „Die Einheit war absehbar, so war meine Vorstellung: Alles so schnell wie möglich“, berichtete Hans-Georg Moldenhauer, der die Fußball-Wende maßgeblich mitgestaltet hat, von der turbulenten Zeit.

Während der Deutsche Fußball-Bund (DFB) mit seinem damaligen Präsidenten Hermann Neuberger und auch die alten DDR-Funktionäre noch eine längere Übergangsphase für notwendig hielten, entwarf der Forschungsingenieur damals ein Blitzprogramm zur Fußball-Einheit. In seiner Heimatstadt Magdeburg, wo sich Fußball-Vertreter der DDR-Bezirke ohne die Verbandsoberen trafen, stellte Moldenhauer seinen Zehn-Punkte-Plan vor.

Kurz danach auf dem Verbandstag des Deutschen Fußball-Verbandes der DDR (DFV), am 31. März 1990, erhielt der ehemalige Torwart des FCM die meisten Stimmen und wurde neuer Präsident. „Manchmal wird man was, was man gar nicht werden will“, sagte Moldenhauer 30 Jahre danach: „Ich bin dann zum Fernsehen zu einem Interview gefahren. Meine Frau ist zuhause fast umgefallen, als sie mich da gesehen hat.“

Thom, Sammer, Kirsten: Wende als Glücksfall für die DDR-Stars

Für Moldenhauer, den Verband und die Clubs von Rostock über Jena und Dresden bis Zwickau ging die Zeit der Veränderungen und der Wirrungen dann erst richtig los. Die größten Stars wie Andreas Thom, den Bayer Leverkusen für 2,8 Millionen D-Mark und einen späteren Zuschlag von einer weiteren Million vom DDR-Serienmeister BFC Dynamo (FC Berlin) kaufte, wanderten schnell zu den Bundesliga-Topclubs ab.

„Die Wende hat uns natürlich ganz neue Möglichkeiten eröffnet“, sagte Matthias Sammer, der im Sommer 1990 von Dynamo Dresden zum VfB Stuttgart wechselte und dann zum ersten Spieler aus der DDR in einer wieder gesamtdeutsche Nationalmannschaft wurde. „Das war für alle ein Glücksfall, die dann den Sprung in die Bundesliga geschafft haben“, bemerkte Sammers ehemaliger Dynamo-Mitspieler Ulf Kirsten, vor drei Jahrzehnten von Bayer-Manager Reiner Calmund nach Leverkusen geholt.

Am Rande des UEFA-Kongresses im April 1990 auf Malta lotete Moldenhauer mit dem mächtigen DFB-Boss Neuberger die möglichen Perspektiven für die DDR-Clubs aus. Es war ein Zehn-Stunden-Gespräch in Neubergers Hotel-Suite. Der letzte Präsident des DFV wollte „so viel wie möglich“ Ostvereine in die 1. und 2. Bundesliga bringen und schlug eine neue „Deutschland-Liga“ vor. Oder wenigstens vier Ost-Teams in der Bundesliga und zehn in der 2. Liga. Doch so weit ging die Vereinigungsfreude beim DFB dann doch nicht.

DDR-Trainer forderten Transferstopp nach Westdeutschland

Moldenhauer geriet mehr und mehr zwischen die Interessen. Neuberger wollte vereinigte Ligen nicht vor 1992 und auch die EM- sowie Olympia-Qualifikation noch mit zwei deutschen Auswahl-Mannschaften spielen. „Wir im Fußball bestimmen nicht das Tempo“, war Moldenhauers Antwort. Die DDR-Sportclubs und Betriebssportgemeinschaften, die von Staat, Polizei, Nationaler Volksarmee und großen Betrieben finanziert wurden, verloren plötzlich ihre wirtschaftliche Grundlage. Von den 898 in der 1. und 2. DDR-Liga registrierten Spielern wollte ein Großteil nur schnell im Westen Geld machen. DDR-Trainer verlangten, dass Moldenhauer einen Transferstopp in die Bundesligen durchsetzt.

„Die Menschen haben die Mauer eingerissen, da konnten wir doch keine neue Fußball-Mauer errichten“, sagte der inzwischen 78 Jahre alte Rentner. Bei der FIFA-Tagung in Rom vor der WM 1990, zu der viele Fans aus dem Osten endlich reisen durften, meldete Moldenhauer die DDR-Auswahlteams offiziell ab. Quasi als Gegenzug brachte er für die letzte Oberliga-Saison nochmals vier Europapokal-Startplätze mit. Was ein Jahr später beispielsweise Stahl Eisenhüttenstadt zwei historische Spiele gegen Galatasaray Istanbul bescherte.

Die Vereinigungs-Formel hieß nun 2+6. Meister (Hansa) und Vizemeister (Dynamo) der Saison 1990/91 durften direkt in die aufgestockte Bundesliga. Der Dritte bis Sechste des 14-er Feldes waren in der 2. Bundesliga drin. Der Siebte bis Zwölfte mussten sich mit den beiden Staffelsiegern der 2. DDR-Liga um zwei restlichen Zweitliga-Plätze im vereinten Fußball-Deutschland streiten. „Angesichts der damaligen Situation stehe ich heute noch dazu“, betonte Moldenhauer.

Ost-Quote im Fußball ist heute schlechter als bei der Wiedervereinigung

Was folgte, waren nervöse und vielfach überforderte Vereinschefs, finanzielle Husarenritte, ein Zuschauerschwund, da die Fans lieber in die Bundesliga-Stadien reisten, große Sicherheitsprobleme und ein hart umkämpfter Wettbewerb. „In drei Jahren ist der Ostfußball tot“, hatte Hansa Rostocks Trainer und Meistermacher Uwe Reinders damals schnell prophezeit. „Wir hatten ein tolles Durcheinander, weil jeder dachte, eine zentrale Steuerung brauchen wir nicht mehr“, skizzierte Moldenhauer die Lage vor dem Anpfiff der letzten Saison.

Noch immer klafft zwischen dem Fußball Ost und West eine Lücke, die nur teilweise durch die weiter unterschiedlichen wirtschaftlichen Möglichkeiten bedingt sind. „Nicht alles hat mit der Vereinigung zu tun“, sagte Matthias Sammer, einer der Protagonisten auf dem Feld. Am 20. November 1990 löste sich der DFV in Leipzig auf, wurde einen Tag später als Nordostdeutscher Fußball-Verband in den DFB integriert. Die letzte Erstliga-Saison wurde als Nordost-Oberliga beendet.

Von den 14 Clubs der DDR-Oberliga und den 36 der 2. Liga spielen inzwischen nur der 1. FC Union Berlin in der Bundesliga und der FC Erzgebirge Aue (ehemals Wismut Aue) in der 2. Bundesliga. Der später gegründete Leipziger Club RB arbeitete sich dazu in die nationale Spitze vor. Die Ost-Quote liegt inzwischen weit unter der Ausgangslage von 1990. „Ich habe damals keine blödsinnigen Dinge gefordert“, bemerkte Moldenhauer, später Vizepräsident des DFB. (dpa)