Einzelkritik der DFB-Spieler Deutschland - Slowakei: Einzelkritik - Julian Draxler überragend, Jerome Boateng schreibt Geschichte

Lille - Eine DFB-Elf, die noch nicht am Limit spielt und dennoch ihre Achtelfinal-Partie gegen die Slowakei so souverän herunterspielte wie einen Test gegen Gibraltar: Gegen die Slowakei zeigte die deutsche Nationalmannschaft eine überzeugende Leistung und steht nach dem 3:0-Erfolg im Viertelfinale. Die Einzelkritik.
Manuel Neuer
Lief wie schon gegen Nordirland Gefahr einzuschlafen. Musste also auch dieses Mal wieder geweckt werden. Löws Baustellenspieler Hector übernahm den Job. Ließ sich allerdings bis zur 38. Minute Zeit, den Welttorhüter zu prüfen. Ein zu kurz geratener Rückpass – und Neuer war wieder hellwach. Fegte den Ball in bekannter Manier vom Rasen, rettete anschließend die Deutschen gegen Kucka – und überließ sich danach dann doch dem Lauf der Dinge: Schlummermodus nach dem postwendenden 2:0.
Joshua Kimmich
Ein Mal ist kein Mal. Nach Startelfspiel Nummer zwei aber ist klar: Kimmich ist nicht der neue Philipp Lahm, sondern einfach nur Kimmich, der neue Rechtsverteidiger. Braucht sich ab sofort keine Illusionen mehr zu machen, dass er unter Bundestrainer Löw diese Rolle wieder los wird. Spielte unauffällig solide wie sein Vorgänger, schnippelte Flanken, die allesamt mindestens den Elfmeterpunkt erreichten, verteidigte hoch wie tief und band slowakische Kräfte, die andernorts fehlten. Vorgabe wieder erfüllt.
Jerome Boateng
Hat alles schon erreicht, was man als Fußballer erreichen kann – bis auf einen Eintrag in die Geschichtsbücher. Das hat er jetzt nachgeholt. Boateng wird in den DFB-Annalen ab sofort geführt als Schütze des schnellsten Tores einer deutschen Mannschaft bei einem EM-Turnier.
Zugegeben, das ist noch weit hinten angesiedelt, aber verteidigt er weiterhin so felsenfest wie auch gegen die Slowaken, ist der Umzug nach vorn nur noch eine Frage der Zeit.
Er muss in den kommenden Spielen lediglich Reservisten-Kapitän Schweinsteiger und Torlinien-Ersatz Neuer ablösen – und wäre dann der erste dunkelhäutiger Bindenträger einer deutschen Nationalmannschaft.
Mats Hummels
Schluss mit den Erinnerungen an Franz Beckenbauer und Michael Ballack. Der Kopfhoch-Brustraus-Spieler der Deutschen, an den es sich lohnt, haltungspsychologische Fragen heranzutragen, ist Mats Hummels. Kein zweiter Spieler trippelt, grätscht, passt und dirigiert vergleichbar gravitätisch. Bekam gegen die Slowaken neue Höchstwerte in der B-Note, und legte auch einen exzellenten A-Noten-Auftritt hin.
Jonas Hector
Löw kann dem Kölner dankbar sein. So hat er bis zum nächsten Spiel etwas, worüber es sich nachzudenken lohnt. Die Herausforderung bei Hector lautet: Wie bringe ich dem Linksverteidiger das Flanken bei? Von 1 001 Flugbällen überwand kein einziger den Gegner. Auch nach hinten war der Auftritt mäßig: Waren die Slowaken gefährlich, dann durch Läufe von Pekarik – Hectors Gegenspieler.
Sami Khedira
Wurde vor dem Spiel mit der Möglichkeit bedroht, durch Schweinsteiger ersetzt zu werden. Entschied sich deshalb, den Bundestrainer mit einer Camouflage-Taktik zu verunsichern. Übernahm von seinem Sechser-Kollegen die Rolle des Passwerkers – und legte Löw eine 95-Prozent-Passankommerquote zum Grübeln vor.
Toni Kroos
Der Passwerker des deutschen Spiels kann auch anders: phänomenal pressen. Stopfte Löcher, schloss Räume, stand dem Slowaken-Spielmacher Hamsik auf den Füßen - und hielt sich ansonsten zurück. Auch um die eigenen Räume nicht kleiner zu machen. Und um sich hin und wieder wegstehlen zu können. Stand ein Mal neun Meter vor seinem ersten Turniertor, scheiterte aber mit einem – Achtung! – unpräzisen Schuss.
Thomas Müller
Hat seinem Spiel eine neue Facette gegeben: die eines irrlichternden Batterie-Hasen. Hastete auch nach dem 3:0 noch atemlos durch den slowakischen Raum auf der Suche nach einer Tor-Möglichkeit. Was der Kerngrund gewesen sein dürfte, warum ihm auch in diesem Spiel sein erster EM-Treffer nicht gelingen wollte. Rannte in Räume hinein, die sich selbst dem Raumdeuter des deutschen Spiels offensichtlich nicht erschlossen. Blieb ohne nennenswerte Einschuss-Chance.
Mesut Özil
Spielte die ersten 45 Minuten formidabel, schonte sich in den zweiten 45 Minuten für größere Aufgaben – und durfte sich darüber freuen, im Vorfeld der Partie keinen Fasching veranstaltet zu haben. Verschoss beim knappen Vorsprung von 1:0 einen Elfmeter, was unweigerlich Erinnerung an seinen zuletzt vermurksten Strafstoß weckte: 2014 im Champions-League-Spiel seines Vereins FC Arsenal gegen die Bayern. Damals hatte sich Özil vor der Partie im Superman-Kostüm dargestellt, um hinterher von den englischen Medien mit dem Kommentar eingebürgert zu werden: „Jetzt ist Özil einer von uns.“ Der Brexit ist ihm somit nicht gelungen.
Julian Draxler
Ersetzte Mario Götze – und nutzte nach dem Bankdrückerspiel gegen die Nordiren seine wohl einzige Chance, dauerhaft in die Turnierstammelf vorzustoßen. Legte das zweite Tor auf, schoss das dritte selbst, was prompt zur Wahl des „Man of the Match“ führte. Und er deutete an, dass er nach zahlreichen Solalala-Auftritten gewillt ist, sich als Nationalspieler zu etablieren. Hat sich auf den Kopf einen Undercut frisieren lassen, wie ihn nur die Führungsspieler im deutschen Kader tragen.
Mario Gomez
Schoss sein fünftes Allzeit-EM-Tor, mit dem er Jürgen Klinsmann ab sofort Gesellschaft im DFB-Statistikbüchlein leistet. Und wurde ansonsten auch gegen die Slowaken seiner neuen Rolle gerecht. Die angebliche Neun ist mittlerweile ein Nahkampfspieler ohne Ziffernzuweisung. Band 90 Minuten lang die gegnerischen Innenverteidiger und trug wieder Sieg und Zeichen davon. Gegen die Nordiren schleppte er zwei tiefe Kratzer am Oberarm in die Kabine, dieses Mal war es ein Riss in der Nackenhaut.
Lukas Podolski
Hat allen Grund, sauer zu sein auf Löw. Der Bundestrainer verweigerte dem Lieblingsspieler der deutschen Fankurve einen Turnierauftritt wie seinem irischen Pendant Will Grigg, der „on fire“ keine einzige Turnierminute auf dem Platz stehen durfte. Podolskis Enttäuschung dürfte sich allerdings in Grenzen halten. Zumal er zeigte an, dass seine Einwechslung durchaus auch etwas mit Fußball zu tun hatte.
Benedikt Höwedes
Vertrat den heimlichen Feldspieler-Kapitän Jerome Boateng und löste seine Vorgabe akkurat – den Gegner nicht merken zu lassen, dass Boateng das Feld verlassen hatte.
Bastian Schweinsteiger
Vier Spiele lang hat der Kapitän die Heimat mit der Frage in Atem gehalten, ob er rechtzeitig fit wird und in die Startelf zurückkehrt. Jetzt gab er die Antwort: Fit ist er, aber zurückkehren wird er nicht. In dieser Verfassung ist Löws „aggressive leader“ wertvoller auf der Bank als davor. (mz)
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