Bastian Schweinsteiger Bastian Schweinsteiger: Der alte und neue Monarch

Santo André - Am Sonntag wurde das Örtchen Santo André Schauplatz eines bemerkenswerten Ereignisses. Bastian Schweinsteiger, alter und neuer Monarch des deutschen Mittelfeldes, gewährte der Weltöffentlichkeit eine Audienz. Passend zum Halbfinale beendete er sein selbst auferlegtes Schweigegelübde. Zum ersten Mal seit der Ankunft in Brasilien sprach der deutsche Spieler – und bestritt, dass seine mediale Abstinenz mit der Berichterstattung über ihn zu tun gehabt habe: „Ich habe mich mehr darauf konzentriert, fit und gesund zu werden. Ich bin nicht der Freund davon, viel drum herum zu reden und spreche lieber intern Dinge an, die wesentlich sind.“
Auch Ärger aufgrund seiner vorübergehenden Reservistenrolle habe „nichts damit zu tun, böse zu sein“, vielmehr habe er „komplett die Meinung vom Bundestrainer geteilt“: „Er hat zu 100 Prozent richtig entschieden. Es geht ja auch nicht immer um einzelne Personen. Es geht darum, dass Deutschland Weltmeister wird.“ Die Debatte über seinen Fitnesszustand hatte in den ersten Turnierwochen mythische Ausmaße angenommen, nach seiner Degradierung zum Bankangestellten wurde er als „Führungsspieler außer Dienst“ und „wunderbarer Partner zum Reden“ verspottet.
Antworten darauf hatte es bis zum Sonntag nur fußballerischer Natur gegeben. Gegen Ghana übernahm Schweinsteiger als Einwechselspieler die Kontrolle über ein unkontrollierbar wirkendes Konterfestival. Mit weiteren Einsätzen verstummte auch das Gerede um seine angeblich WM-untaugliche Fitness. Schweinsteiger meldet sich fit für die entscheidende Phase: „Ich fühle mich sehr gut und habe zuletzt auf hohem Niveau viele Minuten gespielt. Ich bin bereit, auch mehr als 90 Minuten zu gehen.“ Im Ausland hatte die Debatte um den 106-maligen Nationalspieler für Verwirrung gesorgt. Schweinsteiger gilt als Star des deutschen Teams und ist eine internationale Marke. Brasiliens verletzte Turnierversicherung Neymar hatte den Bayern sogar als „wunderbarsten Spieler, den ich kenne“ bezeichnet.
In Brasilen wird Schweinsteiger nicht bloß für seine sportlichen Leistungen geschätzt, er ist der beliebteste deutsche Spieler. Ein Image, das er durch gezielte Aktionen fördert. So ließ er sich während der WM schon in Trikots der Klubs Bahia, Flamengo und Porto Alegre ablichten – Bilder, die die brasilianischen Medien gern aufnahmen und im 200-Millionen-Einwohner-Land sympathiefördernd verbreiteten. Am Sonntag erklomm Schweinsteiger wohl endgültig den Thron des Nicht-brasilianischen Lieblings. Mit überzeugender Mimik sprach er Neymar sein Mitgefühl aus: „Wir sind alle sehr traurig, dass Neymar nicht spielen kann. Es ist immer am besten, wenn alle großen Spieler in großen Spielen auf dem Platz stehen. Aber ich kann mir schon vorstellen, dass die Verletzung die Truppe zusammenschweißt und die Spieler nun den Titel für ihn holen wollen. Es wäre noch schöner, im Finale gegen Brasilien zu spielen.“
Das Halbfinale gegen Brasilien im schlagartig zum Zentrum der Weltmeisterschaft erwachsenen Belo Horizonte ist vielleicht das bedeutungsvollste Länderspiel des 29-Jährigen: „Es hat einen sehr hohen Stellenwert. Gegen den Gastgeber zu spielen ist eine große Ehre und große Herausforderung. Je erfahrener man ist, umso mehr saugt man so ein Spiel in so einem fußballverrückten Land auf.“ Um seinen Einsatz sorgt sich Schweinsteiger trotz des Überraschungspotenzials des Bundestrainers nicht. Zumal Assistent Hansi Flick die neue, alte taktische Variante mit Khedira und Schweinsteiger im Zentrum plötzlich und eher beiläufig zur Grundidee der Vorbereitung erklärte. „Sami und Bastian hatten vor der WM nicht den Rhythmus. Wir haben unsere Hoffnungen immer auf die K.-o-Runde gesetzt. Dass nun alle zu 100 Prozent fit sind, ist ausgezeichnet.“
Wenige Monate vor seinem 30. Geburtstag greift Schweinsteiger somit erneut nach einem Titel mit der Nationalelf – nach seinem ersten. Wenn es in Brasilien trotz der fünften Halbfinal-Teilnahme in Serie wieder nicht reicht, will er die Bemühungen jedoch nicht einstellen. „Ich bin 29, das ist ein gutes Alter. Ich kann sicherlich noch eine WM spielen.“
Gegen Brasilien soll aber zumindest das erste Weltmeisterschafts-Finale seiner Karriere realisiert werden. Schweinsteiger erwartet einen harten Kampf, mit dem Spielbeginn endet die gegenseitig gepflegte Charmeoffensive. „Brasilien spielt anders, als in der Vergangenheit. Eine gewisse Härte gehört bei ihnen dazu, darauf müssen wir eingestellt sein. Wer jetzt denkt, die Brasilianer sind Zauberer, liegt falsch.“