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DDR-Nationalspieler DDR-Nationalspieler: Vor 30 Jahren starb Eigendorf auf mysteriöse Weise

Von Thomas Purschke 06.03.2013, 11:27
Lutz Eigendorf, hier ein Foto aus dem Jahr 1979, spielte nach seiner Flucht zunächst in Kaiserslautern.
Lutz Eigendorf, hier ein Foto aus dem Jahr 1979, spielte nach seiner Flucht zunächst in Kaiserslautern. dpa Lizenz

Braunschweig/MZ - Zu den spektakulärsten und bis heute nicht komplett aufgeklärten Todesfällen im Sport während der Zeit der deutschen Teilung gehört die Causa Lutz Eigendorf. Vor 30 Jahren am 7. März 1983, verstarb der vier Jahre zuvor aus der DDR geflüchtete Braunschweiger-Bundesliga-Profi Lutz Eigendorf an seinen schweren Kopf- und Brust-Verletzungen in der Unfallklinik. 34 Stunden zuvor war der 26-jährige alleine bei regennasser Fahrbahn nachts mit seinem Alfa Romeo-Sportwagen unangeschnallt mit voller Wucht in einer Rechtskurve der Forststraße bei Querum/Braunschweig gegen eine Ulme gekracht.

Durch den Leistungssport lernten sie die große, weite Welt kennen - zahlreiche DDR-Athleten trieb der Wunsch nach Freiheit schließlich zur Flucht in den Westen. Der BFC-Fußballer Lutz Eigendorf, der vor 30 Jahren auf mysteriöse Weise ums Leben kam, ist nur einer von etwa 600 Spitzensportlern, die es auf manchmal gefahrvollen Wegen in den Westen zog. Im Osten Deutschlands wurden sie einst als Idole verehrt, nach ihrer Flucht jedoch als Vaterlandsverräter beschimpft.

1979 nutzt der Fußballtrainer eine Jugoslawien-Reise zur Flucht in den Westen. Dort muss er zunächst von Sozialhilfe leben, da der Deutsche Fußball-Bund seine DDR-Trainerlizenz nicht anerkennt. Später beißt er sich durch und betreut mit Erfolg die Bundesligisten Eintracht Frankfurt, 1. FC Köln und Schalke 04. Ein Jahr vor seinem Krebstod 2010 veröffentlicht Berger seine Autobiografie mit dem Titel „Meine zwei Halbzeiten. Ein Leben in Ost und West“.

Nach einem Fußball-Freundschaftsspiel des BFC Dynamo beim 1. FC Kaiserslautern setzt sich der DDR-Nationalspieler in den Westen ab. Am 21. März 1979 nutzt er einen Einkaufsbummel in Gießen zur Flucht. Der DDR-Fußballverband beantragt eine zweijährige Sperre für Eigendorf, doch die FIFA erteilt ihm nach Ablauf der einjährigen automatischen Sperre die Spielerlaubnis. Im Frühjahr 1983 kommt er bei einem Autounfall ums Leben. Danach gibt es zahlreiche Indizien, dass die Stasi in den Fall verwickelt ist.

Im November 1983 nutzt der Fußballer ein Europapokalspiel des DDR-Meisters BFC Dynamo bei Partizan Belgrad zur Flucht. Über die Belgrader Botschaft der Bundesrepublik kommt der DDR-Juniorenauswahlspieler zu Bayer Leverkusen. Die Verbindung des späteren Trainers von Hertha BSC zu Coach Dettmar Cramer kommt über Jörg Berger zustande.

Ein Stasi-Spitzel lockt den Olympia-Zweiten im Diskuswerfen von 1976 in Montreal mit einem fingierten Fluchtplan in die Falle. 1982 wird er zu einer anderthalbjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Erst Ende 1987 darf er aus der DDR ausreisen - zu spät, um für die Olympischen Spiele 1988 in Seoul nominiert zu werden.

Der Skisprung-Olympiasieger von 1976 und Oberstleutnant der Nationalen Volksarmee gilt als eine der schillerndsten Figuren des DDR-Sports. 1988 gelingt ihm die Flucht in den Westen, seine Familie muss er zunächst in der Heimat zurücklassen. Erst wenige Monate vor dem Fall der Mauer erhalten seine Angehörigen durch Vermittlung der UNO die Erlaubnis, nach Freiburg überzusiedeln, wo Aschenbach als Arzt arbeitet.

1979 flüchtet die dreimalige Schwimmweltmeisterin über Ungarn in den Westen. Ihr Mann wird in der DDR als potenzieller Fluchthelfer verhaftet. „Der Sport ist der einzige Weg, ins Ausland zu kommen. Das ist eine Motivation, die man in der Bundesrepublik gar nicht kennt“, sagt sie nach ihrer Flucht in einem dpa-Interview.

Mit Unterstützung durch Reck-Weltmeister Eberhard Gienger, heute CDU-Abgeordneter im Bundestag, flieht der prominente Turner am 2. Juni 1975 während der Europameisterschaft in Bern. In Leverkusen schließt er sich Bayer 04 an und wird 1977 deutscher Mehrkampf-Meister, gewinnt auch am Pauschenpferd und beim Sprung.

Eigendorf hinterließ damals seine Frau Josephine und einen fünf Wochen alten Sohn. Viele Indizien deuten daraufhin, dass der DDR-Geheimdienst bei diesem Crash seine Finger mit im Spiel hatte. Bereits kurz nach dem Unfalltod von Lutz Eigendorf kamen erste Hinweise und Gerüchte dazu auf. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig schloss den Fall dennoch rasch ab, da man bei Eigendorf einen Blutalkoholwert von 2,2 Promille festgestellt hatte. Mehrere Zeugen hatten allerdings damals ausgesagt, Eigendorf habe vor seiner tödlichen Autofahrt weitaus weniger getrunken. Von den DDR-Spitzenfunktionären wurden Flüchtlinge wie Eigendorf als „Sport-Verräter" gebrandmarkt und auch in Westdeutschland von der Stasi bedroht. Eigendorf hatte ausgerechnet für den Ostberliner Stasiclub BFC Dynamo gespielt, dessen oberster Chef Erich Mielke war. Für den cholerischen Minister für Staatssicherheit stellte Eigendorfs Flucht zum „Klassenfeind" eine schwere Niederlage dar.

Erst nach der Wiedervereinigung wurden zahlreiche Stasi-Akten entdeckt, die enorme Aktivitäten des DDR-Geheimdienstes bei der Überwachung des "Verräters" Eigendorf in Westdeutschland dokumentieren. Über 50 Stasi-Spitzel wurden bei der bis zu seinem Tod fast vier Jahre andauernden Observation von Eigendorf und seiner Familie sowie Bekannten zum Einsatz gebracht. Dafür erhielten die Spitzel zum Teil erhebliche Geldsummen. Die Stasi setzte auf Eigendorfs erste Ehefrau Gabi, die mit ihrer zweijährigen Tochter in Ostberlin zurückblieb, einen früheren Jugendfreund als Romeo an, den sie später auch heiratete.

Der im Auftrag der Stasi 1980 in den Westen ausgereiste einstige DDR-Boxmeister Karl-Heinz Felgner alias IM „Schlosser“ schlich sich als vermeintlicher Freund in die neue Familie von Lutz Eigendorf ein. Felgner kannte Eigendorf aus Ostberlin. Er lieferte der Stasi detaillierte Informationen über Lebensweise, Verbindungen, und Besitzverhältnisse. Auffällig viele Treffen von Felgner mit seinen Führungsoffizieren in den Wochen vor Eigendorfs Unfall sowie Geldprämien sind aktenkundig. 2010 hatte Felgner vor dem Landgericht Düsseldorf wegen schweren Raubes in einer Drogerie, im Prozess ausführliche Angaben zu seinem Lebenslauf gemacht und dabei überraschenderweise auch von einem konkreten Mordauftrag damals für Eigendorf gesprochen. Er habe diesen einst von der Stasi erhalten und auch angenommen, um mit seiner Lebensgefährtin aus der DDR ausreisen zu können. Ausgeführt habe er den Mordauftrag, wie er behauptete, jedoch nicht.

Auch die mögliche Verwendung von Giftstoffen, Gasen, Rauschgift/Narkosemitteln bis hin zu Röntgenstrahlen bei Eigendorf, wurde von den Stasi-Offizieren in Ostberlin diskutiert, wie aufgefundene Dokumente belegen. Demnach könnte der mysteriöse Verkehrsunfall ein zumindest geplanter Mordanschlag der Stasi gewesen sein. Der pensionierte Braunschweiger Oberstaatsanwalt Hans-Jürgen Grasemann und langjährige Behördensprecher, sagt, es bleibe ein Mysterium, „der letzte Beweis fehlt, aber der riesige Aufwand der Stasi lässt den Schluss zu, dass entweder die Tötung oder eine Entführung geplant war.“

Der Fall sorgt bis heute für Diskussionen. Andreas Holy befasste sich an der Uni Mainz in seiner Abschlussarbeit zum Lehramt-Staatsexamen intensiv mit der Causa Eigendorf. Beim Studium der Aktenlage stellte der fußballinteressierte Pädagoge fest, dass die Ermittlungsbehörden in Westdeutschland die politische Brisanz des Falles damals unterschätzt und nicht einmal eine Obduktion des Leichnams und eine Untersuchung auf eventuelle Giftstoffe angeordnet hatten. Auch das Unfallauto wurde nur von einem KfZ-Sachverständigen auf eine mögliche Manipulation von Bremsen, Lenkung und Reifen hin überprüft. Eine ausführliche kriminaltechnische Untersuchung unterblieb indes. Andreas Holy verweist darauf, dass die Polizei Braunschweig den Fall ziemlich schnell als Alkohol-Unfall abgehakt hat. Eigendorf wurde ohne Obduktion als Unfall-Toter in Kaiserslautern erdbestattet. Nach dem Mauerfall hat dann die Staatsanwaltschaft Berlin 1990 die Ermittlungen wieder aufgenommen. Holy sagte dazu dem WDR Köln: „Bei der Analyse der Verhöre von Beschuldigten oder auch von Zeugen ist mir aufgefallen, dass die Staatsanwaltschaft ja eher den Fall als Belastung angesehen hat und zum Teil auch zu wenig Ressourcen bereitgestellt hat, um diesen Fall zu bearbeiten."

So wurde neben anderen wichtigen Verdächtigen aus dem DDR-Geheimdienst-Apparat beispielsweise der einstige Stasi-Oberstleutnant Heinz Heß, der mit der Observation von Lutz Eigendorf im Westen befasst war, von den Ermittlern nie vernommen. Heß war in der Stasi-Zentrale Berlin, Abteilungsleiter für Sonderaufgaben der „Zentralen Koordinierungsgruppe ZKG“. Diese war für die Bekämpfung von „Republikfluchten" zuständig. In DDR-Geheimdienstakten ist dokumentiert, dass Heß ausgerechnet am Todestag von Eigendorf mit einer Sonderprämie von 1.000 DDR-Mark ausgezeichnet worden war.

Andreas Holy rekonstruiert: „Heinz Heß wurde als Beschuldigter in einem Mordfall vorgeladen von der Polizei, ist jedoch einfach nicht erschienen zu diesem Verhör. Daraufhin wurden auch keine weiteren Schritte mehr unternommen, was meiner Meinung nach sehr kritisch zu sehen ist. Also ich muss hier schon ein Versagen der Staatsanwaltschaft betonen."

Ex-Stasi-Offizier Heinz Heß verstarb im Jahr 2004. Die Staatsanwaltschaft Berlin, die den Fall über Jahre bearbeitet und 2004 eingestellt hatte, erklärte nach nochmaliger Prüfung Anfang 2011, dass es „keine objektiven Hinweise auf ein Fremdverschulden“ gebe. Der Chef der Stasi-Unterlagenbehörde, Roland Jahn, sagte dass es durchaus möglich sei, dass in den nahezu 15 000 Papiersäcken mit zerrissenen Stasi-Akten noch Dokumente gefunden werden, die eine weitere Aufklärung auch der Causa Eigendorf befördern können. An der Rekonstruktion des Aktenmaterials werde intensiv gearbeitet.