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  7. Tod von Joachim Streich: Ralf Minge adelt DDR-Legende

„Mein Applaus war ihm schon zu Lebzeiten sicher“ Ostfußball trägt Trauer: Auch Ralf Minge adelt DDR-Legende Joachim Streich

Drei Monate nach dem Tod von Hans-Jürgen Dörner trauert der Fußball-Osten um Joachim Streich. Den einst geniale Stürmer verlor an Ostern den Kampf gegen seine schwere Krankheit.

Aktualisiert: 18.04.2022, 12:27
Die Fans des 1. FC Magdeburg verabschiedeten sich mit einem Banner von Klublegende Joachim Streich.
Die Fans des 1. FC Magdeburg verabschiedeten sich mit einem Banner von Klublegende Joachim Streich. (Foto: IMAGO/Eibner)

Magdeburg/Halle (Saale)/dpa - Am Ostermontag waren am Magdeburger Stadion vereinzelt Blumen niedergelegt, einige hatten Kerzen angezündet und Abschiedsbriefe in den Zaun geklemmt. Die Botschaft war stets dieselbe: „Ruhe in Frieden, Achim“.

In Joachim Streich hat nicht nur der 1. FC Magdeburg eine Club-Legende verloren, sondern der ganze Osten nur drei Monate nach dem Tod von Hans-Jürgen Dörner ein weiteres Fußball-Idol. In der Nacht zum Samstag war der Rekordspieler der DDR seiner schweren Krankheit im Alter von 71 Jahren erlegen.

Den nahen Aufstieg seines 1. FC Magdeburg, bei dem er einst an der Seite von Jürgen Sparwasser stürmte, wird Streich nicht mehr erleben. In Kürze soll ein Kondolenzbuch ausgelegt werden. Es wird ein merkwürdiger Stimmungsmix aus Trauer und Freude, sollte dem FCM am Sonntag im eigenen Stadion die Rückkehr in die 2. Liga gelingen.

Joachim Streich stirbt nach langer, schwerer Krankheit

„Wir hatten bis zuletzt gehofft. Er war lange Zeit schwer krank. In den vergangenen Wochen ging es bergauf und bergab“, sagte Ehefrau Marita Streich der Deutschen Presse-Agentur. Ihr Mann, den sie 1970 kennengelernt und ein Jahr später geheiratet hatte, litt an einem Myelodysplastischem Syndrom, das im schlimmsten Fall zu Blutkrebs führen kann.

Streich war in den vergangenen Wochen wegen Blutarmut im fortgeschrittenen Stadium in Behandlung und musste eine Stammzellentransplantation wegen einer Lungenentzündung verschieben.

Sein früherer Nationalmannschaftskollege Ralf Minge zeigte sich erschüttert. „Es ist tragisch und unfassbar traurig, dass nach Dixie Dörner nun drei Monate später mit Achim Streich ein weiterer Weltklasse-Spieler der DDR die Bühne des Lebens zu früh verlassen hat. Mein Applaus war ihm schon zu Lebzeiten sicher und ich war stolz, beim 100. Länderspiel der Torjäger-Legende im Wembley-Stadion mit auf dem Rasen gestanden zu haben“, sagte Minge, aktuell Sportchef beim Halleschen FC der dpa: „Achim Streich war nicht nur ein herausragender Stürmer, sondern zudem überaus unterhaltsam mit Geschichten und wertvollen Ratschlägen, die mich durch die gesamte Laufbahn begleiteten.“

Mitspieler halfen Joachim Streich bei Hansa Rostock mit Essensmarken aus

Auf 102 Länderspiele und 55 Tore brachte es Streich, wegen seines strammen Schusses nur „Strich“ genannt, im DDR-Trikot. Hinzu kommen 229 Tore in 378 Spielen der Oberliga - Rekorde für die Ewigkeit. Dabei knipste der Junge aus der Hansestadt Wismar zunächst unter dem Radar.

Die Treffsicherheit des Teenagers war dem Verband nicht aufgefallen und so wechselte er mit 16 Jahren sozusagen freiwillig zum FC Hansa Rostock. Streich durfte zwar im Internat wohnen, wurde aber nicht verpflegt. Schließlich halfen die älteren Mitbewohner dem Angreifer, der in seiner Karriere zum außergewöhnlichsten Stürmer der DDR reifen sollte, mit Essensmarken aus.

Von 1967 bis 1975 spielte Streich beim FC Hansa, doch zu seinem Glück in Magdeburg wurde er nach dem Rostocker Abstieg sozusagen gezwungen.

„Ich wollte weiter Oberliga spielen und zum FC Carl Zeiss Jena wechseln. Der Verein war sehr professionell aufgestellt, mit Trainer Hans Meyer herrschte bereits Einigkeit. Auch für meine Frau hatten sie in Jena eine Arbeitsstelle besorgt“, hatte Streich der Deutschen Presse-Agentur kurz vor seinem 70. Geburtstag berichtet. Doch der Verband grätschte dazwischen und delegierte Streich zum FCM.

Beim 1. FC Magdeburg startete Joachim Streich in der DDR-Oberliga durch

Seinen Leistungen tat das keinen Abbruch. Streich wurde viermal Torschützenkönig der DDR-Oberliga und mit dem FCM dreimal FDGB-Pokalsieger. Wegen seiner Schlitzohrigkeit wurde er oft mit Gerd Müller verglichen, für viele war Streich der „Gerd Müller des Ostens“.

„Wir haben am Samstagabend in der Sportschau natürlich die Bundesliga geschaut. Gerd Müller war wegen seiner genialen Tore auch ein Vorbild für mich“, sagte Streich, der mit der DDR-Auswahl 1972 Olympia-Bronze gewann und 1974 an der Weltmeisterschaft teilnahm: „Es gab national wie international viele tolle Momente, aber mein 100. Länderspiel im Londoner Wembley Stadion bleibt mir besonders gut in Erinnerung.“

Für Joachim Streich stand eine Flucht aus der DDR nie zur Debatte

Trotz dieser beeindruckenden Zahlen stand Streich während seiner Karriere oft in der Kritik. In der „Fuwo“, das oft schnell vergriffene Fußball-Fachblatt der DDR, wurde Streichs Leistungen oft kritisiert. „Jürgen Croy wollte mich danach moralisch immer aufbauen. Da habe ich ihm gesagt: „Jürgen, du musst mich nicht aufrichten. Ich weiß, dass ich hier der Beste bin““, sagte Streich.

Bis zuletzt lebte Streich in der Nähe von Magdeburg. Eine Republikflucht stand nie zur Debatte. Sportlich, davon war Streich überzeugt, hätte er es gepackt: „Ich glaube, und das haben die Vergleiche mit den westdeutschen Mannschaften gezeigt, dass ich mich auch in der Bundesliga durchgesetzt hätte.“