1. MZ.de
  2. >
  3. Sport
  4. >
  5. 1. FC Magdeburg
  6. >
  7. Auseinandersetzung mit HFC-Fans: 1. FC Magdeburg-Fan Hannes traf auf HFC-Fans und sprang aus fahrendem Zug

Auseinandersetzung mit HFC-Fans 1. FC Magdeburg-Fan Hannes traf auf HFC-Fans und sprang aus fahrendem Zug

Von Clemens Boisserée 05.10.2016, 12:17
Der Bahnhof von Haldensleben.
Der Bahnhof von Haldensleben. Matthias Strauß

Haldensleben - Es ist kurz vor 17 Uhr an diesem Samstagnachmittag, als sich eine größere Fangruppe des Halleschen FC in Köln auf den Heimweg macht. Gerade noch hatten sie ihr Team im Drittliga-Auswärtsspiel unterstützt, jetzt wartet die lange Zugtour zurück.

Es ist kurz vor Mitternacht, als es auf dem Weg zum nächsten Zwischenstopp in Magdeburg zu jenem folgenschweren Vorfall kommt, der seit Sonntag die Fußballfans in Sachsen-Anhalt bewegt.

Hannes ist Fan des 1. FC Magdeburg

Der 25-jährige Hannes S. ist Fan des 1. FC Magdeburg, Mitglied der Ultraszene des Drittligisten aus der Landeshauptstadt. An diesem Samstag hat sein FCM ein Heimspiel gegen Kiel gewonnen. Hannes trägt noch ein T-Shirt seiner Fangruppe, als er sich gegen kurz vor Mitternacht in Haldensleben auf den Heimweg machen will.

Mit drei weiteren FCM-Fans steigt er in die Regionalbahn 16431 aus Wolfsburg in Richtung Magdeburg. Und trifft dort auf die große Fangruppe des Magdeburger Erzrivalen aus Halle. Ein Treffen, das für den jungen Barlebener auf der Intensivstation endet.

Keine Polizei in Regionalbahn Richtung Magdeburg

„Nach aktuellem Ermittlungsstand kam es zu Auseinandersetzungen zwischen beiden Lagern“, sagt ein Polizeisprecher der Polizeidirektion Nord drei Tage später. Um welche Form der Auseinandersetzung es sich handelte, verbal oder non-verbal, dazu kann die Behörde bislang keine Angaben machen.

Ein Zeuge berichtet der MZ, im Zug selbst sei währenddessen – wie auf der gesamten Tour – keine Polizei dabei gewesen. „Wir nehmen vor jedem Wochenende eine Lagebeurteilung vor, wo entsprechende Gefahren in den Zügen drohen, sind wir präsent“, hieß es dazu von der zuständigen Bundespolizeidirektion in Pirna. Heißt auch: Es wurde nicht erwartet, dass von den HFC-Fans eine Gefahr ausgeht.

Klar ist aber: Hannes fühlt sich bedroht. Der Zeuge berichtet, wie er - kurz nachdem der Zug in Haldensleben abfährt, versucht die Tür zu öffnen. Als ihm das schließlich gelingt, „ist er eiskalt gesprungen“, so der Zeuge. Der Polizeibericht lässt am Tag danach zunächst offen, ob Hannes wirklich selbst sprang – oder ob doch Dritte ihn aus dem Zug warfen.

Erst am Dienstag bestätigt ein Polizeisprecher: „Er hat aufgrund der Bedrohung durch den gewaltbereiten Mob selbst die Notentriegelung betätigt.“ 

Wieso bekam Hannes lange keine Hilfe?

Das Ergebnis jedenfalls ist tragisch, schrecklich. Hannes erleidet beim Aufprall lebensgefährliche Kopfverletzungen. Das wird jedoch erst spät klar. Es dauert knapp eine Stunde, ehe Rettungskräfte ihn finden und versorgen. Sie bringen den Schwerstverletzten in ein Magdeburger Krankenhaus, wo er seither im Koma auf der Intensivstation um sein Leben kämpft. „Wir versuchen, der Familie und den Freunden Trost zu spenden und Kraft zu geben“, sagte Stefan Roggenthin vom Fanprojekt Magdeburg. Am Montag versammelten sich rund 200 Mitglieder der FCM-Fanszene vor dem Hospital. „Kämpfe Hannes!“ hatten sie auf ein großes Spruchband geschrieben.

Wieso es so lange dauert, ehe Hilfe vor Ort ist, lautet eine der vielen offenen Fragen. Weder die Hallenser noch die Magdeburger Fans hätten den Rettungsdienst alarmiert, erklärt ein Polizeisprecher gegenüber der MZ. Ein externer Zeuge habe den Verletzten zufällig am Gleisrand gefunden und die Sanitäter alarmiert. Diese wiederum schalteten nun die Beamten ein. Zu diesem Zeitpunkt ist der Zug längst an seinem Zielort Magdeburg angekommen.

Waren die Türen der Regionalbahn defekt?

Denn den Ermittlungen nach fährt die Regionalbahn trotz des Sprungs unverändert weiter, die Türen schließen sofort wieder. Wieso der Fahrzeugführer, der laut Deutscher Bahn ein Signal bekommt, sobald Störungen an den Türen bemerkt werden, nicht anhält, ist unklar.

Genauso fraglich ist, wie Hannes die Tür überhaupt öffnen konnte - nach Angaben der Bahn hätte das überhaupt nicht möglich sein dürfen. „Damit das Aufschieben während der Fahrt nicht ohne weiteres möglich ist, wird die Tür trotz Betätigung der Türnotenriegelung durch die Türsteuerung geschlossen gehalten“, schreibt die Bahn auf Anfrage. „Unter normalen Bedingungen kann die Tür nicht gegen die weiter anliegende Motorkraft geöffnet werden.“ Folglich muss das System defekt gewesen sein, was laut Bahn bereits durch die Bundespolizei untersucht wurde – ohne Befund.

27 HFC-Fans werden nachträglich ermittelt

Die Bahn fährt also weiter, nächster Halt ist Vahldorf. Hier drängen die HFC-Fans die drei Begleiter des Opfers schließlich aus dem Zug, so schildert es die Polizei. Im Nachgang ermittelt sie 27 Hallenser, die zu diesem Zeitpunkt noch im Zug saßen. Am Abend des Vorfalls selbst können die HFCer ihre Reise ohne Befragung fortsetzen. „Die Ermittlungen laufen weiter. Wir werten die Videoaufzeichnungen aus dem Zug aus. Auch Zeugen aus beiden Fanlagern werden noch gesucht“, so die ermittelnde Polizeidirektion Nord.

Die Sorge vor einer neuen Eskalationsstufe zwischen den beiden Fanlagern ist groß, sie äußert sich in zahlreichen Internetforen, wo manch ein FCM-Fan schon nach Vergeltung schreit. Gegenüber der MZ erzählt der Zeuge aber auch, die HFC-Fans hätten einen zweiten Magdeburger vom Sprung aus dem Zug abgehalten. Ein solches Handeln könnte die angespannte Stimmung zwischen beiden Fanlagern vielleicht etwas beruhigen. Die Polizei kann die Schilderung jedoch bislang nicht bestätigen.

Auf Facebook veröffentlicht der Bruder von Hannes am Montagabend einen Appell: „Natürlich bin ich sauer. Aber vor allem bin ich traurig. Und es wäre jetzt genau das Falsche, wütend zu sein oder sich gar rächen zu wollen.“

Eine Tür der Regionalbahn, aus der sich der FCM-Fan am Samstagabend stürzte.
Eine Tür der Regionalbahn, aus der sich der FCM-Fan am Samstagabend stürzte.
Matthias Strauß