Wissenschaft Wissenschaft: DNA-Test beim Neandertaler
Leipzig/London/Washington/dpa. - Die Analyse von Erbgut aus denarchäologischen Funden ist schwierig. Die verfügbaren Mengen anErbsubstanz (DNA) sind sehr gering, zumeist stark verschmutzt und vomZahn der Zeit gezeichnet. Zudem steht meist nur so genanntemitochondriale DNA von Frühmenschen zur Verfügung, die ausschließlichvon der Mutter vererbt wird und ein eingeschränktes Bild liefert.
Doch jetzt sehen Edward Rubin und seine Kollegen «die Sonne derGenetik über der Neandertalerforschung aufgehen». Im US-FachjournalJournal «Science» berichten sie von ihren Fortschritten bei derAnalyse des Erbguts unseres ausgestorbenen Verwandten. Die Forscheraus Amerika und vom Max-Planck-Institut für evolutionäreAnthropologie in Leipzig verglichen ausgewählte Erbanlagen (Gene) desNeandertalers mit denen des Menschen und des Schimpansen, unseresnächsten lebenden Verwandten.
Sie berechneten, dass der letzte gemeinsame Vorfahr von Homoneanderthalensis und Homo sapiens vor etwa 706 000 Jahren lebte. Vor370 000 Jahren sei die Trennung der beiden Arten abgeschlossengewesen. Dennoch seien noch mindestens 99.5 Prozent des Erbguts vonmodernem Mensch und Neandertaler identisch.
Zu einem vergleichbaren Ergebnis kommt eine internationale Gruppeum Svante Pääbo vom Leipziger Max-Planck-Institut: Der Neandertalerund der moderne Mensch trennten sich demnach vor rund 516 000 Jahren.Die Forscher rekonstruierten mehr als eine Millionen Einzelbausteineder DNA (so genannte Basenpaare), wie sie im britischen Journal«Nature» berichten. Zum Vergleich: Das menschliche Genom besteht ausmehr als drei Milliarden Basenpaaren.
Widersprüchlich bleiben die beiden Studien bezüglich einermöglichen Vermischung von Mensch und Neandertaler, die in derForschergemeinde kontrovers diskutiert wird. Während die Ergebnissevon Pääbo für eine solche Kreuzung sprechen, findet Rubin keineBelege dafür.
David Lambert und Craig Millar von der Universität Auckland(Neuseeland) unterstreichen dennoch in einem begleitenden Kommentarin «Nature» die generelle Übereinstimmung der beiden Studien,ungeachtet der unterschiedlichen verwandten Methoden. DieseFortschritte wiesen auf eine spannende Entwicklung hin - auf dieEntzifferung des gesamten Neandertalergenoms. In zwei Jahren hoffenPääbo und seine Kollegen, die vollständige Sequenz desNeandertalererbguts vorlegen zu können. Damit könnten endlich dieUnterschiede zwischen uns und unserem vor rund 30 000 Jahrenausgestorbenen Verwandten genau festgestellt werden, betonen Lambertund Millar.
Die Archäologin Bärbel Auffermann, stellvertretende Direktorin amNeanderthal Museum in Mettmann, wertet die Tatsache als«sensationell», dass Pääbo und seine Kollegen in sehr kurzer Zeitgroße Teile des Erbguts rekonstruieren konnten. Die guteÜbereinstimmung der neuen genetischen Daten mit den bisherigenarchäologischen Untersuchungen unterstütze die Bemühungen beiderDisziplinen, betont Auffermann. Denn auch Archäologen datieren dieTrennung von Mensch und Neandertaler auf etwa 500 000 Jahre.
Dennoch möchte Auffermann die Bedeutung der neuenVeröffentlichungen für die Neandertalerforschung nicht überbewerten.Die Erbgutanalyse sei allein nicht in der Lage, die brennendstenFragen zu dem Frühmenschen zu klären. Um etwa den genauen Zeitpunktseines Aussterbens zu bestimmen, sei vor allem eine bessere Datierungder vorhandenen Knochenfunde und ein Abgleich mit Klimadaten ausdieser Zeit notwendig. Nur alle betroffenen wissenschaftlichenFachrichtungen gemeinsam seien in der Lage, das Neandertaler-Mosaikzusammenzusetzen.