Wirkungslos oder gefährlich? Wirkungslos oder gefährlich?: Werbung täuscht und führt in die Irre

Hamburg/dpa. - Der moderne Mensch ist täglich konfrontiert miteiner Fülle falscher oder irreführender Informationen. Das giltbesonders bein Angaben über Waren, die gekauft, und Dienstleistungen,die in Anspruch genommen werden sollen. Es gilt aber nicht nur fürdie Wirtschaft. Politiker und ihre Parteien sollen gewählt,Einrichtungen unterstützt werden.
«Wie wir täglich manipuliert und beeinflusst werden» ist das Themaeines Beitrags der Sozialpsychologin Lydia Lange in der Januar-Ausgabe der Zeitschrift «Psychologie heute» (Weinheim).«Informationen sind, seit Menschen miteinander kommunizieren, schonimmer manipuliert worden. In unserer Gesellschaft hat jedoch diebewusste oder in Kauf genommene Irreführung ein nie zuvor erreichtesAusmaß angenommen», schreibt die Wissenschaftlerin, die bis vorkurzem am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin tätigwar.
«Ständig werden uns Wünsche und Ängste eingeredet, die wir garnicht haben», heißt es weiter in dem Beitrag. Dazu gehöre dasAusmalen potenzieller Gefahren, gegen die es vorzusorgen gilt. Unterden erwähnten Beeinflussungsmethoden sind auch einerseits dieÜbertreibung, andererseits das Unterschlagen wichtiger Informationen.Ferner die Methode, Werbung als Empfehlung, Beratung, Expertenurteiloder in den Massenmedien als «Geheimtipp» zu präsentieren. Auch das«Sonderangebot» und das «Schnäppchen» werden zu den Methodengerechnet.
Wie weit gelingen die Versuche, zu manipulieren und zubeeinflussen? Für Kay Tangermann, Werbefachmann und Eigentümer einerAgentur mit Sitz in Hamburg und München, sind an der Wirkung mehr alsZweifel angebracht. «Über 95 Prozent aller Werbung verpuffenwirkungslos», sagte er der dpa.
«Die geheimen Verführer», auf die der amerikanische Autor VancePackard 1957 in seinem gleichnamigen Bestseller aufmerksam machte,die mit ihrem beschriebenen Einfluss auf Verbrauch, Wünsche und auchpolitische Entscheidungen zum Synonym für Werbung schlechthin wurden,seien zwar bis heute präsent, konstatierte Tangermann, aber ihreBedeutung ist nach seinem Urteil nicht mehr dieselbe.
Die heutige Allgegenwart der Werbung in allen Medien scheine zwardie Gefahr der Manipulation und die Verführung zu Dingen, die niemandwirklich braucht, augenfällig zu bestätigen, sagte er. «Diepenetrante TV-Unterbrecherwerbung verfolgt die Zuschauer, sie sindRadiospots und Spam im Internet ausgeliefert. Bekannte Sportlermachen sich selbst zu lebendigen Litfaßsäulen und werden so zum Clownund Tanzbären der werbetreibenden Firmen. Von Kopf bis Fuß mitAufklebern bandagiert und dekoriert ziehen Ski-, Rad- undAutosportler in den Wettkampf. Manche werben auf ihrem Trikot sogargleichzeitig für zwei konkurrierende Automarken. Sind wir damit zusteuerbaren Konsumenten geworden?»
Tangermanns Antwort ist: «Nein, das Gegenteil ist inzwischeneingetreten, und die Sorge aller Kulturpessimisten hat sich vonselbst erledigt: Über 95 Prozent aller Werbung verpuffen wirkungslos!Das unablässige Sperrfeuer der Werbung, die sich an Erwachsenerichtet, hat zur vorhersehbaren Gegenreaktion geführt, zurGleichgültigkeit, zur Immunisierung und zu einer Virtuosität imVergessen, die früher - wie bei dem Psychoanalytiker Sigmund Freud -nur im pathologischen Bereich konstatiert wurde.» Der HamburgerWerbefachmann sieht hier nur eine Ausnahme: Kinder. Sie sind nachseiner Einschätzung tatsächlich durch Werbung leicht zu beeinflussenund zu manipulieren.
Allgemein gesehen sind die Beachtung und die Aufmerksamkeit, umdie sich die Werbung besonders bemüht, keine Kriterien für ihreWirkung. Spontane Aufmerksamkeit zu erregen, etwa durch Gags undWitz, sei «kinderleicht», sagt Tangermann. Doch besage Aufmerksamkeitnichts über die Bereitschaft, das Angebotene zu kaufen oder zunutzen, worauf es der Werbung ja ankommen sollte. Das relativiertauch das Phänomen, dass der öffentliche Raum der Städte zunehmend zueiner gigantischen Werbefläche wird - ein Thema des neuen Buchs desProfessors für digitale Methoden und Raumplanung an der TechnischenUniversität Wien, Georg Franck: «Mentaler Kapitalismus. Einepolitische Ökonomie des Geistes» (Carl Hanser Verlag). NachTangermanns Auffassung kann Beachtung statt Achtung durchaus auchÄchtung zur Folge haben.
Jedenfalls scheinen ihm die «geheimen Verführer», die VancePackard so eindringlich beschrieb, wegen ihrer geringen Wirkung zum«Verführer ohne Unterleib mutiert» zu sein, «zwar oft nervtötend undlästig», doch eine Gefahr, gleich welcher Art, seien sie nicht mehr.
