Weil Ur-Maß schrumpfte Weil Ur-Maß schrumpfte: Das Kilogramm ist jetzt eine Kugel

Jahrelang haben Wissenschaftler in aller Welt daran getüftelt – nun ist es offiziell. Das Urkilogramm hat ausgedient und wird ersetzt. Das gute Stück liegt im Pariser Vorort Sèvres, unweit des Schlosses von Versailles, geschützt und alarmgesichert unter Glasglocken. Es ist vier Zentimeter hoch, 143 Jahre alt und besteht aus einer Legierung von Platin und Iridium. Nach diesem Klötzchen richtete sich bisher die Welt.
Doch seit Montag, dem internationalen Tag des Messens, gilt eine Kugel aus Silizium als weltweite Maßeinheit. Grund für die Ablösung: Im Laufe der Zeit hat das Urkilogramm rund 50 Mikrogramm Gewicht verloren. So viel wiegt ein Salzkorn. Eigentlich sehr, sehr wenig – aber bei der Vermessung in hoch technisierten Zeiten kann das schon einen Riesenunterschied ausmachen.
Entstanden ist der Schwund möglicherweise durch zu gute Pflege des guten Stücks, nämlich die regelmäßige Handpolitur mit Hirschleder und anschließende Dampfbäder. Es musste also eine feste Größe her, die sich durch derlei profane Umstände nicht verändert. Weshalb die Forscher – Metrologen genannt – das Kilogramm künftig aus festen Größen der Natur wie der Avogadro- und der Planck-Konstante ableiten.
Kugel kostet eine Million Euro
Erstere gibt die Teilchenzahl an, die in einer bestimmten Stoffmenge enthalten ist, letztere das Verhältnis von Energie und Frequenz eines Photons. Für Laien ist das leider sehr viel schwerer zu fassen als ein Stück Platin.
Das neue Kilogramm ist eine pampelmusengroße Siliziumkugel, Stückpreis eine Million Euro. Bei ihrer Entwicklung spielte die sogenannte Kibble-Waage eine große Rolle. Das Prinzip: Man balanciert ein Stück mit bekannter Masse mit einem elektrischen Feld aus, so dass beide im Gleichgewicht sind. Dann misst man die elektrische Spannung, die dafür benötigt wird – ein filigranes Kräftemessen zwischen Gewicht und Elektrizität.
Urmeter ist durch Lichtgeschwindigkeit ersetzt
Mit dem runden Kilogramm endet eine lange Tradition. Das Internationale Einheitensystem entstand im 19. Jahrhundert. Zuvor hatten die Staaten zum Teil ihre eigenen Maßeinheiten genutzt – ein Handelshemmnis. 1875 einigten sich 17 Länder auf die Meterkonvention und gründeten das Internationale Büro für Maß und Gewicht (BIPM). „Eine seiner ersten Aufgaben bestand darin, zwei Metallstücke herzustellen, die Urmeter und Urkilogramm darstellen“, sagt BIPM-Direktor Martin Milton. „Das war 1889.“ Bis heute lagern beide Unikate im Tresor im Vorort von Paris, dem Sitz des BIPM.
Das Urmeter wurde schon 1983 ersetzt – gemessen wird der Meter seitdem mit der Lichtgeschwindigkeit. Das Entscheidende: Die Lichtgeschwindigkeit ist eine Naturkonstante, die sich nicht verändert.
Kopien gingen in alle Welt
Vom Urkilogramm wurden jedoch immer wieder Kopien angefertigt und an Metrologie-Institute in aller Welt verteilt. Diese Kopien dienten dann zur Eichung sämtlicher Waagen und Gewichte – bis hin zur Gemüsewaage auf dem Wochenmarkt. Da sind ein paar Mikrogramm nicht entscheidend – in der Pharmazie beispielsweise aber schon. Nun wird also mit der Kugel so präzise gemessen wie möglich. Ein echtes wissenschaftliches Pfund. Das Urkilogramm wird aber auch weiterhin gepflegt. Jetzt fällt Schwund ja nicht ins Gewicht. (cv, red)