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Urteil Urteil: Drei Jahre und drei Monate Haft für Unfallfahrer von Rügen

20.09.2005, 16:39
Feuerwehrleute bergen am Samstag (4. Juni 2005) einen zerstörten Pkw an der Bundesstraße 96 bei Ralswiek auf der Ostseeinsel Rügen. (Foto: dpa)
Feuerwehrleute bergen am Samstag (4. Juni 2005) einen zerstörten Pkw an der Bundesstraße 96 bei Ralswiek auf der Ostseeinsel Rügen. (Foto: dpa) dpa-Zentralbild

Stralsund/dpa. - Mehrfach verließen Mütter unter Tränen denGerichtssaal, weil sie der Schmerz überwältigte. Der 24-Jährige mussjetzt eine Haftstrafe von drei Jahren und drei Monaten antreten.

Die Eltern wollten ihm, dem «Todesraser», in die Augen schauen,doch der angeklagte Hotelierssohn aus dem Rügener Küstenort Breegelässt es nicht zu. Mit starrer Haltung, gesenktem Kopf und halbgeschlossenen Augen sitzt er im Gerichtssaal. Nur zum Schluss richteter sich auf, um sich bei den Eltern zu entschuldigen. Zuschauerrätseln, ob seine demütige Haltung vorgetäuscht oder echt ist.

Die Strafkammer des Landgerichts Stralsunds sah es am Dienstag alserwiesen an, dass Elias P. am 4. Juni 2005 mit einem riskantenÜberholmanöver den Tod der vier 18-Jährigen fahrlässig verursachthat. Als der 24-Jährige mit seinem Auto in den entgegenkommendenKleinwagen raste, stand er unter Kokain- und erheblichemAlkoholeinfluss. Elias P. war in einem «Zustand der absolutenFahruntüchtigkeit», sagte Richter Kai Klingmüller. Mit dem Urteilblieb das Gericht unter der Forderung der Staatsanwaltschaft von dreiJahren und neun Monaten. Die Nebenklage hatte die für fahrlässigeTötung mögliche Höchststrafe von fünf Jahren gefordert. DieVerteidigung kündigte an, Revision einzulegen.

Wütend und mit Tränen in den Augen hatten zwei Mütter der  getöteten 18-Jährigen den Saal verlassen, nachdem der Verteidiger füreine zweijährige Haftstrafe plädierte, die zur Bewährung ausgesetztwerden sollte. Kaum ein Verkehrsunfall hat in den letzten Monatenbundesweit mehr Emotionen hervorgerufen als der Zusammenstoß zwischendem PS-starken Sportwagen und dem mit den vier jungen Leutenbesetzten Kleinwagen auf der Insel Rügen. 2500 Rüganer trauerten ander Unglücksstelle.

«Der Täter ist durch den Alkohol- und Kokainkonsum natürlichnegativ herausgehoben. Vier junge Menschen haben auf einen Schlag ihrLeben verloren», erklärt der Sozialpsychologe der UniversitätGreifswald, Manfred Bornewasser. Daneben könne aber auch eine gewisse«Neidproblematik» für die hochkochenden Emotionen sorgen: «Scheinbarerfolgreicher Ossi prallt mit dickem Auto auf ein kleines Auto. Erüberlebt mit einem Beinbruch, die vier Insassen des Kleinwagenssterben.» Bei dem Unfall seien offenbar auch verschiedene Lebensstileaufeinander geprallt.

Der 24-jährige Unfallfahrer stand äußerlich auf der Sonnenseitedes Lebens: Zweiter Geschäftsführer des väterlichen Hotels auf derInsel Rügen, teure Anzüge, 340-PS-Cabrio. Dem Psychiater wird er nachdem Unfall erzählen, dass er in regelmäßigen Abständen Kokainkonsumierte, um am nächsten Morgen fit zu sein, dass er sich Sorgenmachte um erhebliche Steuerforderungen durch das Finanzamt, dass ermit seiner Ex-Freundin über das Umgangsrecht mit den gemeinsamenZwillingen stritt. «Elias wuchs in einer auf Leistung orientiertenFamilie auf, in der offenbar materielle Dinge eine größere Rolle alsdie emotionalen spielten», erklärte Gutachter Stefan Orlop.

Unter vielen Zuschauern im völlig überfüllten Gerichtssaal giltElias P. als «Mörder» und «Protzer». Auf Rügen haben sich Autofahrerden Aufkleber «Jetzt reicht es!» an ihre Heckscheibe geklebt. EineBürgerinitiative für mehr Sicherheit auf der Straße hat sich nach demUnfall gegründet.

Die Erinnerungslücken, die Elias P. während des Prozesses für sichreklamiert, hielt der Psychiater für wenig glaubhaft. Zwischen denWodka-Orange-Drinks in seiner Stammkneipe und der Einlieferung insKrankenhaus fehle ihm jegliche Erinnerung, erzählte er stockend.Zeugen berichteten von zwei Beinahe-Crashs unmittelbar vor demtragischen Unfall. Ein Rettungssanitäter sagte aus, Elias sei kurznach dem Unfall noch in Partystimmung gewesen.  

Nach dem Unfall hatte der 24-Jährige bestritten, selbst gefahrenzu sein, bis Gutachten das Gegenteil bewiesen. Bis zum Prozessbeginnwarteten die Eltern der Toten zudem auf ein Zeichen des Bedauerns.Die Tränen erstickten Worte des Bedauerns, der Blick in die Augen derEltern kommt möglicherweise zu spät. Heinz Kolbe, Vater derverunglückten Virginie, vermutet dahinter eine ausgeklügelteStrategie. «Das war doch nur Show fürs Gericht.»