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Rätselhafter Fall Tod durch Teufelsaustreibung: Fünf Südkoreaner in Frankfurt vor Gericht

Von Harald Biskup 27.01.2017, 09:46
Angeklagter mit Anwalt im Landgericht Frankfurt.
Angeklagter mit Anwalt im Landgericht Frankfurt. dpa

Frankfurt - Die dunkle Hornbrille lässt ihn älter und reifer erscheinen, als er ist. Wie er da zusammengekauert sitzt, wirkt er kindlich und schutzbedürftig. Er, der seine Mutter getötet haben soll und sich selbst zum Halbwaisen gemacht hat. Er und seine Verwandten sollen ihr „Schmerzen und Qualen körperlicher Art“ zugefügt haben, „die über das für die Tötung erforderliche Maß weit hinausgingen“, wie es in der Anklageschrift nüchtern heißt.

Ein Bürschchen von gerade 16, kein Mann. Regungslos, wie gelähmt starrt Yejun G. auf die blinden Scheiben des Saales 165 im Hochsicherheitstrakt des Landgerichts Frankfurt. Eine ferne fremde Welt, dieses Deutschland, nicht nur weil er die Sprache nicht versteht. Säße er nicht auf der Anklagebank, würde er jetzt wahrscheinlich mit seinem Smartphone spielen. Wie damals im Zimmer eines Frankfurter Luxushotels neben dem leblosen Körper seiner Mutter, als der Notarzt nur noch die Leichenstarre feststellen konnte.

Seit Mitte Oktober versucht das Gericht, Licht in einen auch für altgediente Juristen einmalig mysteriösen Fall zu bringen. Angeklagt ist eine halbe südkoreanische Großfamilie. Sie soll die 41-jährige Seonhawa P., Yejuns Mutter, bei einer Teufelsaustreibung getötet haben. Beteiligt an dem Ritual mit tödlichem Ausgang sollen außer Yejun und dessen gleichaltrigem Cousin drei weitere Verwandte gewesen sein, Doean K. (45) sowie deren Tochter Naree (20) und Sohn Taewan (22). Die Staatsanwaltschaft wirft  ihnen gemeinschaftlichen Mord vor. Mordmerkmal: Grausamkeit. Weil drei der Angeklagten zur Tatzeit minderjährig waren, findet das Verfahren vor einer Jugendstrafkammer statt.

Die Atmosphäre der Verhandlung scheint  irgendwie zu der abgeschotteten Aura zu passen, in der die Koreaner vor der Tat gelebt haben. Ihre Anwälte sprechen meist nur von „dem Vorfall“, wenn es um jene Nacht zum 5. Dezember 2015 in Zimmer 433 des Frankfurter Hotels Intercontinental geht. Selbst einer der drei Berufsrichter nennt die getötete Frau gelegentlich zurückhaltend „die Geschädigte“. Vorverurteilung muss sich die Kammer gewiss nicht vorhalten lassen. Die vorsichtige Herangehensweise mag damit zu tun haben, dass eine der vielen komplizierten Fragen, die das Gericht klären muss, die nach der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der beiden Jungen ist.

Glaubten die Angeklagten, sie täten etwas Gutes?

Waren sie sich der Tragweite ihres Handelns bewusst, als sie die schreiende, um sich schlagende und offenbar auch beißende Frau in jener Dezembernacht zu bändigen versuchten? Glaubten sie womöglich, sie täten ihr etwas Gutes, da sie angeblich selbst nach der rituellen Befreiung von Dämonen verlangt und  einen Mediziner abgelehnt haben soll? Mit dem Hinweis, es gehe um ein „geistliches Problem“. Inwieweit waren ihre seltsamen „Beruhigungsmaßnahmen“ durch schädliche Beeinflussung animiert oder gar gesteuert? Alle Angeklagten und die Tote sollen einer christlichen koreanischen Sekte angehören, die ihren Mitgliedern  ausdrücklich den Exorzismus empfiehlt.

Durchleuchtet werden wird gewiss auch die undurchsichtige Rolle von Daeon K., einer Cousine des Opfers. Sie hat sich bislang mit keiner Silbe zu den Anklagevorwürfen geäußert. Die 45-Jährige gilt in dem Fall als Schlüsselfigur und als Hauptangeklagte. Hat sie die anderen Familienmitglieder angestiftet? Als Älteste in dem Clan hat sie nach traditioneller koranischer Vorstellung eine herausgehobene Position.  Sie war es auch, die die Vision von der Gründung einer Import-Export-Firma in Deutschland hatte. Und die die Jugendlichen, die offenbar lieber in Korea geblieben wären, zur Mitwirkung an ihrem Geschäftsmodell gedrängt hat. Nirgendwo in Europa gibt es eine größere  koreanische Community als in der Rhein-Main-Region. Wohl deshalb ließen sich die Neuankömmlinge im Spätsommer 2015 im Taunusort Sulzbach im Frankfurter Speckgürtel nieder. Angekommen in dem für sie gänzlich fremden Land sind sie allerdings in der kurzen Zeit nicht. Außer der Frankfurter Einkaufsmeile Zeil, außer ein paar Supermärkten, Elektronikläden und asiatischen Restaurants haben sie von der neuen Heimat nichts gesehen. Aus einem geplanten Sprachkurs ist nichts geworden. Erst im Gefängnis büffeln sie nun Deutsch. Alle fünf sitzen seit mehr als einem Jahr in Untersuchungshaft.

Abgeschirmt wie in einem Kokon

Ein gutbürgerliches Viertel in Sulzbach,  Ein- und Zweifamilienhäuser, gepflegte Vorgärten. Hier mieten die Koreaner bald nach ihrer Ankunft eine Doppelhaushälfte. Das Leben der Großfamilie, zu der außer der später getöteten Seohowa P. zeitweise auch deren Ehemann und mehrere jüngere Kinder gehören, muss man sich, so sagt es dieser Tage eine Psychologin vor Gericht, abgeschirmt wie in einem Kokon vorstellen. Nachbarn erinnern sich, dass die Fensterläden praktisch immer heruntergelassen waren. Schon relativ bald gibt es Klagen  wegen Lärmbelästigung. „Die haben bis tief in die Nacht Litaneien gesungen“,  sagt eine Anwohnerin. An einem der ersten Prozesstage berichtet die unmittelbare Hausnachbarin von „furchtbaren Klängen“. Die hätten sich angehört wie  „Propagandamusik von nordkoreanischen Aufmärschen“.  Da ist der religiöse Singsang  schon näher an der Realität, obwohl natürlich niemand ahnen kann, dass die Asiaten einer offenbar christlich-fundamentalistischen Sekte angehören.

Im Gerichtssaal werden an diesem Prozesstag Dias gezeigt, die  einen Eindruck von dem  vermitteln, was sich  in dem Haus wochenlang abgespielt haben muss. Auf Bild 29 sind verkohlte Handys zu erkennen und akkurat  in einem Halbkreis positionierte Teelichter. „Sie stellten offenbar eine sinnbildliche Sperre zum Obergeschoss und zum Keller dar“,    so die Deutung von Staatsanwältin Nadja Böttinger.  Große Mengen  Samen und bis in den letzten Winkel verstreutes Granulat finden die Ermittler. In einem Wok stecken Socken und eine Unterhose. Alle  diese Asservate, die   in der seltsamen WG sichergestellt werden,  haben mit  Abwehrmaßnahmen gegen  böse Geister zu tun,  von deren Existenz die Neu-Sulzbacher aus dem Hightech-Land Südkorea offenkundig überzeugt sind. So sehr, dass sie auch die Bollergeräusche der Heizungsanlage dem Wirken von Dämonen zuschreiben. Die Gruppe steigert sich in diffuse Ängste. Man hält sich   wach, damit nie alle  gleichzeitig schlafen.  Angeblich wird das spätere Opfer  von Tag und zu Tag unruhiger. 

Gerichtsmediziner spricht „klassischem Erwürgen und Strangulieren“

Schon vor dem verhängnisvollen Umzug in das Hotel mitten in der Frankfurter City habe die Frau unaufhörlich gebetet, und es hätten sich übernatürliche Dinge zugetragen, gibt Taewan K. zu Protokoll, der Sohn der Hauptangeklagten. Da habe man sich entschlossen, das „Spukhaus“ zu verlassen. Alles muss übersetzt werden, das macht die ohnehin schwierige Wahrheitssuche noch mühsamer. Geduldig hakt der Vorsitzende Richter Ulrich Erlenbruch nach. Der hagere junge Mann behauptet, seine Tante habe sich im Hotelzimmer in einen Wahnzustand hineingesteigert, wirre Satzfetzen geredet und sei, von Krämpfen durchzuckt, zu Boden gefallen. Dann habe sie wild um sich geschlagen. Um sie ruhigzustellen, habe man sie an Armen und Beinen festgehalten und ihr ein Handtuch in den Mund gesteckt, angeblich, um eine Blutung zu stoppen.

Wie an vielen Prozesstagen sitzen wieder Landsleute der Angeklagten im Zuschauerraum, der durch eine Glaswand abgetrennt ist. Die Schilderung des 22-Jährigen löst bei einer Bibliothekarin aus Seoul Kopfschütteln aus. Ein paar Minuten später wird der Rechtfertigungsversuch vom medizinischen Sachverständigen durch nüchterne Fakten erschüttert. Wie in einem Sezierkurs doziert der Gerichtsmediziner Matthias Kettner über „Einblutungen der Gesichts-Weichteile und am Brustkorb“ und von „komprimierter Gewalteinwirkung gegen den Hals“. Er spricht von „klassischem Erwürgen und Strangulieren“. Als der Notarzt und ein Pastor der koreanischen Zions-Gemeinde eintrafen, sei ein Handtuch „straff um den Kopf der Getöteten“ gewickelt gewesen. Das Fazit des Gutachters  ist unmissverständlich: Selbsttötung ausgeschlossen, Tod durch Ersticken irgendwann zwischen 3.06 und 8.42 Uhr. „Näher kommen wir nicht ran.“ Auf welche Weise die Frau umgebracht worden ist, hat sich nicht  zweifelsfrei klären lassen. War auch ein schaumstoff-ummantelter Holzkleiderbügel   im Einsatz? Für viele im Saal ist die detaillierte Schilderung des grausamen archaischen Rituals schwer erträglich.  Man mag sich nicht ausmalen, welche Qualen die „Besessene“ in ihren letzten Stunden erleiden musste. Der Hotel-Concierge David L. sagt als Zeuge aus: „Die Frau lag blau angelaufen am Boden. Verquollene Augen, offener Mund, Schaum davor.  Am verpeiltesten war der Sohn der Toten. Der hat nur verstört ins Nichts gestarrt.“

Plötzlich Spannung im Gerichtssaal

Auch an diesem vierzehnten Verhandlungstag wirkt Yejun G. meist abwesend und als döse er vor sich hin. Die Fragen des Gerichts an seine Familienangehörigen, warum man kurz nach der Ankunft in Deutschland sieben Handys im Wert von zusammen mehr als 2000 Euro gekauft habe, scheinen ihn nicht zu interessieren. Geschah das, weil man glaubte, die alten Mobiltelefone aus Korea seien „von Dämonen verseucht“? Erst als plötzlich Spannung aufkommt, weil der Vorsitzende ankündigt, es sei ein offenbar aus dem Gefängnis herausgeschmuggelter Kassiber aufgetaucht, wacht der 16-Jährige aus seinem Dämmerzustand auf. Erkennbare Emotionen zeigt er ebenso wenig wie die Hauptangeklagte Daeon K., von der das handgeschriebene Elaborat offenbar stammt. Darin wird eine Frau auf das Übelste beleidigt, und die meisten Beobachter vermuten, dass die Ermordete gemeint ist, Yejuns Mutter. Die koreanische Dolmetscherin hat sich die Schimpfwörter im Text grün angekringelt, „Drecks-Schlampe“ zum Beispiel oder „das ganze Kirchen-Pack“. Welchen Reim sich die Richter auf das Schriftstück machen, bleibt  wie so vieles in diesem rätselhaften Fall offen, als am Nachmittag die Handschellen klicken und die  mutmaßlichen Teufelsaustreiber abgeführt werden. 

„Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – den Schriftzug an der Fassade des Landgerichts können die Angeklagten nicht sehen. Und verstehen sowieso nicht. Aber er gilt auch für die getötete Seonhwa P. Uneingeschränkt.