Spielzeug Spielzeug: «Wir sind alle Malteser»
Halle (Saale)/MZ. - Der kleine Giovanni ist eigentlich eine ganz normale Playmobil-Figur. Mit seinem schwarzen Umhang, dem Hut mit Feder, weißem Bart, Manschetten an den Unterarmen und einem Zepter in der rechten Hand besteht er aus sieben Teilen - wie fast alle seine Artgenossen. Auch mit seiner Größe von 7,5 Zentimetern entspricht er genau der Norm. Doch was macht den Großmeister bei Sammlern zu einem besonders gefragten Exemplar? Die Antwort ist einfach: Der Malteser Großmeister ist die einzige Figur, die es offiziell nur in Malta zu kaufen gibt. Was aber hat die kleine Insel im Mittelmeer mit Playmobil zu tun? Dort produziert der Spielzeughersteller aus Zirndorf bei Nürnberg sämtliche seiner Figuren - 100 Millionen Stück pro Jahr. "Die Figur in der blauen Schachtel ist also immer ein echter Malteser", betont Judith Weber, Mitarbeiterin in der Niederlassung nahe der Inselhauptstadt Valetta, mit ein wenig Stolz.
Die Deutsche hat dabei auch eine ganz persönliche Beziehung zu den Figuren. "Ich bin damit groß geworden, denn in dem Jahr, als ich auf die Welt kam, wurden die ersten hergestellt." Der Ritter, der Indianer und der Bauarbeiter - das war 1974. Das Angebot war in den Anfangsjahren aber überschaubar. "Es gab beispielsweise kaum Angebote für Mädchen." Die ersten Frauen tauchten erst 1976 im Sortiment des Spielzeugherstellers auf. Fünf Jahre später war dann die Playmobil-Familie mit Kindern komplett.
Bis heute wurden mehr als 2,4 Milliarden Figuren hergestellt. Aneinandergereiht reicht die Playmobil-Bevölkerung drei Mal um den Äquator. Und noch immer kämpfen die Figuren auf Ritterburgen und Piratenschiffen, leben auf dem Bauernhof und im Prinzessinen-Schloss oder sind gerade als Patienten im Hospital. Mehr als 3 500 Modelle sind inzwischen gebaut worden.
"Viele Trends kommen dabei nach einigen Jahren wieder", erklärt Judith Weber. "Und natürlich werden auch die Wünsche der Kinder berücksichtigt." 2010 nahm das Unternehmen beispielsweise die Figuren in Badekleidung auf vielfachen Wunsch der Kinder ins Programm auf. An Zuschriften mangelt es nicht: Pro Monat flattern bis zu 200 Briefe - teils sogar mit eigenen Zeichnungen - in der Playmobil-Zentrale ein. Manchmal gibt es auch Kritik: So hatten die Playmobil-Bauer vor einigen Jahren im Krankenhaus schlicht und einfach die Toiletten vergessen.
Bei der Gestaltung der Figuren können die Mitarbeiter auf Malta heute aus einer Palette von 5 000 Farben auswählen. Jedes Jahr werden für die Produktion 3 500 Tonnen Granulat benötigt. Die kleinen Körner werden zunächst unter Hochdruck auf 200 Grad erhitzt. "Dabei entsteht eine Masse, die Zahnpasta ähnelt", sagt Judith Weber. Aus dieser Masse werden in einer der 240 Spritzgussmaschinen die entsprechenden Teile: Rumpf, Arme, Kopf und weitere Details der Figuren gefertigt. Diese kommen danach für 30 Minuten in den 90 Grad heißen Trocknungsofen. Bei Bedarf werden die Teile noch beschriftet. Fast zwei Drittel der Figuren montieren die Mitarbeiter per Hand. 18 Sekunden dauert es, bis aus sieben Einzelteilen die Figur zusammengesetzt ist. Mit einem der vier Automaten geht es deutlich schneller: Die Maschine benötigt dafür lediglich 1,5 Sekunden. Die Figuren für die Vorschulserie 1+2+3, die ebenfalls auf Malta produziert wird und für Kinder bis zu drei Jahren gedacht ist, werden Teile wie Gesicht, Haare und Mützen aus Sicherheitsgründen nicht montiert, sondern per Ultraschall verschweißt.
Wichtig für die Produktion sind aber vor allem die entsprechenden Formen in den Spritzgussmaschinen. "Für die sieben Teile, aus denen die normalen Figuren bestehen, benötigen wir immer auch sieben verschiedene Formen", erklärt Judith Weingart, Sprecherin des Unternehmens in Zirndorf. Hinzu kommt der Aufwand bei Neuheiten. "Wir haben in diesem Jahr 97 neue Modelle, dafür benötigten wir rund 1 000 neue Formen", sagt Weingart. Die teuerste kostete 120 000 Euro.
Im Laufe der Zeit wurden aber nicht nur zahlreiche neue Modelle entworfen, auch die Funktionsweise der Figuren hat sich verändert. So gibt es seit 1982 hautfarbene und vor allem drehbare Hände für alle Figuren. Eine weitere Überarbeitung erfolgte Ende der 80er Jahre. Schuhe und Bedruckung wurden verändert, hinzu kamen viele Variationen wie etwa Holzbeine bei den Piraten.
Verändert haben sich aber nicht nur die Figuren, sondern auch die Kinder. Einen Zwölfjährigen, der wie früher mit Rittern auf einer Burg spiele, gebe es kaum mehr, erklärt Unternehmenssprecherin Weingart. "Die Kindheit ist insgesamt kürzer geworden." Heute versucht der Spielzeughersteller, vor allem die Vier- bis Achtjährigen zu begeistern. Die aber schätzen genau die Figuren, die seit jeher die Klassiker sind: Ritter, Indianer und Bauarbeiter zählen auch 2011 zu den beliebtesten Modellen.
Der Standort Malta ist dabei im Laufe der Zeit immer weiter gewachsen. "Wir haben mit 50 Mitarbeitern und zwei Spritzgussmaschinen angefangen", erinnert sich Helga Ellul, von Beginn an Chefin von Playmobil Malta. Steuerliche Vorteile und günstige Arbeitskräfte hätten damals den Ausschlag für die Mittelmeerinsel gegeben. Heute beschäftigt Playmobil dort 900 seiner knapp 3 300 Mitarbeiter. Jedes Jahr werden neun Millionen Euro investiert.
Und pro Jahr verlassen bis zu 25 Millionen der blauen Playmobil-Packungen die Insel. Neben den Figuren werden dort auch kleine Einzelteile hergestellt, nicht aber große Stücke wie Burgen. Der Grund ist ein praktischer: "Wir würden sonst zu viel Luft in den Containern verschiffen", so Judith Weber.
Die Produktionsstätte auf Malta musste sich dabei in der Vergangenheit nicht nur innerhalb des eigenen Konzerns behaupten, sondern auch gegenüber vermeintlich günstigeren Standorten wie China. Direkter Zugang zu den Behörden, hochqualifizierte und motivierte Mitarbeiter sowie weiter günstige Löhne seien aber bis heute entscheidende Vorteile auf Malta, sagt Helga Ellul. Vorhersehen konnte aber auch sie die Erfolgsgeschichte nicht. "Eigentlich wollte ich damals auch nur für ein Jahr auf Malta bleiben."
Und ihre Lieblinge? Nach nunmehr 2,4 Milliarden hergestellten Figuren muss Helga Ellul ausgerechnet bei dieser Frage passen. "Das hat mich in all den Jahren noch nie jemand gefragt", räumt die Managerin ein. Dann aber fällt ihr doch noch eine ein: die Frau im Bikini - wie bei vielen Kindern. Bei Judith Weber ist es der Koch.
Die Malteser stehen derweil auf ihren Giovanni. Die Figur wurde 1998 präsentiert, als Malta Kulturhauptstadt Europas war. Seitdem ist sie nicht nur ein begehrtes Sammlerobjekt geworden, sondern auch ein Werbeträger für die kleine Mittelmeerinsel. Das Tourismusamt verteilt ihn auf internationalen Messen und Konferenzen. Und auch bei Urlaubern wandert Giovanni regelmäßig ins Reisegepäck.