Wie Science-Fiction Schwein und Mensch: Wissenschaftler kreieren Mischwesen

Es klingt wie Science-Fiction: Aus Mensch und Schwein wollen Forscher Mischwesen züchten, die Organe für Transplantationen liefern. Durch biotechnologische Kniffe könnten in den Paarhufern eines Tages menschliche Herzen, Nieren und Co. heranwachsen. Die Anfänge dafür sind gemacht. Im Fachmagazin Cell melden US-Wissenschaftler jetzt Erfolge mit Mischwesen, auch Chimären genannt. Erstmals ist es gelungen, Embryonen zu erschaffen, die sowohl Zellen von Menschen als auch von Schweinen in sich tragen.
„Unser endgültiges Ziel ist es, funktionsfähige Gewebe und Organe zu züchten, aber davon sind wir noch weit entfernt“, sagt Hauptautor Juan Carlos Izpisua Belmonte vom Salk Institute in La Jolla. Die Arbeit sei ein wichtiger erster Schritt, betont er. Die Anstrengungen dafür waren riesig. Nach Versuchen mit Ratte-Maus-Mischwesen verlagerten sie ihre Bemühungen auf Schwein und Mensch. Das ist viel schwieriger, weil uns diese Säugetiere nicht besonders nahe stehen – das Erbgut stimmt nur zu 90 Prozent überein. Schweine kommen dennoch als Spender infrage, weil ihre Organe die passende Größe haben.
Abbruch nach vier Wochen
Die Forscher ließen künstlich befruchtete Schweine-Eizellen ein paar Tage im Labor heranwachsen. Dann, im Blastozysten-Stadium, fügten sie menschliche Stammzellen ein und übertrugen die Embryonen in eine Schweine-Leihmutter.
Die Chimären wurden aber nicht ausgetragen, sondern nach drei bis vier Wochen getötet und aus der Gebärmutter der Sau entfernt. „Diese Entwicklungszeit ist für uns lang genug, um mehr darüber herauszufinden, wie sich Zellen von Mensch und Schwein in einem frühen Entwicklungsstadium mischen können“, erläutert Belmonte. Ferkel mit einer Spur von Mensch im Körper kamen also nicht zur Welt. Irgendwann könnte es aber solche Wesen geben. Schließlich müssen menschliche Organe im Tier die passende Größe erreichen, um sie als Transplantate verwenden zu können.
Der Bedarf ist groß. Im vergangenen Jahr haben in Deutschland 857 Menschen nach ihrem Tod Organe für schwer kranke Patienten gespendet. Trotzdem stehen noch gut 10.000 Patienten auf der Warteliste, weil sie dringend ein neues Herz, eine neue Niere, Leber, Lunge oder Bauchspeicheldrüse brauchen.
Immerhin ist das Problem erkannt. Forscher arbeiten seit Jahren an alternativen Methoden. Hierzulande bemüht man sich vor allem, die Xenotransplantation voranzutreiben, bei der Organe einer anderen Art übertragen werden – auch dabei sind Schweine die Favoriten. Andere Teams versuchen im Labor aus Stammzellen Herzen, Nieren und Co. zu züchten.
Den Weg über Mensch-Tier-Chimären fanden viele Experten bisher wenig aussichtsreich. In Deutschland gibt es derzeit niemanden, der ihn verfolgt. „Gut möglich, dass die neue Studie diesem Bereich jetzt wieder Auftrieb gibt“, sagt Eckhard Wolf, der an der Ludwig-Maximilians-Universität München den Lehrstuhl für Molekulare Tierzucht und Biotechnologie innehat und selbst die Xenotransplantation vorantreibt. „Es ist schon erstaunlich, dass es überhaupt funktioniert, menschliche Zellen in Schweineembryonen zu integrieren.“ Die Studie sei aber nicht Anlass, auf Chimärenforschung umzuschwenken. Für Wolf sind die Resultate noch zu mager, der erzielte Grad an Chimärismus – eine menschliche auf 100.000 Schweinezellen – für medizinische Anwendungen viel zu gering.
Wissenschaftler sehen Chimärismus als gutes Zeichen
Die US-Forscher sehen den schwachen Chimärismus als gutes Zeichen. Schließlich sollen die Wesen nicht zu menschlich werden. Bedenklicher wäre gewesen, wenn sich menschliche Zellen ins Gehirn integriert hätten. Sie fanden sich aber nur in Muskeln und Vorläufern von Organen.
Um den Chimärismus zu verbessern, wollen die Forscher in Schweineembryonen nun eine Nische für die Entwicklung bestimmter Organe schaffen. Bei Maus und Ratte gelang ihnen das – dank der Genschere Crispr, die Eingriffe ins Erbgut erlaubt. Das Team entfernte aus Mäuseembryonen einzelne Gene, etwa jene, die für die Entwicklung von Herzen oder Bauchspeicheldrüse entscheidend sind. Erst dann übertrugen sie Stammzellen von Ratten in die Mäuseembryonen. Mit ihren intakten Organentwicklungsgenen nutzten sie die Chance und in den Mäusekörpern entstanden Herzen und andere Organe nach Rattenart.
Pavian mit Schweineherz
Ähnlich wollen Belmonte und seine Kollegen nun mit Mensch-Schwein-Chimären verfahren. Sie sind zuversichtlich, irgendwann ihr Ziel zu erreichen. Ob sich die Natur wirklich so stark austricksen lässt, ist fraglich. „Die Barrieren zwischen evolutionär derart weit entfernten Arten sind erheblich“, sagt Heiner Niemann, Leiter des Instituts für Nutztiergenetik des Friedrich-Loeffler-Instituts in Neustadt bei Hannover.
Auch er setzt auf die Xenotransplantation. Dabei werden die Spendertiere genetisch so verändert, dass ihre Organe vom Menschen besser verträglich sind. Für Niemann ist es „der aussichtsreichere und weiter fortgeschrittene Weg“. Das Herz eines genetisch veränderten Schweins hat im Körper eines Pavians bereits mehr als 900 Tage lang geschlagen. Ob als Chimären oder in transgener Form – Schweine als Organlieferanten sind keine Fiktion, sondern die Zukunft.
Das sagt der Vorsitzende des Deutschen Ethikrates dazu
Herr Professor Dabrock, Mischwesen aus Mensch und Schwein. Was sagen Sie dazu?
Auf den ersten Blick klingt das, als befänden wir uns auf bestem Weg in eine Gruselgesellschaft. Wenn man sich jedoch näher ansieht, was die Wissenschaftler gemacht haben, stellt man fest, dass das alles noch frühe Grundlagenforschung ist. Diese Art von Experimenten ist nicht von vornherein zu verurteilen, aber kritisch zu begleiten.
Die Forscher wollen in Mischwesen Gewebe und Organe für die regenerative Medizin züchten. Heiligt dieser Zweck fast alle Mittel?
Natürlich gibt es da auch Grenzen. Grundsätzlich hat der Ethikrat es aber schon in seiner Stellungnahme aus dem Jahr 2011 als ethisch statthaft erachtet, menschliche Gene in den Erbgang von Säugetieren einzuschleusen oder menschliche Zellen auf Säugetiere zu übertragen, wenn das Forschungsziel hochrangig ist in Hinblick auf den Nutzen für den Menschen – und wenn das Wohl der Tiere beachtet wird.
Ist es ein hochrangiges Ziel, Ersatzorgane für die Transplantationsmedizin zu züchten?
Anstrengungen, den Mangel an Ersatzorganen zu beseitigen, würde ich als hochrangig bezeichnen. Daher kann man diese Experimente durchaus akzeptieren. Ein wichtiger Aspekt ist aber auch die grundsätzliche Haltung zur Nutzung von Tieren.
Tierschützer sind gewiss empört.
Wer grundsätzlich gegen tierexperimentelle Forschung ist, der wird auch dagegen sein, menschliche Organe in Schweinen zu züchten. Der muss sich dann aber auch Rechenschaft ablegen, welche Medikamente er sich und seinem Kind überhaupt geben kann. Denn ein ganz großer Teil der Medikamente wäre ohne tierexperimentelle Forschung nicht da. Es gehört zur Ehrlichkeit unseres menschlichen Daseins, dass wir – in einem hoffentlich immer geringer werdenden Maße – für die Medizin tierexperimentelle Forschung benötigen. Viele Fortschritte sind ohne sie nicht denkbar.
Ist die Nutzung von Tieren für unsere Ernährung ähnlich zu bewerten?
Wer sich über solche Experimente empört, aber Fleisch zu Billigpreisen kauft, dem nehme ich seine Besorgtheit nicht ab. Zumal die Zahl der Schweine in der tierexperimentellen Forschung verschwindend gering ist im Vergleich zur Zahl der Schweine, die in Massen gehalten werden und ein lausiges Leben führen müssen, um auf unseren Tellern zu landen.
Trotzdem muss es doch Grenzen geben in Zeiten, in denen es immer leichter wird, Lebewesen zu klonen, Arten zu vermischen und das Erbgut nachhaltig zu manipulieren.
Natürlich gibt es die. Absolutes Tabu sind Mischwesen, bei denen man die Artzugehörigkeit nicht mehr klar erkennen kann. Nur mal als Gedankenexperiment: Ein Schwein zu züchten, das mithilfe menschlicher Gene sprechen kann, ginge auf keinen Fall. Wenn der artspezifische Funktionstypus verändert wird, dann ist das unverantwortlich. Auch das Embryonenschutzgesetz zieht klare Grenzen. Es verbietet zum Beispiel die Übertragung menschlicher Embryonen auf ein Tier und die Verbindung eines menschlichen Embryos mit tierischen Zellen, die sich mit ihm weiter entwickeln könnten. Der Ethikrat hat schon damals empfohlen, die Grenzziehungen zu erweitern und auch die Übertragung tierischer Embryonen auf den Menschen zu untersagen sowie die Einbringung tierischen Materials in den Erbgang des Menschen.
Ist es für den Ethikrat also an der Zeit, sich noch einmal mit der Mischwesen-Problematik zu befassen?
Auf dem aktuellen Arbeitsplan steht das Thema nicht. Ich denke, wir können da mit gutem Gewissen auf die Stellungnahme von 2011 verweisen. Diese Mischwesen-Experimente stehen ja noch sehr am Anfang. Wer weiß, ob jemals etwas wird aus dem Ansatz.
Das Gespräch führte Anne Brüning.
Peter Dabrock (Jahrgang 1964) ist Vorsitzender des Deutschen Ethikrates. Er leitet an der Universität Erlangen-Nürnberg den Lehrstuhl für Systematische Theologie und beschäftigt sich mit Bioethik.