Schleswig-Holstein Schleswig-Holstein: 65 Teenager aus Kiel wollen Jugendweihe feiern
Kiel/dpa. - Sie ist zwar nicht wie viele denken eine Erfindung sozialistischer DDR-Politiker, in Westdeutschland aber gleichwohl fast eine Kuriosität: die Jugendweihe. Auch in Schleswig-Holstein wählen Jahr für Jahr etliche Jugendliche das atheistische Pendant zu Firmung und Konfirmation als Ritual auf der Schwelle zum Erwachsenwerden. Zwar haben die Feste der beiden großen christlichen Kirchen nach wie vor erheblich mehr Zulauf, doch auch die Jugendweihe hat im Land bereits eine fast 60-jährige Geschichte.
«Wichtig ist, was gemacht wird, nicht, wie viele mitmachen», meint der Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Jugendweihe in Schleswig-Holstein, Norbert Diener. Nach Angaben des Vereins bereiten sich in Kiel derzeit 65 junge Menschen auf ihre Jugendweihe am 26. Juni vor. Gruppen in Neumünster, Plön und Elmshorn (Kreis Pinneberg) kamen aus Mangel an Interessenten und Mitarbeitern nicht zu Stande. Zum Vergleich: In Brandenburg feiern in diesem Jahr fast 16 000 Jugendliche Jugendweihe.
In Vorbereitungskursen beschäftigten sich die 14-Jährigen laut Diener etwa mit Nazi-Zeit und DDR-Geschichte und werden für den Umweltschutz sensibilisiert. «Selbst wenn es keine Konfirmation gäbe, hätte die Jugendweihe eine Existenzberechtigung - unter anderem indem sie solche Inhalte vermittelt, die im Elternhaus und in der Schule zu kurz kommen», betont Diener. Seit 1980 gebe es Jahr für Jahr mehr Jugendweihlinge in Schleswig-Holstein - jeder zweite der diesjährigen 65 Jugendlichen komme aus DDR-Familien.
«Familien, die aus der DDR hierher gezogen sind, wollen so diese Sozialisation hier fortsetzen», kommentiert der Sprecher der Nordelbisch Evangelisch-Lutherischen Kirche, Norbert Radzanowski. Nach seiner Auffassung kann die Jugendweihe der «Verankerung im christlichen Wertesystem nur wenig entgegensetzen». Die Konfirmation sei in Nordelbien nach wie vor fest verwurzelt. Die Zahl der Konfirmanden sei im Jahr 2002 um knapp 2000 auf 24071 gestiegen. «Von einer Renaissance der Jugendweihe im Bereich Nordelbiens kann in keinem Fall gesprochen werden», betont Radzanowski.
Auch die Katholische Kirche, die im Jahr 2002 in Schleswig- Holstein 980 (2001: 682) und in Hamburg 1215 (660) Firmlinge zählte, sieht die Jugendweihe nicht als Konkurrenz. Es sei aber nicht verwunderlich, dass solche atheistischen Rituale auch in Westdeutschland Fuß fassten, meint der Sprecher des Erzbistum Hamburg, Manfred Nielen. «Immer mehr Menschen werden nicht mehr christlich sozialisiert, haben aber dennoch eine Sehnsucht nach Ritualen - etwa für den Übergang vom Jugend- zum Erwachsenenalter.» Die Kieler Theologin Sabine Bobert bekräftigt: «Jugendweihe ist zunächst ein Ostphänomen - dass es auch in Westdeutschland Fuß fasst, dokumentiert die Sehnsucht nach Ritualen.»
Nicht-religiöse Mündigkeitsfeiern gab es in Deutschland schon im 19. Jahrhundert. 1852 wurde ein solches Fest im thüringischen Nordhausen erstmals «Jugendweihe» genannt. Unter den Nazis 1933 verboten, wurde die Jugendweihe in der DDR zum offiziellen Festakt. Seit den 50er Jahren wurde dieser im 8. Schuljahr begangen, an dem fast alle 14- bis 15-Jährigen teilnahmen. Zuvor erhielten sie eine politische Schulung. Heute sind die größten Anbieter nicht-religiöser Jugendfeiern die Interessenvereinigung Jugendweihe, der Humanistische Verband Deutschlands und der Freidenker Verband.