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Russland Russland: Moskaus Brautpaare geben sich wie Popstars

Von Angela Lieber 16.10.2006, 06:10
Kerzen tragende Brautpaare nehmen in der Auferstehungskirche in Moskau an einer Massenhochzeit teil. (Foto: dpa)
Kerzen tragende Brautpaare nehmen in der Auferstehungskirche in Moskau an einer Massenhochzeit teil. (Foto: dpa) EPA

Moskau/dpa. - Die Russen haben nach denschwierigen neunziger Jahren wieder Lust aufs Heiraten bekommen.Hauptsaison für den Bund der Ehe ist keineswegs der Mai, sondern derHerbst. Wenn draußen die ersten Blätter fallen, besiegeln dieStandesämter den Bund fürs Leben wie am Fließband.

«Im September und Oktober sind wir jedes Jahr vollkommenausgebucht», erzählt der Chauffeur Wladimir Kurka, der ein jungesPaar mit seiner noblen US-Stretchlimousine zum Standesamt gebrachthat. Dass das Heiraten im Herbst seine Hochsaison oder treffenderHochzeit erlebt, hat religiöse Gründe. In der russisch-orthodoxenKirche darf während der Fastenzeiten nicht geheiratet werden. «Unddavon haben wir hier vier pro Jahr», erklärt der 60-jährigeChauffeur. Grinsend zeigt er auf eine Auswirkung der häufigenFastenzeiten: Gleich mehrere Gesellschaften warten zapplig aufEinlass in das Standesamt. Die Tage zum Heiraten sind begrenzt.

An jedem Herbstwochenende wimmelt und wuselt es in demstalinistischen Gebäude, das noch aus Sowjetzeiten den stolzen Namen«Palast der Eheschließung» trägt. Manchmal stauen sich bis zu sechsBrautpaare samt Gästeschar in der Halle vor dem eigentlichenHochzeitssaal. Aufgeregte Bräute drehen sich vor den meterhohenWandspiegeln. Nervöse Mütter zupfen fahrig am Schleier ihrer Töchterund flüstern Ratschläge. Schwitzende Verwandte tragen mit gewichtigerMiene Fotoapparate, Videokameras und Stative durch die Gegend.

«Im Herbst ist bei uns die Hölle los», kommentiert PjotrBondarowitsch das Treiben. Mit seiner Uniform sorgt er im Amt fürOrdnung. «Häufig rücken die Hochzeitspaare gleich mit hundert Gästenan. Dann sitzen alle mit Tröten, Champagner und Blumensträußen inunserem viel zu kleinen Warteraum», berichtet der Wachmann.

Durch die wartende Menge geht ein Raunen, als eine Standesbeamtinin Schwarz mit einer Liste bewaffnet das nächste Paar in denZeremonien-Saal ruft. Für Romantik bleibt jetzt wenig Zeit. Exakt 15Minuten stehen jedem Hochzeitspaar zu, um mit Gefolge in den Saal zurauschen, die Plätze einzunehmen, Mendelssohns Hochzeitsmarsch zulauschen, die Rede der Standesbeamtin zu verfolgen, ein kräftiges«Da» (Ja) zu rufen und einander die Ringe aufzustecken. Dann ist dieViertelstunde um, das Heiratsregister um ein Paar erweitert, und dieBeamtin drängt zum Aufbruch. Denn vor der Tür bringt sich schon dienächste Gesellschaft in Stellung.

«Ein bisschen erinnert das hier schon an Massenabfertigung»,gesteht der Wachmann Pjotr ein. «Aber eigentlich geht es bei uns erstnach der Trauung so richtig los.»

Die Zeit, die im Standesamt noch fehlte, ist nun im Überflussvorhanden. Aus Termingründen müssen zwischen Trauung und abendlicherHochzeitsparty oft halbe Tage überbrückt werden. «Ich kutschieremeine Klienten dann stundenlang von einer Sehenswürdigkeit zuranderen, zu sämtlichen Kriegs- und Lenindenkmälern oder zu denSperlingsbergen», erzählt der Chauffeur, während seineAuftraggeber beim Gang aus dem Standesamt die Schampanskoje-Korkenknallen lassen. Wladimir sitzt am Steuer einer noblen schwarzenStretchlimousine zum Stundentarif von 3750 Rubel (115 Euro). Nebenanstehen zwei weitere der bei Moskaus Hochzeitsgesellschaften derzeitschwer angesagten Protz-Gefährte.

Die jungen Brautleute wollten wenigstens einmal im Leben sorichtig im Mittelpunkt stehen. «Hochzeitsgesellschaft und Limousinekönnen gar nicht groß genug sein», sagt Wladimir lachend. Für dieabendliche Hochzeitsparty muss es ein Restaurant oderbesser noch ein Festsaal sein. «Eine solche Feier ist immer einMordsfest», meint auch der Ordnungshüter vom Standesamt.

Bei manchen Paaren tritt die große Ernüchterung allerdings schonein, wenn der Ehealltag in einer Zweizimmerwohnung mit den nörgelndenSchwiegereltern beginnt. Schon das russische Wort für Ehe verheißteigentlich nichts Gutes. Denn das Wort «Brak» steht in einer anderenBedeutung auch für Fehler oder Schaden.