Rettung in Indien Rettung in Indien: Die Legende vom Affen-Mädchen

Die Meldung und das Foto gingen vor einigen Tagen um die Welt. In Nordindien sei im Januar ein kleines Mädchen in einem Wald entdeckt worden, wo es offenbar mit Affen zusammengelebt hatte. Ranger fanden die etwa Achtjährige ohne Kleidung. Sie sei auf allen Vieren gekrochen und habe Laute von sich gegeben. Und die Ranger hätten eine Gruppe von Affen abwehren müssen, die sich um das Mädchen geschart hätten.
Sofort wurde eine Parallele gezogen zur berühmten „Dschungelbuch“-Geschichte um den kleinen Mogli. Eine Geschichte, die gleichermaßen Faszination ausübt, aber – wenn sie dann möglicherweise real wird – auch einen gewissen Schrecken und Grusel verursacht.
Geschichte vom Affen-Mädchen stimmt nicht
Nach Tagen der Untersuchungen und Nachforschungen hat sich nun ergeben, dass die Geschichte vom Affen-Mädchen nicht stimmt. Und dass das Schicksal der Kleinen noch viel schrecklicher ist, als man ahnte. Das Mädchen, das laut der Ärzte eine leichte geistige und körperliche Behinderung hat, hat sich wohl nur kurz im Wald aufgehalten. Sie ist offenbar von ihrer Familie dort ausgesetzt worden. Der Chef der örtlichen Polizei sagt, dass Kind sei in Wahrheit am Rande des Waldes an einer Straße gefunden worden. Affen seien zwar in der Nähe gewesen, aber die Ranger hätten sie keineswegs aus einer Gruppe Affen herausgeholt. „Ich denke, Familienmitglieder haben das Kind ausgesetzt, weil es nicht sprechen kann. Wenn es überhaupt mit Affen gelebt hat, dann nur für einige Tage“, sagte der Polizeichef. Der Wald sei ständig unter Beobachtung der Ranger – ein Kind hätte man auf Dauer nicht übersehen.
Die Ärzte, die das Mädchen seit Wochen betreuen, weisen noch auf einen anderen Hintergrund hin. „In Indien bevorzugen die Eltern Söhne. Das Kind wurde ausgesetzt, weil es ein Mädchen ist und obendrein noch behindert“, sagte der Chefarzt Ankur Lal. Oft wird abgetrieben, wenn sich herausstellt, dass ein Mädchen unterwegs ist.
Im Krankenhaus hat sich das Mädchen sehr schnell entwickelt. Zunächst kroch es nur, doch schon bald konnte es laufen. „Das deutet daraufhin, dass sie unter Menschen aufgewachsen ist“, so der Arzt.
„Die Wahrheit hinter der Geschichte ist, dass sich ihre Eltern nicht um sie kümmern wollten“, sagte die Aktivistin Ranjana Kumari, die sich für der Rechte von Mädchen einsetzt. Die Kleine kommt nun in ein Waisenhaus. Die Legende ist entzaubert.
Der Mythos vom Aufwachsen bei wilden Tieren
Zahlreiche Geschichten und Legenden ranken sich um Wolfskinder. Bereits in der mythischen Vorgeschichte Roms werden Romulus und Remus von einer Wölfin gesäugt.
Eine moderne literarische Figur ist der von Tieren aufgezogene Mogli aus dem „Dschungelbuch (1894) von Rudyard Kipling. Er reift vom verspielten Kind bis zum Herrn über die Tierwelt. „Tarzan“ von Edgar Rice Burroughs von 1912 ist eine populäre Gestalt in der literarischen Tradition des Helden, der bei wilden Tieren und den Gesetzen der Natur zu einem fähigeren und besseren Menschen wird.