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«Reenactment» «Reenactment»: Amerikanischer Bürgerkrieg in Boxberg

Von STEFFEN KÖNAU 24.04.2009, 10:11

Halle/MZ. - "Feuer!", hallt es hinüber in die Festung, über der eine zerzauste Flagge der Union müde im Wind wackelt. Keine Gegenwehr mehr von den Verteidigern.

Es ist der 18. April 1864 und gleich werden die Truppen in Fort Gray, einer föderierten Festung ganz in der Nähe der Stadt Plymouth in South Carolina, das Handtuch werfen. Ein letzter Ansturm noch, das wissen die Männer der 1th Virginia. Dann ist es geschafft.

Mal wieder. Immer im April liegt South Carolina für ein Wochenende in Deutschland, immer im April wird geschossen und gekämpft. Fort Gray ist mal ein einzeln stehendes Haus, mal eine Burg aus Sandsäcken vor der Kulisse der Schlote des Kraftwerks Boxberg. Schon wenn die Schlacht beginnt, wissen alle, wer sie gewinnt.

Auch heute in der abgelegenen Kiesgrube in der Nähe von Spremberg, wo Rainer Siebert sich gerade den Staub aus der grauen Uniform klopft. Der Chef der 1th Virginia schaut zufrieden über das Schlachtfeld, auf dem die Truppen inzwischen Gefechtspause machen. Blaue Unionstruppen liegen neben grauen Rebellenuniformen im Gras. "Manchmal sind wir nicht genug Blaue", winkt Siebert ab, "dann ziehen sich ein paar unserer Jungs den blauen Rock an."

Müssen sie heute nicht, denn zur Schlacht um Plymouth sind nicht nur Truppen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen angereist, sondern auch Blaue und Graue aus den alten Ländern, Schützen aus Polen und Kanoniere aus Tschechien. Ein ganzes Feldlager aus groben Sackleinen-Zelten duckt sich ins niedrige Buschwerk, Kochfeuer qualmen und Gewehrpyramiden säumen die Wege.

Mittagspause im Bürgerkrieg, für den sich Rainer Siebert schon seit Jahrzehnten interessiert. "Ich bin hinterm Karl-May-Museum aufgewachsen", erzählt der Radebeuler, "da lag das nahe." Wie Siebert stieß auch Stefan Müller, der in Uniform "Steve McMiller" heißt, irgendwann auf die vielen deutschen Freiwilligen, die im Bürgerkrieg auf beiden Seiten kämpften. "Eine Viertelmillion Mann", sagt er, "und alle glaubten, ihre neue Heimat verteidigen zu müssen." Vor zehn Jahren gründeten die beiden gemeinsam mit Gleichgesinnten den Amerikanistik-Verein Virginia Volunteers. Eine Fahrkarte zur gelegentlichen Flucht aus dem Alltag, zurück "in eine Zeit, als Träume noch bestehen konnten neben der Brutalität des immer nur Nützlichen", wie Jörg Behnke schwärmt, den sie den "General" nennen. Bald darauf begann die bunte Truppe, bei "Reenactments" mitzumachen. Dabei werden die Schlachten des Civil War von manchmal einigen hundert, manchmal aber auch ein paar tausend Freizeitsoldaten mit Flinten ohne Kugeln nachgestellt.

Die Dresdner Freiwilligen, inzwischen auf 62 Aktive angewachsen, spielen dabei die "German Rifles"-Kompanie der 1. Virginia-Infanterie und die "Louisiana Tigers"-Brigade. Fünf Jahre dauerte der Konflikt zwischen Nord und Süd, fünf Jahre dauert auch jede Wiederholungsschleife. Danach fängt der Kireg von vorn an. Dass die Frauen und Männer um Rainer Siebert ausgerechnet Südstaatler sein wollen - Verteidiger der Sklaverei und am Ende auch noch jedesmal Verlierer - nennen sie reinen Zufall. "Nach der Wende", sagt Behnke, "kostete so eine Unionsuniform ja ein paar tausend Mark." Da die Armee des Nordens einheitliche Kleidung trug, konnte Nordstaatler nur werden, wer Geld hatte. "Als Konföderierter dagegen", erzählt McMiller, "darfst Du anziehen, was Du willst, Hauptsache, es ist grau." Irgendwie individueller könne man als Südstaatler sein, glaubt Miller. Aber irgendwie sei er auch beeindruckt gewesen "von einer Welt ohne staatliche Gängelung und mit einer trotzigen Lebensart, die sich nicht von außen verändern lassen wollte, beschreibt Behnke. "So wurden im Osten viele Graue."

In den alten Ländern hingegen dominiert das Blau der Kämpfer gegen die Sklaverei, die am Ende immer gewinnen. Das passe dann auch schon wieder gut, schmunzelt McMiller. Jeder mache, was er könne. "Außerdem", hat Rainer Siebert bemerkt, "sind die Einheiten dort eher ein Abbild der Gesellschaft." Der Manager führe, der Polier kommandiere, Lehrlinge und Angestellte marschieren. "Das ist bei uns nicht so", bestätigt Jörg Behnke, der über den Westerntanz zur 1th Virginia kam. In Sachsen und Sachsen-Anhalt glichen die Reenactment-Truppen einer Parallelgesellschaft: "Viele, die sonst befehlen, sind froh, hier mal nur gehorchen zu müssen."

Um Krieg und Ballerei geht es Leuten wie Jörg Behnke, dessen Tochter Claudia bei den Louisiana Tigers dient, nur nebenbei. "Wir wollen eine Vorstellung bekommen, wie sich die Menschen damals fühlten", sagt der Mann mit dem malerischen Backenbart. Dazu gehören Gefechte genauso wie Abende am Lagerfeuer und prächtige Südstaaten-Bälle. Behnke nimmt jedes Wochenende im Feld als Zeitreise: Im originalgetreuen Offizierszelt sitzt er vor einem Original-Sekretär aus der Bürgerkriegszeit, schreibt mit einem antiken Federhalter und schaut durch ein historisches Brillengestell. "Nur die Gläser", lacht er, "die habe ich passend reinmachen lassen."

Auch die Schlachten folgen historischen Fahrplänen. Kein "Auf sie mit Gebrüll", sondern Warten und Marschieren, Schießen, Umgruppieren und wieder warten. Claudia Behnke, die als Sanitäterin mitspielt, will es auch nicht anders. Schließlich, sagt sie, komme sie, um gemeinsam mit Gleichgesinnten Geschichte nachzuerleben. Und die sei nun mal nicht jede Minute spannend.

Nur manchmal eben doch. Letztes Jahr in Tschechien etwa musste Rainer Siebert seine in mühevoller Handarbeit gebaute Haubitze tatsächlich mit letzter Kraft verteidigen - gegen eine tschechische Unionssoldatin im Kampfesrausch. "Die Dame griff echt an", erzählt er, "ließ nicht ab von mir." In höchster Not packte Siebert, ein starker Mann mit breiten Händen, seinen Ladestock und focht damit um sein Geschütz. "Das Ding war so verrust, dass die Blaue im Nu toppschwarz war." Schlacht entschieden, Sieg für Grau! Nächstes Jahr allerdings ist dann wieder der Krieg zu Ende. Und den werden sie wie immer verloren haben.