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Gegen Einsamkeit Raus aus der „Schmuddelecke“ – Besuch bei einer Kuschelparty

Schmusen ist gesund, da ist sich die Wissenschaft sicher. Bei den Kuschelpartys der Dresdnerin Marta Ulrike Hübner kuscheln völlig Fremde miteinander. Es gibt Kakao, Kissen und klare Regeln.

Von Sebastian Kahnert (Fotos) und Helena Dolderer (Text), dpa Aktualisiert: 19.12.2025, 09:28
Menschen haben ein Grundbedürfnis nach absichtsloser und liebevoller Berührung, sagt Kuscheltherapeutin Marta Ulrike Hübner.
Menschen haben ein Grundbedürfnis nach absichtsloser und liebevoller Berührung, sagt Kuscheltherapeutin Marta Ulrike Hübner. Sebastian Kahnert/dpa

Dresden - Marta Ulrike Hübner sitzt an einem Sonntag im Dezember auf einem mit Decken ausgelegten Zimmerboden. Draußen ist es schon dunkel. „Ich möchte euch bitten, euch kurz vorzustellen, euren Namen und ob ihr schon Kuschel- oder Kakao-Erfahrung habt“, sagt sie. Neben ihr sitzen elf Menschen, manche von ihnen kennt Hübner schon von früheren Kuschelpartys. Andere sind heute zum ersten Mal bei „Kakao & Kuscheln“ in Dresden.

„Ich bin sehr kuschelbedürftig, hatte aber länger nicht die Möglichkeit, mit jemandem zu kuscheln“, erzählt ein Mann aus der Runde. „Ich war schon zweimal hier“, sagt eine der Frauen. „Und ich bin wieder sehr aufgeregt.“ Dann geht es los. Hübner erklärt noch einmal die Regeln. Bevor gekuschelt wird, lernen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei einigen Übungen besser kennen und trinken gemeinsam Kakao.

Hübner ist ausgebildete Yogalehrerin und Kuscheltherapeutin beim KuschelRaum mit Sitz in Berlin. Seit 2023 leitet sie eigene Kuschelpartys. Mittlerweile gibt es das Format in mehreren Städten. „Das Besondere ist hier, dass alle Berührungen vorab erfragt werden müssen“, sagt die Dresdnerin. Erst ein verbales Ja heiße Ja, das sei nicht überall so. „Man kann zum Beispiel auf jemanden zugehen und fragen: Darf ich mich neben dich setzen? Oder: Darf ich deine Schulter berühren?“

Paare berühren sich im Schnitt zehnmal am Tag

Berührungen stärken das Vertrauen in andere Menschen und signalisieren Aufmerksamkeit, sagt die Psychologin und Neurowissenschaftlerin Ilona Croy von der Universität Jena. Zusammen mit ihrem Forschungsteam hat sie herausgefunden, dass Paare sich im Schnitt zehnmal pro Tag bewusst berühren, etwa durch Küsse oder Umarmungen.

„Eine Berührung wird vermittelt über spezialisierte Nervenfasern, sogenannte c-taktile Nervenfasern“, erklärt sie. „Wenn man sanft über die Haut streichelt, mit ein bis zehn Zentimetern pro Sekunde, dann werden diese Nervenfasern aktiv.“ 

Diese senden dann Signale an das Belohnungszentrum im Gehirn. Cortisolspiegel und Herzfrequenz sinken, das wirke stresslindernd und beruhigend. Optimal sind laut Croy drei Zentimeter pro Sekunde. Sich selbst zu streicheln, sei dagegen weniger effektiv, weil der Körper mit der Berührung rechne und die Aktivität der Hirnareale geringer sei.

Unter Männern ist Kuscheln oft noch tabu

Das Bedürfnis nach liebevollen Berührungen verändert sich aber auch im Laufe des Lebens, sagt die Soziologin Romy Simon von der Technischen Universität (TU) Dresden. „Für Kinder ist es elementar wichtig, in den Arm genommen zu werden und liebevoll aufzuwachsen“, sagt sie. Als Jugendliche würden viele einen Kuss von der Mutter dagegen eher vehement ablehnen. 

Im Erwachsenenalter komme es dann unter anderem auf das Geschlecht und das soziale Umfeld an. „Berührungen unter Frauen sind gesellschaftlich legitimer. Bei Männern ist das eher immer noch tabuisiert“, sagt die Soziologin. Besonders ältere Menschen, die alleine leben, hätten oft einen schlechten Zugang zu körperlicher Nähe. „Da sind die sozialen Netzwerke einfach kleiner.“

Dabei helfe Körperkontakt gegen Einsamkeit und könne sogar Depressionen entgegenwirken. Gerade Kuscheln gelte aber für viele Menschen als etwas sehr Intimes und finde vor allem in Beziehungen statt. „Kuschelpartys bieten die Möglichkeiten, diesen engen Rahmen aufzubrechen“, sagt Simon. Allerdings müsse man sich das auch finanziell leisten können. Bei Hübner kosten die drei- oder vierstündigen Kuschelpartys zwischen 20 und 35 Euro. 

Küssen erlaubt, aber ohne Zunge

Dabei gilt: Es geht ums Kuscheln ohne sexuelle Intentionen. Sanfte Küsse sind erlaubt, Zungenküsse nicht. „Es gibt zwei Grundbedürfnisse nach Berührung“, erklärt sie. Eines nach sexuellem Ausdruck, das andere nach absichtsloser und liebevoller Berührung. „Das ist für viele neu, wenn sie herkommen. Und wir gehen hier eben nur diesem zweiten Aspekt nach.“ 

Manche Körper seien darauf gepolt, auf jede Berührung mit Erregung zu reagieren. Indem man sich bewusst fürs Kuscheln entscheide, könne man das aber „umpolen“, sagt die Kuscheltherapeutin. „Die Intention ist auch, Kuschelpartys aus der Schmuddelecke zu holen.“ 

Alles auf der Kuschelparty ist freiwillig

Johannes Neuber, der heute dabei ist, hat es sich schon auf dem Deckenboden gemütlich gemacht. Beim ersten Mal sei er sehr aufgeregt gewesen, erzählt er. „Ich konnte mir gar nicht vorstellen, dass das überhaupt geht, ohne so einen sexuellen Kontext. Aber es funktioniert erstaunlich gut.“ Seitdem komme er regelmäßig, gerade in der Weihnachtszeit sei das schön.

Nach gut zwei Stunden beginnt in der Regel die „freie Kuschelzeit“, in der geschmust werden darf. Manche, die anfangs noch zurückhaltend gewesen seien, könnten sich nach den Übungen gut darauf einlassen. Aber, und das ist Hübner wichtig zu betonen, alles ist freiwillig. „Man kann auch einfach zugucken, schlafen oder meditieren.“