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Prozess in Belgien Prozess in Belgien: Richter sehen Videos mit Vergewaltigungszenen

19.04.2004, 07:07
Bildkombo aus Porträts der sechs Opfer des mutmaßlichen belgischen Kinderschänders Marc Dutroux: (von oben links) Sabine Dardenne und Laetitia Delhez konnten lebend getrettet werden, Julie Lejeune, Marchal Lambrecks, Eefje Lambrecks und Loubna Benaissa wurden vermutlich von Dutroux ermordet (undatierte Archivfotos). Im Dutroux-Prozess will das Gericht in Arlon bis Ende April fast 500 Zeugen vernehmen. (Foto: dpa)
Bildkombo aus Porträts der sechs Opfer des mutmaßlichen belgischen Kinderschänders Marc Dutroux: (von oben links) Sabine Dardenne und Laetitia Delhez konnten lebend getrettet werden, Julie Lejeune, Marchal Lambrecks, Eefje Lambrecks und Loubna Benaissa wurden vermutlich von Dutroux ermordet (undatierte Archivfotos). Im Dutroux-Prozess will das Gericht in Arlon bis Ende April fast 500 Zeugen vernehmen. (Foto: dpa) belga

Arlon/dpa. - Wahre Todesängste hat das Entführungsopfer Sabine Dardenne im Keller des mutmaßlichen Mädchenmörders Marc Dutroux durchgestanden. «Sei brav oder Du bist tot» - mit diesen Worten habe Dutroux sie während der 80 Tage dauernden Gefangenschaft bedroht, sagte die heute 20-Jährige am Montag vor dem Schwurgericht von Arlon. Wiederholt habe ihr Peiniger von einem bösen Chef gesprochen, der sie umbringen wolle. Deshalb sei sie sogar froh gewesen, als ihr Entführer sie in einem engen Versteck einsperrte.

Mit belegter, manchmal leicht zitternder Stimme berichtete Dardenne als erstes überlebendes Opfer von der Folter im Keller des Dutroux-Hauses. Ihre mit Spannung erwartete Aussage ist für den Prozess von großer Bedeutung: Fahndungspannen bei Polizei und Justiz lassen bisher manche Fragen offen, der Hauptangeklagte Dutroux beruft sich auf das Recht zu lügen, und vier der sechs entführten Mädchen können nichts mehr bezeugen - sie starben qualvoll.

Die Mutter der zweiten Kronzeugin, die an diesem Dienstag aussagen soll, erlitt wie Vater eines getöteten Mädchens während der Sitzung einen Schwächeanfall. Beide wurden ins Krankenhaus gebracht.

Sabine Dardenne blickte Dutroux in die Augen, wie sie es vor dem Prozess angekündigt hatte, und sie riss ihren früheren Peiniger mit einer Frage aus seiner regungslosen Haltung im Glaskäfig der Angeklagten: «Auch wenn ich die Antwort ein wenig kenne, wüsste ich gerne von ihm, der sich über meinen schlechten Charakter beklagte, weshalb er mich nicht umgebracht hat.» «Davon war nie die Rede», entgegnete Dutroux und beeilte sich, die Misshandlung des Mädchens einzuräumen und «die Verantwortung» dafür zu übernehmen.

Ohne Details zu nennen bestätigte Dardenne, dass ihr Entführer sie mehrfach vergewaltigte. Auf die Frage einer Geschworenen, ob Dutroux ihr jemals von seiner Frau und seinen Kinder erzählt habe, antwortete die zur Tatzeit Zwölfjährige: «Natürlich nicht, ich war seine Frau.» Wenn sie Dutroux zu Willen gewesen war, habe sie manchmal Fernsehen schauen dürfen. Aus Furcht vor Dutroux und dessen vorgeblichem Chef habe sie nie die Flucht versucht: «Ich hatte immer die Angst im Bauch, dass sie mich eines Tages holen würden.»

Von Dutroux' früheren Entführungen und den verdursteten Mädchen Julie und Mélissa im selben Verließ wusste die kleine Gefangene nichts, als sie im Keller gefangen saß. Völlig unschuldig klagte sie deshalb über Langeweile: «Ich wollte natürlich nicht, dass er ein anderes Kind entführt.» Doch genau dies tat Dutroux. Er entführte die damals 14-jährige Laetitia Delhez und sperrte sie zu Sabine.

Erst Laetitia erzählte der Zwölfjährigen, dass deren Eltern sie verzweifelt suchten. «Ich habe ihr anfangs nicht geglaubt», sagte Dardenne im Zeugenstand. Dutroux hatte dem Mädchen weisgemacht, ihre Eltern würden das geforderte Lösegeld nicht zahlen. Sabine schrieb Herz zerreißende Briefe an die Mutter, doch ihr Entführer behielt die Schreiben und manipulierte das Mädchen mit erfundenen Antworten weiter. Das ging bis zum Tag der Befreiung im August 1996: «Ich war verrückt genug zu glauben, dass er die Polizei gerufen hatte.»

Als Sabine Dardenne nach 52 Minuten ihre Zeugenaussage beendete, bat Michelle Martin die 20-Jährige um Verzeihung. Doch davon wollte das Opfer nichts wissen: «Sie als Mutter einer Familie wussten, wo ich war. Ich kann ihre Entschuldigung nicht annehmen.»

Für Dutroux und Martin kam es Nachmittag noch dicker. In geschlossener Sitzung sahen sich Richter und Geschworene einige Videofilme an, auf denen die Vergewaltigung mehrerer slowakischer Mädchen zu sehen ist. Teilweise hatte sich der Täter selbst dabei gefilmt. Und Michelle Martin habe einige Opfer vor der Tat betäubt, sagte ein Anwalt: «Sie wusste alles.»

Das Bild zeigt Michel Lelievre (l), Michelle Martin (M.) and Marc Dutroux (r.), die die Angeklagten im Dutroux-Prozess im Gericht in Arlon. (Foto: dpa)
Das Bild zeigt Michel Lelievre (l), Michelle Martin (M.) and Marc Dutroux (r.), die die Angeklagten im Dutroux-Prozess im Gericht in Arlon. (Foto: dpa)
BELGA
Der Fall Dutroux (Grafik: dpa)
Der Fall Dutroux (Grafik: dpa)
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Sabine Dardenne bei der Ankunft vor Gericht im belgischen Arlon (Foto: dpa)
Sabine Dardenne bei der Ankunft vor Gericht im belgischen Arlon (Foto: dpa)
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