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Polizei ermittelt Polizei ermittelt: Warum nahmen die Heilpraktiker Drogen?

Von Bernhard Honnigfort 09.09.2015, 12:48
Etliche Feuerwehrmänner, Rettungskräfte und Rettungsfahrzeuge leisteten am Tagungszentrum in Handeloh (Niedersachsen) erste Hilfe.
Etliche Feuerwehrmänner, Rettungskräfte und Rettungsfahrzeuge leisteten am Tagungszentrum in Handeloh (Niedersachsen) erste Hilfe. dpa Lizenz

Berlin - Vermutlich dreht sich Samuel Hahnemann seit Tagen in seinem Pariser Grab herum. Der aus Meißen stammende Arzt und Begründer der Homöopathie (1755 bis 1843), die mit allerwinzigsten Mengen von Wirkstoffen arbeitet, dürfte entsetzt sein über das undosierte Treiben seiner Nachfolger, die vergangenen Freitag im niedersächsischen Handeloh mit einem Drogenexperiment einen Großeinsatz von Ärzten, Feuerwehr, Rettungssanitätern und Polizei ausgelöst hatten.

„Die Untersuchungen laufen noch“, sagte Polizeispreicher Lars Nickelsen am Mittwoch der DuMont-Hauptstadtredaktion. „Seit Dienstag sind alle Teilnehmer ansprechbar und werden nach und nach vernommen.“ Kommendes Wochenende sollen auch die Ergebnisse der chemischen Untersuchungen der Blut- und Urinproben vorliegen.

Seltsames Spektakel für die Bewohner

Vergangenen Freitag hatte sich den Anwohnern des "Tagungszentrums Tanzheimat" in Handeloh ein seltsames Spektakel geboten: Menschen torkelten über das Wiesengelände, einige lagen reglos herum, andere halluzinierten und schrien wirres Zeug. Im Tagungszentrum hatten sich wie schon etliche Male vorher Heilpraktiker und Homöopathen vornehmlich aus Hamburg zu einem Workshop getroffen. Doch diesmal ging alles schief. Hahnemanns Jünger gaben sich mächtig die Kante. Statt mit Globuli experimentierte die Gruppe vermutlich mit einer Designerdroge, dem Psychedelikum 2C-E, in Szenekreisen als Aquarust bekannt.

Aquarust haute die Tagungsteilnehmer fürchterlich aus den Schuhen. Nicht wenig half viel, wie sonst in der Homöopathie üblich, sondern viel fegte alle weg.  Mehr als 150 Rettungskräfte mit mehr als einem Dutzend Einsatzwagen und einem Hubschrauber mussten anrücken, um ihnen zu helfen. Ärzte berichteten später, für einige der Benommenen sei es „höchste Eisenbahn" für medizinische Hilfe gewesen, Szenen wie aus einem Horrorfilm, hätten sich abgespielt, so etwas hätten sie noch nie gesehen. Ein Mann schwebte in Lebensgefahr. Etliche litten  unter schweren Wahnvorstellungen, unter heftigen Krämpfen, Schmerzen, Luftnot und Herzrasen.

Umstände unklar

Wie es zum dem Massenrausch kam, muss noch geklärt werden. Dazu äußert sich die Polizei nicht. Ob die Droge bewusst genommen wurde, ob sich einer der Teilnehmer einen üblen Scherz erlaubt hat, das ist noch unklar, man vermutet aber ein freiwilliges Experiment. Untersucht wird auch, woher das Zeug kam, wer es mitgebracht und verteilt hat.
So oder so ermittelt die Polizei nun wegen des Verdachts auf eine Straftat gegen die 29 Tagungsteilnehmer. Die 24- bis 56-Jährigen hätten sich mit der Einnahme des Halluzinogens selbst verletzt und den Großeinsatz ausgelöst, so die Polizei.

2C-E hat mit Homöopathie nichts zu tun. Es ist in Deutschland seit Ende 2014 verboten. Es wurde und wird auch nicht in der Therapie verwendet, weil es noch unerforscht ist: Über Schäden, langfristige Wirkungen und Suchtpotential ist wenig bekannt. Die Psychodroge verändert nach Experteneinschätzungen massiv die Wahrnehmung von Farben und Geräuschen. Sie gilt als   ein sehr starkes Halluzinogen und lässt Konsumenten Dinge sehen, die gar nicht da sind.

„Entsetzt und schockiert“

Die Leitung des Handeloher Tagungszentrums hat sich erschrocken von dem distanziert, was vergangenes Wochenende in dem herrlich restaurierten alten Gehöft geschah. Die Gruppe sei nicht das erste Mal in Handeloh gewesen, so die Leiterin Stefka Weiland.  „Wir sind entsetzt und schockiert“, sagt sie. Mit dem, was passiert sei, habe man aber nichts zu schaffen.

Taten sie es freiwillig? Die Ermittler vermuten es, sind aber vorsichtig: „Wir werden den Hintergrund und vor allem den genauen Ablauf des Tages ermitteln", sagt Polizeisprecher Nickelsen. Der Präsident des Verbands Deutscher Heilpraktiker, Heinz Kropmanns, meinte im NDR, er habe durch die Berichterstattung erstmals erfahren, dass es in dem Ort überhaupt regelmäßige Treffen von Heilpraktikern gebe. „Wenn mir bekannt wird, dass eines unserer Mitglieder daran teilgenommen hat, wird es aus dem Verband ausgeschlossen", kündigt Kropmanns an. 

Ihm seien in seinen 40 Berufsjahren als Heilpraktiker nie Medikamente oder Mittel untergekommen, die Halluzinationen auslösen würden.
Außerdem droht den Heilpraktikern die  dicke Rechnung für den Rettungseinsatz. Die genauen Kosten werden noch addiert, aber mehrere Zehntausend Euro sollen es wohl werden für den größten Rettungseinsatz in der Handeloher Geschichte seit dem schlimmen Neujahrshochwasser von 1855.