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Polen Polen: Sex-Vorwürfe erschüttern katholische Kirche

Von Eva Krafczyk 24.02.2002, 14:00
Juliusz Paetz
Juliusz Paetz PAP FILES

Warschau/Posen/dpa. - «Sünde im Bischofspalast» titelte dieseriöse polnische Zeitung «Rzeczpospolita» am Samstag auf ihrerTitelseite über dem Porträt des Posener Erzbischofs Juliusz Paetz.Der 67-jährige Geistliche soll das Gebot «Liebe deinen Nächsten» sehreigenwillig interpretiert und Theologiestudenten und Geistlicheseines Bistums sexuell missbraucht haben.

Im Posener Priesterseminar, nur 200 Meter vom Bischofspalastentfernt, habe er Hausverbot, hieß es. Die sexuellen Übergriffe seienseit mindestens zwei Jahren bekannt, doch auch Beschwerden bei derBischofskonferenz seien ohne Folgen geblieben. Nun haben Betroffene,aber auch Theologen und Laien die Flucht nach vorne angetreten unddie Sex-Vorwürfe öffentlich gemacht. «Es ist Zeit, das Schweigen zubrechen», hieß es im Kommentar der Zeitung.

Im stark vom Katholizismus geprägten Heimatland von Papst JohannesPaul II. gelten Priester vielen Polen auch als moralischeAutoritäten. Öffentliche Kritik an der Kirche ist selten. Es musssich daher viel Wut und Frustration aufgestaut haben, wenn 43katholische Intellektuelle, Priester und Gewerkschafter Paetz ineinem Schreiben mehr oder weniger ultimativ auffordern, sein Amtruhen zu lassen, bis die Vorwürfe geklärt seien. Um der Sache nochmehr Nachdruck zu verleihen, kündigten sie die Übergabe des Briefesan die päpstliche Nuntiatur an.

Eine Insel der Keuschen ist der polnische katholische Klerus schonlange nicht mehr. Im vergangenen Jahr wurde erstmals ein katholischerPriester wegen des Missbrauchs von Kindern zu einerdreieinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt. Die StaatsanwaltschaftKrakau (Krakow) ermittelt gegen einen Dorfpfarrer, der einzehnjähriges Mädchen missbraucht haben soll. Der Priester ist nachwie vor im Amt, die Familie des Kindes und eine Frau, die mit ihrerAnzeige die Ermittlungen in Gang gebracht hatte, sind Berichtenzufolge seitdem die Opfer anonymer Drohanrufe.

Anderenorts hat es seit Jahren immer wieder durch die Presseaufgedeckte Fälle von Kindesmissbrauch durch katholische Geistlichegegeben. Im Zuge des jüngsten, von der Zeitung «Boston Globe» ansLicht gebrachten Skandals wird derzeit gegen rund 80 Priesterermittelt, die über Jahre und Jahrzehnte hinweg Kinder in ihrer Obhutsexuell missbraucht haben sollen. Ein Hauptbeschuldigter, der 66-jährige Ex-Priester John Geoghan, wurde am 21. Februar zurHöchststrafe von 9 bis 10 Jahren Gefängnis verurteilt.

Angesichts der sich häufenden Skandale will der Vatikan jetzt vonseiner bisherigen Politik der Tabuisierung Abstand nehmen und selbstschärfer gegen den Kindesmissbrauch in der katholischen Kirchevorgehen. Mit einem lateinisch abgefassten Schreiben hat der PapstAnfang Januar alle Bischöfe angewiesen, künftig Verdachtsfälle direktdem Heiligen Stuhl zu melden.

Der jetzige Fall hat für Polen eine neue Qualität: Die Vorwürferichten sich gegen einen ranghohen Vertreter der Kirchenhierarchie,der seine Amtsgewalt gegenüber Abhängigen ausgenutzt haben soll.Damit muss sich der polnische Episkopat mit einem Skandal auseinandersetzen, der hohe Wellen schlagen dürfte. Dabei wird es auch darumgehen, warum auf die offenbar seit langem bekannten Vorwürfe nichtreagiert wurde. Im Gegenteil, Priester, die auf Aufklärung drangen,wurden dem «Rzeczpospolita»-Bericht zufolge bestraft.

Der Zeitungsbericht entspreche der Wahrheit und sei noch «ziemlichmild», sagte der Posener Gewerkschafter Marek Lenartowski. Kirchenintern gibt es offenbar eine intensive Diskussionzu den Vorwürfen gegen Paetz, sagte Adam Boniecki, der Chefredakteurdes katholischen Wochzeitschrift «Tygodnik Powszechny». Doch währenddie Medien auf öffentliche Aufklärung drangen, sei es in der Kirchewie in einer Familie: «Mein Vater hat etwas Schreckliches getan, undich möchte ihn retten und dem Skandal ein Ende setzen.»