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Forschung Ozeanwellen aus Hannover sollen Windkraft-Ausbau anschieben

Die Nordsee wird industrialisiert - mit immer größeren Windkraftanlagen. Ein Unikum in Hannover soll helfen, das ressourcenschonend umzusetzen, sagt Wirtschaftsminister Habeck.

Von Christian Brahmann und Christopher Weckwerth, dpa Aktualisiert: 30.06.2023, 15:03
Wellen werden im Großen Wellenkanal am Forschungszentrum Küste (FZK) der Leibniz Universität Hannover erzeugt.
Wellen werden im Großen Wellenkanal am Forschungszentrum Küste (FZK) der Leibniz Universität Hannover erzeugt. Moritz Frankenberg/dpa

Hannover - Ozeanwellen mit bis zu drei Metern Höhe und Tideströmungen wie im Meer - was eher an der Küste zu erwarten ist, wird jetzt auch mitten in Niedersachsen zu Forschungszwecken erzeugt. In Hannover hat ein Großer Wellenströmungskanal (GWK+) nach jahrelangem Umbau den Betrieb aufgenommen. Die weltweit einmalige Einrichtung soll insbesondere die Forschung an größeren und leistungsfähigeren Windkraftanlagen auf See voranbringen.

Am Freitag drückte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck mit Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil den Startknopf und zeigte sich beeindruckt, wie auf 300 Metern Länge „mitten im Binnenland Küstenatmosphäre simuliert wird“. Der Wellenkanal habe dabei unmittelbare Bedeutung für den Ausbau der Offshore-Windenergie, denn die Forschung könne helfen, Material und Kosten zu sparen und die Umweltfolgen gering zu halten, betonte der Grünen-Politiker.

Von aktuell etwa 8 Gigawatt will Deutschland die Offshore-Leistung bis 2030 auf 30 Gigawatt und bis 2045 auf 70 Gigawatt ausbauen. „Das ist eine enorme Welle, die sich da aufbaut“, sagte Habeck. „Wir industrialisieren die Nord- und Ostsee“, sagte Torsten Schlurmann von der Uni Hannover.

Künftige Offshore-Anlagen werden bedeutend größer sein als die bisherigen und weiter wegstehen von der Küste, in einer Wassertiefe von 30 bis 40 Metern - entsprechend robust müssen sie sein. „Das sind Geschosse, richtig große Dinger“, sagte Habeck. Mit dem Wellenkanal wolle man daher noch besser erforschen, wie sich die Strömung am Meeresboden verhält. Denn das könne zu einem geringeren Materialeinsatz und folglich einem geringeren Energiepreis führen.

Ministerpräsident Weil (SPD) betonte, ein Großteil der deutschen Offshore-Windkraftanlagen werde vor Niedersachsens Küste stehen. Der Ausbau sei notwendig, um die Klimaziele zu erreichen.

Der Wellenkanal ist Teil des Forschungszentrums Küste (FZK) der Leibniz Universität Hannover und der Technischen Universität Braunschweig. Eine erste Variante war bereits 1983 errichtet worden. Diese wurde nun umgebaut und erweitert. Der Bund förderte das Projekt mit 35 Millionen Euro, das Land mit 1,4 Millionen Euro. Der Kanal soll neben der Energie- auch für die Meeresforschung genutzt werden.

So können Forscher die künstlichen Wellen zum Beispiel auch dazu nutzen, die Bewegung von Sedimenten am Meeresboden besser zu verstehen, Ökosysteme wie Salzwiesen oder Seegräser zu beobachten, die zum Küstenschutz beitragen, oder die Rettung von Menschen aus einer starken Brandung zu üben.

Die Möglichkeit, Wellen und Strömung gleichzeitig zu erzeugen, bietet dabei nach Angaben der Verantwortlichen keine andere Einrichtung weltweit in dieser Größe. Die Erweiterung des Kanals war aus Sicht der Experten nötig, weil auch die Anforderungen an den Küstenschutz sowie die Fortschritte in der Meerestechnik bei der Gewinnung regenerativer Energien zugenommen haben.

„Steilere und höhere Wellen, wie sie durch den Klimawandel prognostiziert werden, können zukünftig auch im Experiment nachgestellt und Belastungen auf Bauwerke simuliert werden“, erklärte Schlurmann von der Uni Hannover. Zudem ermögliche es ein neuer Tiefteil, den im Boden befindlichen Teil von Offshore-Windrädern zu simulieren und die dortigen Bewegungen von Boden und Anlage zu untersuchen, erläuterte Nils Goseberg von der TU Braunschweig.

Wunschlos glücklich sind die Forscher indes noch nicht: Wenn sie in dem Wellenkanal statt wie bisher Wasser aus dem Mittellandkanal auch noch Salzwasser verwenden sowie Wind und Sonne simulieren könnten, könnten sie auch mit Pflanzen und schwimmenden Solaranlagen arbeiten, sagte Schlurmann. Mit weiteren Anträgen sei daher zu rechnen.