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Österreich Österreich: Unglück von Kaprun jährt sich zum 10. Mal

Von Luc Andre und Ralf Isermann 10.11.2010, 08:58
Blumen und Kerzen für die Opfer (FOTO: ARCHIV/DPA)
Blumen und Kerzen für die Opfer (FOTO: ARCHIV/DPA) APA

Wien/München/afp. - Er hat lange überlegt und sich am Ende doch dafür entschieden - trotz der Angst vor der Erinnerung an die schrecklichen Bilder: Am Donnerstag nimmt Manfred Hiltel aus dem bayerischen Vilseck in Kaprun in Österreich an der Gedenkfeier zum zehnten Jahrestag der Katastrophe in der Gletscherbahn teil. Hiltel saß damals in dem brennenden Zug und konnte sich mit dem Mut der Verzweiflung aus der Feuerfalle retten. 155 andere starben. Bis heute sind viele Opferangehörige in der Wut vereint, dass niemals ein Verantwortlicher wegen des Flammeninfernos verurteilt wurde.

Der 11. November 2000 hat sich als schlimmster Brand in der österreichischen Nachkriegsgeschichte im kollektiven Gedächtnis des Landes verankert. Kurz nach der Abfahrt zum Kitzsteinhorn war am 11. November 2000 in der Bahn ein Feuer ausgebrochen, das sich schnell ausbreitete und eine Sicherheitsbremse auslöste. Mitten im Tunnel stoppte die Bahn, deren Türen sich von innen nicht öffnen ließen.

Hiltel brauchte damals einen Moment, um die Lebensgefahr zu erkennen, wie er heute erzählt. Dann schlug er wie wild mit seinen Skiern auf die Scheiben in der vollbesetzten Kabine ein, bis diese endlich barst. Zwölf Menschen konnten sich retten. Seine Schwiegertochter konnte Hiltel nicht mehr aus der Kabine ziehen. 20 der 37 deutschen Toten kamen aus seinem Ski-Club in der Oberpfalz.

Jahrelang hatte der inzwischen 61-Jährige nach der Katastrophe einen Alptraum: Ein großer Schlitten mit seinen toten Freunden rauschte an ihm vorbei, während er in einem schwarzen Loch saß und nicht rauskam. «Warum bist du nicht mit uns gekommen?», riefen die Kameraden - nur mit Hilfe von Medikamenten bekam Hiltel die Ängste in den Griff.

Wütend wird Hiltel, wenn er daran denkt, wie in Österreich die juristische Aufarbeitung der Katastrophe verlief. Im Zusammenhang mit dem Unglück waren 16 Mitarbeiter der Seilbahn und Verantwortliche von Baufirmen und Behörden angeklagt, im Jahr 2004 aber freigesprochen worden. 2005 bestätigte ein Linzer Gericht den Freispruch. Nach den Erkenntnissen der Richter wurde das Unglück durch einen überhitzten Heizlüfter ausgelöst. Als Öl aus dem Bremssystem austrat, entzündete sich Feuer. Soweit die Fakten - doch weder bei der Betreibergesellschaft noch bei Beschäftigten der Bahn sahen die Richter eine juristische Verantwortung.

"Die Opfer suchen nach Gerechtigkeit, nach der Übernahme von Verantwortung in Österreich», sagt Bernd Geier, Sohn eines der zwölf Überlebenden der Tragödie. Und für den deutschen Gutachter Hans-Joachim Keim steht fest: «Der Unfall war voraussehbar und vermeidbar. (...) Der Heizlüfter durfte auf keinen Fall im Fahrzeug eingebaut werden.»

Seit März 2010 ist die Katastrophe in Österreich strafrechtlich verjährt, ein Zivilverfahren japanischer Opfer läuft derzeit in Berufung. Doch der Wiener Anwalt Gerhard Podovsovnik, der rund 60 Opferangehörige vertritt, kämpft an mehreren Fronten um ein Wiederaufrollen des Falls. In Deutschland hat er etliche Klagen eingereicht. Zudem will er vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof beweisen, «dass die Verfahren in Österreich nicht fair waren». Auch beim Obersten Gericht der USA will Podovsovnik Rechtsmittel einlegen - acht Tote kamen aus den Vereinigten Staaten. Sollte er dabei Erfolg haben, könnten seine Mandanten auf deutlich höhere Entschädigungszahlungen hoffen.

Bislang erhielten die Opfer vom österreichischen Staat und den Versicherungen insgesamt knapp 25 Millionen Euro. Manche Angehörige von Opfern der Katastrophe befremdet solcher Eifer auch. Die Deutsche Barbara Mayerhofer, deren Mann und Tochter in dem Inferno starben, hofft vor allem, dass «die Wahrheit» ans Tageslicht kommt. Und Hiltel sagt: «Ich hoffe, dass die Gerechtigkeit siegt. Man kann nicht einfach sagen, niemand ist schuldig.»

Im November 2000 kam es im österreichischen Kaprun zu einer furchtbaren Katastrophe. Eine Standseilbahn mit Wintersportlern geriet in Brand, in der Feuerhölle starben 155 Menschen. Die Grafik zeigt den Ablauf der Ereignisse. (GRAFIK: DPA)
Im November 2000 kam es im österreichischen Kaprun zu einer furchtbaren Katastrophe. Eine Standseilbahn mit Wintersportlern geriet in Brand, in der Feuerhölle starben 155 Menschen. Die Grafik zeigt den Ablauf der Ereignisse. (GRAFIK: DPA)
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