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Österreich Österreich: Nach 20 Jahren Isolation Chance auf ein neues Leben

Von Christian Fürst 02.03.2005, 10:11
Eine Gruppe von Schimpansen sitzt in einem Gehege des Affenhauses in Gänserndorf bei Wien (undatiertes Handout). Alle Affen, die hier untergebracht sind, waren zum Teil länger als 25 Jahre Versuchstiere eines Pharmaunternehmens und wurden in völliger Isolation gehalten. Als die Öffentlichkeit Mitte der 90er Jahre beginnt gegen Tierversuche zu protestieren, stellt das Unternehmen Immu die Versuche ein und sucht nach einer Lösung, die Affen in einem Zoo unterzubringen. Über zwölf Millionen Euro stellt Immu bereit, den Safaripark bei Gänserndorf mit zwei speziellen Affenhäusern auszustatten. Zur Zeit stellen jedoch die Kosten, die deutlich höher als veranschlagt sind, das Affenhaus vor eine ungewisse Zukunft. (Foto: dpa)
Eine Gruppe von Schimpansen sitzt in einem Gehege des Affenhauses in Gänserndorf bei Wien (undatiertes Handout). Alle Affen, die hier untergebracht sind, waren zum Teil länger als 25 Jahre Versuchstiere eines Pharmaunternehmens und wurden in völliger Isolation gehalten. Als die Öffentlichkeit Mitte der 90er Jahre beginnt gegen Tierversuche zu protestieren, stellt das Unternehmen Immu die Versuche ein und sucht nach einer Lösung, die Affen in einem Zoo unterzubringen. Über zwölf Millionen Euro stellt Immu bereit, den Safaripark bei Gänserndorf mit zwei speziellen Affenhäusern auszustatten. Zur Zeit stellen jedoch die Kosten, die deutlich höher als veranschlagt sind, das Affenhaus vor eine ungewisse Zukunft. (Foto: dpa) dpa

Wien/dpa. - «Alfred ist ein richtiger, pubertierender Rüpel», lacht SignePreuschoft, Leiterin des Affenhauses in Gänserndorf bei Wien. «Erproduziert sich gern und probiert, wie weit er bei seinenGruppengenossen gehen kann.»

Die deutsche Verhaltensforscherin und Zoologin leitet seit dreiJahren ein weltweit einzigartiges Projekt: Auf dem Gelände einesehemaligen Safariparks werden über 40 Schimpansen und ebenso vielekleinere Tieraffen resozialisiert, die zum Teil mehr als 25 Jahre alsVersuchstiere eines österreichischen Pharmaunternehmens in völligerIsolation gehalten wurden. Doch das Projekt «HOPE» (Home of Primates Europe), dessen wissenschaftlicher Erfolg unbestritten ist, istunverschuldet in Existenznot geraten.

Die Tiere merken freilich nichts von den Sorgen ihrerPflegerinnen. In den großzügigen und mit Baumstämmen, Ästen undSeilen «affengerecht» ausgestatteten, mehrstöckigen Wohnräumen desgroßen Affenhauses verbringen sie in kleinen Gruppen inzwischen ihreTage, als hätten sie nicht viele Jahre oder sogar Jahrzehnte inkleinen Einzelzellen in fast vollständiger Isolation gelebt. «Dass esso gut gehen würde, hätten wir nie gedacht», meint Signe Preuschoftzufrieden. Und Tierpflegerin Renate Foidl ergänzt: «Für mich und dieTiere ist das Leben im Affenhaus wie ein Sechser im Lotto». DieTierpflegerin war für die Affen vor ihrer «Befreiung» zwölf Jahrelang praktisch die einzigen Bezugsperson.

Der Leidensweg der Primaten begann für einige Tiere Mitte der 70erJahre, als der österreichische Plasma- und Impfstoffhersteller Immunomit dem Import von Schimpansen, aber auch Pavianen und Makaken fürVersuchszwecke begann. Die Tiere wurden zunächst in kleinen Zellen inWien untergebracht. Praktisch alle stammten aus westafrikanischenLand Sierra Leone.

Immuno setzte die Importe selbst dann fort, als Österreich 1982dem Internationalen Artenschutzabkommen beigetreten war. Trotz deswachsenden Widerstands von Tierschützern und unter Bruch desinternationalen Abkommens brachte Immuno 1986 weitere 20 Schimpansennach Österreich. Doch die Wiener Behörden schwiegen.

1991 verbessert sich die Lage für die Tiere, die bis dahin Tag undNacht - völlig voneinander isoliert - in winzigen Einzelzellengehalten wurden. Sie werden in ein neues Primatenzentrum in Orth ander Donau, östlich von Wien, gebracht. Doch auch hier ist ihr Lebenkaum mehr als ein endloses Leiden. 15 Schimpansen werden im Lauf derJahre auf der Suche nach einem Impfstoff gegen Aids von Immuno-Forschern mit HIV oder mit dem Hepatitis-Erreger infiziert. Die HIV-infizierten Schimpansen sehen praktisch keine menschlichen Wesen. Siewerden von Personal versorgt, das zum Schutz vor Infektionen inabsolut dichten «Raumanzügen» steckt.

Weitere sechs Jahre leben die Tiere in diesem modernen Gefängnisder Wissenschaft, bis der US Pharma-Multi Baxter Anfang 1997 dasprofitable Wiener Unternehmen übernimmt. Die weltweite Stimmung gegenVersuche an Affen kommt den Tieren im Primatenzentrum zu Hilfe.Baxters Unternehmensleitung stellt Ende 1999 die Versuche vollständigein.

Jahrelang beraten darauf die Strategen des Unternehmens, was mitden bemitleidenswerten Tieren geschehen soll. Nicht ganzuneigennützig, wie österreichische Beobachter meinen. Denn derKonzern befürchtet eine weltweite Kampagne von Tierschützern, fallsdas Schicksal der Menschenaffen über die Grenzen Österreichs, vorallem aber in den USA bekannt würde.

Der Plan, sämtliche Tiere in das in den USA geplantePrimatenzentrum «Chimp Haven» (Schimpansen Refugium) in Louisiana zuverschiffen, scheitert, weil die USA keine Einfuhrbewilligung fürTiere ausstellen, die nach in Kraft treten des Artenschutzabkommensin freier Wildbahn gefangen wurden. Auch die Idee, die Affen in ihrerHeimat Sierra Leone auszusetzen, wird fallen gelassen, denn dies, sowarnen Experten, würde deren sicheren Tod bedeuten. Und über dieeventuelle Massentötung der Versuchstiere wagt sowieso niemandöffentlich nachzudenken.

Nach längerer, intensiver Suche findet Baxter dann doch eine - wieman zunächst glaubt - für alle Beteiligten gute Lösung. Der«Safaripark» in Gänserndorf bei Wien erklärt sich 2001 vertraglichbereit, die Tiere in zwei speziell für sie gebauten Affenhäusernaufzunehmen und die vereinsamten und traumatisierten Affen zuresozialisieren. Eines der Gebäude ist für die Tiere reserviert, dieAids- und Hepatitis-Viren in sich tragen, jedoch selbst vermutlichnie erkranken werden.

Baxter verpflichtet sich nicht nur zum Bau der modernen Anlage,sondern auch dazu, die «lebenslange, artgerechte Versorgung und dieRehabilitierung» der um Teil extrem verhaltensgestörten Tiere zugarantieren. Neun Millionen Euro ist die Imagepflege dem Konzern ausIllinois wert. Drei Millionen Euro sollen bereitgestellt werden, umdie Versorgung und Rehabilitation der Affen dauerhaftsicherzustellen.

Die Arbeit mit den Schimpansen verläuft überaus positiv. HOPE-Leiterin Preuschoft erinnert sich an ihren ersten Kontakt zu denAffen im alten Primatenzentrum: «Ich hatte zunächst ziemlich Angst,da hineinzugehen. Die Schimpansen waren natürlich sehr aufgeregt,doch dann zeigten sie sich von ihrer nettesten Seite, und das machtemich optimistisch, dass die Idee der Resozialisierung umsetzbar ist.»Im Herbst 2002 wurden zunächst die kleineren Tieraffen, die Makaken,Paviane und Tamarine in das neue Zentrum gebracht. Bis Ende 2002waren dann alle Tiere in Gänserndorf.

Die Eingewöhnung der Schimpansen wurde dann für die Beteiligten zueinem echten Abenteuer. Die Tiere, die seit Jahrzehnten isoliertwaren, mussten in einem mühsamen Prozess vorsichtig aneinandergewöhnt werden. «Die meisten sind ja schon als Kinder in dieEinzelkäfige gekommen und müssen nun lernen, sozial zu werden».

Einige schaffen es deutlich schneller als andere. «Die schnellstenwaren Pünktchen und Ingrid», erinnert sich Signe Preuschoft. «Diebeiden Schimpansendamen haben sich bereits drei Sekunden, nachdem wirsie zusammengelassen hatten, umarmt». Doch bei den Meisten dauerteder erste Schritt aus der Isolierung bedeutend länger. «Am Anfangsetzten wir je zwei von ihnen in getrennte Käfige, die mit einer nureinen Spalt breit geöffneten Tür verbunden waren.» Die Affen konntensich also sehen und - wenn sie wollten - Kontakt aufnehmen, oder siekonnten sich zurückziehen.

Einige waren so verschüchtert, dass sie sogar versuchten, dieSchiebetür zum benachbarten Artgenossen zuzustoßen. «Wir haben indieser Phase nur den Eisbrecher gespielt. Wir haben gewartet, wie siereagieren, und sie haben immer wieder verlegen auf uns geschaut.» Beieinigen klappte das sofort, andere aber brauchten bis zu sechsMonaten, um aus der Isolation auszubrechen.

Diese erste Phase der Sozialisierung ist inzwischen längstVergangenheit. Heute leben die unterschiedlichen Schimpansengruppen,überwiegend Männchen, tagsüber in den voneinander getrennten,geräumigen acht «Wohnanlagen» friedlich miteinander. Doch fast allezeigen noch Nachwirkungen der jahrelangen Langeweile und Deprivation.«Einige haben eine niedrige Reizschwelle und sind sehr ängstlich,andere sind für Schimpansen ungewöhnlich träge und haben Angst, etwasNeues auszuprobieren.» Fälle der Essstörung Bulimie findet man ebensowie Ansätze von Autismus.

Eine besonderes Problem stellen die 15 Schimpansen dar, die in den90er Jahren mit dem Aids-Virus und Hepatitis infiziert wurden, um anihnen Impfstoffe zu testen. Da die Gefahr einer Infektion durchKontakt mit den Tieren nicht auszuschließen ist, werden sie von deminzwischen auf vier Schimpansenpflegerinnen geschrumpften Personal ineinem zweiten Gebäude versorgt, das für die Öffentlichkeit nichtzugänglich ist.

«Die Reizschwelle dieser Schimpansen ist wegen ihrer nochstrikteren Isolation noch niedriger. Doch auch diese Tiere machenFortschritte: «Selbst die, die sich schon aufgegeben hatten, habeninzwischen wieder Motivation bekommen», sagt Preuschoft, die betont,wie wichtig das Pflegerteam für die Rehabilitation der Menschenaffenist.

Natürlich kennen Preuschoft und ihre Helfer inzwischen jedeseinzelne Tier und seine «Schwächen» ganz genau. Da ist etwa«Johannes, der Zerbrechliche», Isidor, der Zurückhaltende («zu demgehen immer alle, wenn sie Kummer haben»), oder Moritz, «der immergern viel Staub aufwirbelt». Sonderbar seien sie alle, diesebefreiten Versuchsaffen, und doch erstaunlich wenig aggressiv. «Inmancher Hinsicht sind sie unschuldig, wie kleine Kinder - arglos.»

Pflegerin Renate Foidl: «Schimpansen sind ziemlich unberechenbar,doch wenn sie ein Problem haben, dann rennen sie alle zu uns umHilfe. Und wenn man sie auslacht, dann ist ihnen das sichtlichpeinlich» Wie sensibel die Primaten sind, wird spürbar, wenn einmalin einem der Gehege Streit ausbricht: «Dann kommt es sogleich imNachbar-Gehege zu Spannungen».

Doch trotz aller Erfolge bei der Rehabilitation droht dem ProjektHOPE möglicherweise das vorzeitige «Aus». Denn die Millionen, die derPharma-Riese Baxter zur lebenslangen Versorgung der Tierebereitstellte, langen bei weitem nicht, um das Rehabilitationszentrum- wie geplant - bis in über die 20er Jahre dieses Jahrhunderts hinauszu betreiben. So lange nämlich dürften die Schimpansen inGefangenschaft noch leben. Die ältesten Tiere sind heuteschätzungsweise 35 Jahre alt und haben eine Lebenserwartung von biszu 56 Jahren. Drei Schimpansen sind sogar erst zwischen fünf und achtJahren alt.

«Baxter ging davon aus, dass die Versorgung eines Schimpanse proTag 15 Euro kostet, inzwischen sind wir aber etwa beim Doppeltenangelangt», klagt die Zoologin, die bereits seit 1985 mit Affenarbeitet. Ein weiterer Schlag kam für das Projekt Mitte 2004, als der«Safaripark» Gänserndorf Konkurs anmelden musste. Seither unterstehtdas Affenhaus einem Konkursverwalter, «der uns ständig drängt, dieKosten zu senken, um den Verkauf der Affen zu erleichtern». Um dieAusgaben zu verringern wurde bereits die Zahl der Affen-Betreuer vondreizehn auf acht (einschließlich der Projekt-Leiterin) reduziert.Drei von ihnen sind allerdings nur Hilfskräfte, die nicht zur Pflegeder Schimpansen geeignet sind.

Unter dem starken finanziellen Druck begann Preuschoft inzwischenmit der intensiven Suche nach Unterkünften für die am weitestenrehabilitierten Menschenaffen. Einige kleinere Affen konnten bereitsan den Prager Zoo vermittelt werden. «Wir sind ja bereit, Tiereabzugeben», versichert die Projektleiterin, «allerdings nur inGruppen». Es müsse berücksichtigt werden, «dass es äußerst schwierigist, einen psychisch 'behinderten' Schimpansen in einer Gruppegesunder Tiere unterzubringen.

Inzwischen gibt es allerdings einen Hoffnungsschimmer: Die inSüdengland angesiedelte Organisation «Monkey World» hat grundsätzlichBereitschaft bekundet, Tiere aus Gänserndorf aufzunehmen, wenn diefinanziellen Voraussetzungen gegeben sind. «Monkey World» kümmertsich seit Jahren um geschädigte oder misshandelte Affen aus allerWelt.

Hoffnung auf Unterstützung von Seiten der österreichischenRegierung hat Projektleiterin Preuschoft dagegen kaum. Bisher hieltensich sowohl Wien als auch die Landesregierung Niederösterreichsdezent heraus, wenn es um Unterstützung für das Projekt ging.