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Nordrhein-Westfalen Nordrhein-Westfalen: Geheimnis unter der Erde

Von JAKOB MASCHKE 09.09.2011, 08:54

Halle (Saale)/MZ. - Sogar in Sachsen-Anhalt sind die Ausläufer der Schwarmbeben zu spüren, die seit Ende August das Vogtland erschüttern: Es ist kurz vor 6 Uhr, als Tony Hänsel am vergangenen Sonntagmorgen hochschreckt. Erst spät in der Nacht war der 23-jährige Koch von seiner Schicht ins Elternhaus nach Tröglitz bei Zeitz zurückgekehrt. "Plötzlich hörte ich in der Ferne ein seltsames Grollen, wie von einem vorüberfliegenden Flugzeug. Im Haus hat eine Schiebetür mit ziemlich ruckartigen Bewegungen geklappert." Und das, obwohl sein Heimatort gut hundert Kilometer vom Zentrum des Erdbebens im westböhmischen Dorf Nový Kostel entfernt ist.

Bereits einige Augenblicke zuvor fährt Ingo Hüttenberg aus dem Schlaf - sein Haus im vogtländischen Elsterberg steht nur knapp 50 Kilometer vom Beben weg. "Ich spürte tief unter mir einen Schlag, der hat mich an Sprengungen erinnert, die früher im benachbarten Steinbruch durchgeführt wurden."

In der Regel kommt es alle sechs bis sieben Jahre im Vogtland und Nordwest-Böhmen zu mehreren schwächeren Erschütterungen der Erde - sogenannten Schwarmbeben. Diesmal geschah es schon nach drei Jahren wieder, seit dem 23. August 2011 bebt die Erde in unregelmäßigen Abständen und könnte es nach Expertenmeinung noch für Monate tun. Die Zahl der Erdstöße geht dabei in die Tausende. Das bisher kräftigste Beben im Dezember 1985 hatte eine Stärke von 4,6 auf der Richterskala, das am frühen Sonntagmorgen lag bei 3,8. "Erst ab 5 aufwärts wird es jedoch für Menschen und Gebäude wirklich gefährlich", sagt Siegfried Wendt vom Geophysikalischen Observatorium Collm, der die Beben seit über 30 Jahren lokalisiert und misst. Bis auf ein paar beschädigte Hauswände und einige heruntergefallene Dachziegel in jenem Winter 1985 sei bisher wenig passiert.

Und doch sind die Schwarmbeben in ihrer Häufigkeit und Stärke einmalig in Deutschland. Horst Kämpf ist Geologe am Geoforschungszentrum Potsdam und beschäftigt sich seit langem mit dem unterirdischen Naturphänomen an der sächsisch-tschechischen Grenze. "Rund 60 Kilometer unter der Erdoberfläche erstreckt sich zwischen dem südlichen Vogtland, Nordwest-Böhmen und Nordost-Bayern eine heiße Zone", erklärt der Forscher. "Wir vermuten, dass sich dort Anteile des oberen Erdmantels zu Magma verflüssigen und aufsteigen." In etwa 30 Kilometern Tiefe, dem Übergang von oberem Erdmantel zu Erdkruste, werde das Magma dann abgebremst. "Hier bilden sich wahrscheinlich Magmenkammern, in denen Gase freigesetzt werden, wodurch das Magma weiter aufsteigen kann", so Kämpf. In sechs bis elf Kilometern Tiefe finde dann der Prozess statt, der die Erdoberfläche zum Beben bringe. Wie sich das abspielt und welchen Einfluss die Gase dabei haben, muss laut Kämpf im Detail noch erforscht werden.

Karin Bräuer hat sich genau das zur Aufgabe gemacht. Die Chemikerin vom Helmholtzzentrum für Umweltforschung in Halle entnimmt an Austrittsstellen im Umfeld des Erdbebengebietes Gasproben und untersucht deren Zusammensetzung. "Unsere Messungen während der letzten 15 Jahre haben gezeigt, dass sich in den Gasen der Anteil aus dem Erdmantel stetig erhöhte", erzählt Bräuer. Das beweise einen aktiven Prozess im Erdinneren - mit anderen Worten: ein Zusammenhang zwischen Gasen und Beben besteht. Da direkt in den Epizentren der Beben keine Gase an der Erdoberfläche austreten, vermutet die Expertin, dass sie dort am Aufsteigen gehindert werden und dadurch einen Druck aufbauen, der sich dann in Form von Schwarmbeben entlädt.

Um diese Vermutung zu ergründen, bedarf es mehrerer, etwa fünf Kilometer tiefer Bohrungen in die Erdkruste. Kosten: eine Million Euro pro Kilometer. Wo die besten Stellen für solche Bohrungen sind, versucht derzeit Michael Korn vom Institut für Geophysik und Geologie der Universität Leipzig herauszufinden. Korn verdeutlicht: "Wenn wir wirklich verstehen wollen, wie sich die Gase bewegen und letztendlich die Erdbeben hervorrufen, brauchen wir langfristige Daten aus dem Erdinneren."

Das Seismogramm der Erdbebenstation Bensberg zeigt das Erdbeben der Stärke 4,4 am Donnerstagabend (08.09.2011) um 21 Uhr. (FOTO: DPA)
Das Seismogramm der Erdbebenstation Bensberg zeigt das Erdbeben der Stärke 4,4 am Donnerstagabend (08.09.2011) um 21 Uhr. (FOTO: DPA)
dpa
Erdbeben am Niederrhein (GRAFIK: DPA)
Erdbeben am Niederrhein (GRAFIK: DPA)
dpa Grafik