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Legende Legende: Nessie feiert

Von Ulrich Zander 05.07.2013, 17:51
Der schottische See Loch Ness.
Der schottische See Loch Ness. Weltbild-Verlag Augsburg Lizenz

Berlin/MZ - Loch Ness liegt zehn Kilometer südwestlich von Inverness im schottischen Hochland. Der in der letzten Eiszeit entstandene Süßwassersee zieht sich über knapp 37 Kilometer, ist aber durchschnittlich nur 1,5 Kilometer breit, und bis zu 230 Meter tief. In dem trüben Gewässer tummeln sich Barsche, Karpfen, Forellen, Hechte, Lachse, Aale, Seesaiblinge – und ein Ungeheuer.

Die erste moderne Sichtung (bereits 565 war ein Wesen aufgetaucht) von „Nessie“ ging am 14. April 1933 in die Annalen ein. Das Ehepaar Aldie und John Mackay beobachtete vom Auto aus „ein sich rollendes und durch den See stürzendes, sehr großes Tier“. Die Geschichte fand ihren Weg zum „Inverness Courier“. Am 2. Mai erschien ein reißerischer Artikel über eine „Kreatur von enormer Größe, die sich im Wasser wälzte und im Abtauchen Wellen erzeugte, die so groß waren, als hätte ein Dampfer sie verursacht“. Und obwohl Einheimische immer wieder „etwas Großes“ im See erblickt haben wollten, begann Nessies Siegeszug durch die Schlagzeilen erst 1933.

Am 22. Juli wurde „The Monster“ sogar beim Landgang überrascht. Die Eheleute Spicer beobachteten ein „prähistorisches Wesen“, das mit einem Lamm im Maul in den Fluten verschwand. Herr Spicer schätze das Ungeheuer auf über 7,50 Meter Länge. Am 12. November gelang Hugh Gray das erste Nessie-Foto, als im Loch ein über zehn Meter langes Wesen mit rundem Rücken auftauchte. Die Aufnahme zeigte leider nur ein schemenhaftes Etwas. Eine Expedition unter dem Großwildjäger Marmaduke Wetherell 1933/34 stieß auf Spuren am Ufer. „Duke“ selbst hatte sie hinterlassen. Sie stammten von einem präparierten Flusspferdfuß. Das bekannteste Foto von Nessie erschien am 21. April 1934 in der „Daily Mail“ und zeigte eine elegante Seeschlange mit kleinem Reptilienkopf auf langem, dünnem Hals. Das Bild war angeblich zwei Tage zuvor vom Londoner Arzt Robert Kenneth Wilson gemacht worden. Wilson galt als seriös. Sie ist als „Chirurgen-Foto“, in die Geschichte eingegangen.

Anhand der Berichte wurde nun Nessies Steckbrief erstellt: Fünf bis 15 Meter lang, der Rumpf erreicht einen Umfang von vier Metern. Der kleine Kopf sitzt auf einem etwa zwei Meter langen Hals. Der Schwanz ist flach, sie (Nessie ist weiblich) besitzt vier Flossen. Die Haut wird als schwärzlich beschrieben. Aber was ist Nessie? Eine Seeschlange, ein Riesenmolch, Aal, Wal, eine Seekuh, ein Wels, Seehund oder Fischotter? Oder einfach ein Baumstamm, eine Welle oder ein U-Boot? Oder haben die Sichtungen gar mit dem berühmten Whisky der schottischen Highlands zu tun?

Weit oben auf der Nessie-Favoritenliste steht der Plesiosaurus, ein Meeresreptil der Kreidezeit. Die Merkmale stimmen verblüffend überein. Doch Reptilien sind Lungenatmer, man müsste das Wesen also beim Luftholen beobachten können. Auch gilt der vor etwa 10 000 Jahren entstandene See mit Sommertemperaturen von sieben Grad Celsius als zu kalt für die seit 70 Millionen Jahren ausgestorbenen Echsen. Expeditionen aus aller Welt unternahmen Versuche, Nessie – und die übrigens vermuteten mehreren Dutzend Exemplare inklusive Nachwuchs – aufzuspüren. Mit wissenschaftlichen Methoden und modernster Technik. Doch das Wasser ist wegen Torfpartikeln schwarz. Zwar nahmen die Nessie-Jäger hin und wieder im Sonar „irgendetwas Großes“ wahr, das blieb aber unbestimmt. Auch Kameraüberwachung war erfolglos. Und Belohnungen von bis zu einer Million Pfund brachten den Menschen das Ungeheuer nicht näher.

Nach dem Zweiten Weltkrieg tauchte die scheue Kreatur wieder auf. Beeindruckend ist eine Aufnahme aus dem Jahr 1955: Nessie vor malerischer Burgruine. 1970 erinnerte ein Foto an einen Elefanten, 1998 wieder an eine Seeschlange. Und 2007 zeigte es sich als Seehund. 1951 waren auf einem Foto drei Höcker zu erkennen. Die warfen zwei bis heute unbeantwortete Fragen auf: Existiert eine weitere Art im Loch? Oder wurden die Höcker durch Stopps während der schlängelnden Fortbewegung Nessies verursacht?

Bis heute sind mehr als 3 000 Mensch-Monster-Begegnungen registriert. Das „Chirurgenfoto“ hatte sich aber auch als Fälschung erwiesen. Und wieder steckte „Duke“ Wetherell dahinter. Er hatte ein 30 Zentimeter großes Monster bauen lassen, auf einem Spielzeug-U-Boot angebracht und in einer stillen Bucht fotografiert. Und Wilson gab seinen guten Namen für den Schwindel her. Der flog erst 1994 auf. Nessie ist heute der Aktivposten des schottischen Fremdenverkehrs. Sie hat die Touristen derart im Griff, dass die wie gebannt aufs Wasser starren, anstatt die reizvolle Landschaft zu genießen. Auch die Presse hat dem Monster aus dem Loch viel zu verdanken: Das „Sommerloch“, die nachrichtenarme Zeit, kann monströs überbrückt werden. Übrigens: Die ersten Nessie-Sichter des Jahres 1933, Aldie und John Mackay, waren Inhaber des Drumnadrochit Hotels in Drumnadrochit. Drumnadrochit ist heute das Zentrum des Nessie-Tourismus.

Sieht so Nessie aus? Scharfe Fotos des vermeintlichen Ungeheuers gibt es nicht. Die Abbildung stammt aus dem Buch „Die größten Geheimnisse der Welt“ von Nigel Blundell (1995).
Sieht so Nessie aus? Scharfe Fotos des vermeintlichen Ungeheuers gibt es nicht. Die Abbildung stammt aus dem Buch „Die größten Geheimnisse der Welt“ von Nigel Blundell (1995).
Weltbild-Verlag Augsburg Lizenz