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Kommentar Kommentar: Vegetarier und Veganer sind falsche Moralisten

Von Philipp Fritz 01.06.2016, 00:00
Auch Gemüse ist nicht notwendigerweise die Lösung des Problems.
Auch Gemüse ist nicht notwendigerweise die Lösung des Problems. imago stock&people

Zwei Freunde aus Deutschland reisen gemeinsam als Rucksacktouristen durch den Kaukasus. In Armenien und Georgien kommen sie bei Freunden oder deren Familien unter. Es wird jedes Mal großzügig aufgetischt - für die Gäste aus dem Westen nur das Beste!

Einer der beiden Freunde allerdings lehnt den Tschatscha, einen typischen georgischen Schnaps, ab. Er trinke keinen Alkohol, sagt er. Auch rauchen möchte er nicht. Was soll’s, immerhin wird jetzt gegessen, der Gast aus dem fernen Deutschland wird sich schon noch locker machen.

Mitnichten. Die Chinkali, mit Fleisch gefüllte Teigtaschen, rührt er nicht an. Schaschlik, Eintopf, nein danke. Er sei Veganer, sagt er, tierische Produkte würde er nicht essen, und im Übrigen denke er, sollten auch alle anderen darauf verzichten, dies zu tun. Die Gastgeber lächeln kurz und fangen dann an, sich die Teller aufzufüllen. Dem Mitreisenden steigt die Fremdscham ins Gesicht ob dieser Zivilisationsverweigerung.

Vegetarismus ist nicht nur ein Ernährungsstil

Viele können Geschichten wie diese über Freunde oder Familienmitglieder erzählen. Was ist nur los mit diesen Vegetariern? Warum nur können sie nicht mal über ihren eigenen Schatten springen?

Vegetarismus ist eben nicht nur ein Ernährungsstil, sondern eine Haltung, ein ideologisch-weltanschauliches Etwas — das meistens gut ist. Wer würde ernsthaft anzweifeln, dass eine fleischlose Ernährung besser ist für die Umwelt, das Tier, klar, und die eigene Gesundheit?

Vegetarier sind also die besseren Menschen und Vegetarismus ist eine gute Ideologie. Interessant ist das, weil Ideologie, wie der Brite Terry Eagleton ausführlich erklärt, heute weitgehend negativ definiert wird. Wer ist schon noch ideologisch?

Eigentlich sind das doch die Sturen, die intellektuell Unflexiblen, vielleicht Steinzeitkommunisten oder Islamisten, die nur ihr Kalifat im Sinn haben. Vegetarier sehnen auch eine andere Welt herbei, in der der Mensch in Einklang mit der Natur lebt und jeder nur noch Grünzeug isst. Ein Schelm, wer es wagt, Vegetarier mit jenen abseitigen Ideologen zu vergleichen.

Vegetarier-Shitstorms unterscheiden sich kaum von denen der Pegida-Anhänger

Als Ideologen reagieren Vegetarier dünnhäutig, wenn jemand es wagt, sie in Frage zu stellen. Ihre Shitstorms im Netz unterscheiden sich kaum von denen der Pegida-Anhänger. Kritik an einem vegetarischen Lebensstill, ist immer auch Kritik an einer Person und am großen Ganzen, denn jeder Vegetarier glaubt, mit seinem Verhalten mache er die Welt ein Stück besser. Oft ist diese moralische Überlegenheit jedoch ungerechtfertigt — und sie nervt hart.

Es lässt sich nämlich durchaus darüber streiten, ob der Verzicht auf Fleisch der Umwelt wirklich weniger schadet. Sicher, Massentierhaltung ist ein großes Übel, aber was ist mit Freilandhaltung, mit kleinen Betrieben?

Mais und Soja etwa werden meistens in Monokulturen angebaut, riesige Anbauflächen werden dabei zerstört, Insekten und anderem Getier wird konsequent der Lebensraum genommen. Face the facts: Dein Maisschnitzel kommt nicht von der Urban-Gardening-Anlage auf dem Tempelhofer Feld.

Wo oben und unten sind

Und Gemüse? Es gibt wohl nichts grausameres als Tomaten. Das ganze Jahr über können sie in Deutschland gekauft werden. Angebaut werden sie in Spanien, wo afrikanische Gastarbeiter für einen Hungerlohn auf Plantagen schuften und zu unmenschlichen Bedingungen in Blechhütten hausen.

Aber das geht Vegetarier kaum an, das Tier scheint ihnen näher zu sein, als der Mensch. In der weißen, deutschen, postmaterialistischen Wohlstandsblase interessiert sich niemand für die Arbeitsbedingungen von Gastarbeitern oder auch nur dafür, wie zum Beispiel Läden wie Veganz ihre Mitarbeiter entlohnen. Vegetarismus zeigt eben auch, wo in dieser Gesellschaft oben und unten sind.

Vegetarismus zeugt von enormer Arroganz und Selbstüberschätzung

Dass Vegetarier gerne mal Tier und Mensch verwechseln oder für sie gleich alles, was kreucht und fleucht, was auf dieser Erde wandelt, gleich ist, ist keine neue Denke. Bereits in der 70er Jahren breitete der australische Philosoph Peter Singer in seinem Werk „Animal Liberation. Die Befreiung der Tiere“ jene Ethik aus, auf die sich später viele Vegetarier und Veganer berufen sollten.

Laut Singer habe die Spezies Mensch nicht das Recht, sich über andere zu stellen, genauso wie es keinen zu rechtfertigenden Grund gebe, sich über andere Rassen oder Kulturen zu erheben. Für Singer sind Menschen und alle Tiere gleich. „Speziesismus“ ist das Stichwort. Ein toller Gedanke! Was damals eine kleine Revolution war, klingt heute jedoch staubig.

Nur ein Lifestyle-Spleen

Erst mal hat es etwas Postkoloniales, daraus einen Vegetarismus abzuleiten, der allgemeingültig ist; dieser zeigt sich in der Eingangsepisode in Georgien, aber auch daran, dass das Leid von Menschen auf anderen Kontinenten nicht interessiert.

Vegetarismus ist für viele Deutsche eben doch nur ein Spleen, eine Lifestyle-Idee oder modernen Ablaßhandel in einer säkularisierten Umwelt. Die Rede ist hier nicht von kulturell gewachsenem Vegetarismus wie er in Indien gilt.

Dann erscheint der Glaube, durch die eigene Ernährung etwas zu verändern vor dem Hintergrund aktueller Krisen und Entwicklungen aberwitzig. Es zeugt von enormer Arroganz und Selbstüberschätzung, einem Gemüseauflauf eine Relevanz beizumessen, die über den Verzehr in der eigenen Küche hinausgeht.

Die Flüchtlingskrise, der rechtspopulistische Turn in Europa, Kriege im Nahen Osten und Afrika, der Ukrainekonflikt und nicht zuletzt die Folgen von Digitalisierung, Biotechnologie und Robotik: All das verändert gerade die Welt in atemberaubendem Tempo. Vegetarismus? Also wirklich!

Nicht mal ein Tropfen auf den heißen Stein

Lieschen Müller aus Hamburg-Poppenbüttel wird den Lauf der Dinge mit ihrem Konsum nicht ändern, und nein, er ist nicht mal ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber wenn alle es doch tun würden, wird jetzt manch einer aufschreien. Und auch darin steckt postkoloniale westliche Arroganz.

Sicher, es gibt Studien, die der Welt eine bessere Versorgungssituation voraussagen, wenn jeder auf eine fleischlose Ernährung umstiege. Aber was ist mit den Schwellenländern, in denen der Fleischkonsum erst jetzt an Fahrt aufnimmt? Nachdem in Deutschland über Jahrzehnte Schweinebraten und Steaks verzehrt wurden, soll denen nach langer Entbehrung erklärt werden, sie sollten es doch schön sein lassen?

Was auch immer in Deutschland getan wird, der Fleischkonsum in Schwellenländern wird weiter steigen. Egal, wie man sich ernährt, irgendjemand hat das Nachsehen. Dass Vegetarier vor diesem Hintergrund tapfere Ideologen sind und keine Fatalisten, ist doch komisch, oder?