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Karneval in Rio Karneval in Rio: «Größte Party der Welt» lenkt vom Elend ab

08.02.2002, 09:53
Karneval in Rio
Karneval in Rio AFP

Rio de Janeiro/dpa. - Rossana bekommt leuchtende Augen, wenn siean die bevorstehenden tollen Tage denkt. Mit den Ersparnissen einesganzen Jahres hat sich die fünffache allein erziehende Mutter undPutzfrau ein umgerechnet 200 Euro (391 Mark) teures Kostüm gekauft,mit dem sie bei der weltberühmten Karnevals-Parade in Rio de Janeiroauffallen will. «Karneval verdrängt meine Traurigkeit und gibt mir Kraft für den Rest des Jahres», sagt die 30-jährige Mulattin, die imSlum unweit des Tijuca-Viertels wohnt. Die «größte Party der Welt»,wie der Karneval zu Recht getauft wurde, lenkt in Rio Millionen vomAlltagselend ab.

Entstanden ist der Karneval im 17. Jahrhundert in Brasilien, alsdie aus Afrika gebrachten Sklaven das Recht bekamen, ein paar Tage imJahr ausgelassen zu feiern und ihre Herren mit Liedern offen zukritisieren. Den befürchteten Aufständen sollte so vorgebeugt werden.In der Hinsicht hat sich bis heute wenig geändert. Rossana vergisstdank des Karnevals, dass sie mit einem Mindestgehalt von 180 Real(etwa 90 Euro) auskommen muss, dass sie im Bus und auf der Straßemehrfach überfallen wurde und ihr Bruder von den Drogen-Banden, diedie «Favela»-Slums beherrschen, vor kurzem erschossen wurde.

«Solange es in Brasilien Karneval gibt, wird es hier nie eineRevolution geben, das ist doch ein ewiger Orgasmus», sagte derberühmte peruanische Schriftsteller Mario Vargas Llosa bei einemKarnevalsbesuch 1999 ebenso treffend wie kritisch und bewundernd. DerUmzug zieht gekrönte Häupter, Politiker, Intellektuelle und Filmstarszum Zuckerhut. Für die diesjährigen Paraden haben sich unter anderenArnold Schwarzenegger, Jim Carey und Liv Tyler angesagt. Die meistenvon ihnen dürften kaum ahnen, dass der Umzug im Karnevalsstadion«Sambodrom» vor jeweils 70 000 Zuschauern und Millionen vor den TV-Geräten nicht nur «Opium fürs Volk», sondern auch Sozialarbeit ist.

In einer alten Werkhalle in Tijuca klebt der 15-jährige Joaodieser Tage trotz brütender Hitze Papierstreifen auf eine riesigeHolzfigur. Hunderte von Männern, Frauen und Jugendlichen nähen, malenund schneiden in der Samba-Schule Salguero rund um die Uhr anKostümen und Allegorie-Wagen.

«Das wichtigste für mich ist, dass Karneval mich von der Straßegeholt hat», meint Joao, der bis vor wenigen Jahren drogenabhängigund Scherge der Drogenmafia war. Die 14 Samba-Schulen («Escolas»),die bei der Parade im Wettkampf gegeneinander antreten, habenausnahmslos in den Slums ihre Wurzeln. Salguero beschäftigt das ganzeJahr über nicht nur rund 300 fest angestellte Mitarbeiter zurVorbereitung der Parade. Mit den im Karneval eingenommenen Geldernorganisiert die Schule Gratiskurse in Lesen und Schreiben, Informatikund Sprachen.

«Karneval ist zu professionell geworden, immer mehr Arme werdenvon der Parade verbannt, während Reiche und Ausländer die Plätzebesetzen», klagt der Gouverneur des Landes Rio, Anthony Garotinho.Viele kehren dem Karneval in Rio auch freiwillig den Rücken undfahren einfach weg. Denn sie wollen nicht, dass ihre Frauen vonFremden belästigt werden.

Sorgen bereiten in diesem Jahr auch eine Denguefieber-Epidemie,die in Rio bereits sieben Todesopfer gefordert hat, und dieWettervorhersage: An den Karnevalstagen soll es heftig regnen.