Kampusch: "Es konnte nur einen von uns beiden geben"
Wien/dpa. - Ein Jahr nach ihrer Flucht aus den Händen ihres Entführers wirkt die inzwischen 19-jährige Natascha Kampusch noch immer verunsichert. Bei ihrem dritten Interview mit dem Österreichischen Fernsehen ORF reagiert sie am Montagabend mit zittriger Stimme auf die Fragen des ORF-Journalisten Christoph Feurstein.
Andere Antworten wirkten einstudiert, stockend; Reaktionen einer jungen Frau, für die der Alltag in Freiheit noch immer alles andere als normal erscheint. Ein Jahr nach ihrer Flucht hat Kampusch, die ihrem Kidnapper Wolfgang Priklopil am 23. August 2006 nach achteinhalbjähriger Gefangenschaft entkam, noch immer gesundheitliche Probleme.
«Jetzt geht es mir sukzessive besser, obwohl ich noch immer recht schreckhaft bin und ich immer noch meine Kreislaufprobleme habe», sagt sie. Nach den endlosen Jahren im dunklen Verlies ihres Peinigers werde es sicher «noch lange dauern», bis sie «irgendjemand wirklich voll vertrauen kann». Kampusch: «Ich habe ein klein wenig meine Scheu vor anderen Menschen verloren, und diese Ängstlichkeit ist weggegangen.»
Kampusch war im März 1998 als Zehnjährige auf dem Schulweg von dem Radiotechniker entführt worden. Achteinhalb Jahre hielt er sie in einem Kellerverlies in seiner Garage in Strasshof bei Wien fest, bis ihr am 23. August 2006 die Flucht gelang. Der damals 44-jährige Entführer beging unmittelbar danach Selbstmord.
Das Verhältnis zu ihrem Peiniger nimmt einen bedeutenden Teil des Interviews ein. Eigentlich tue der Mann ihr «immer mehr leid», sagt das Opfer heute. Das, was er ihr angetan habe, sei «einfach weiter in die Ferne gerückt». Um das Trauma der Entführung und Gefangenschaft aufzuarbeiten, sei sie sogar an den Ort ihrer Gefangenschaft zurückgekehrt: «Es kommen schon gewisse Erinnerungen hoch, wenn Sie da diesen dicken Betonblock sehen und sich denken, da waren Sie drinnen eingesperrt.»
Kampusch bestätigte in dem Interview, dass sie nach dem Selbstmord ihres Entführers am Sarg Priklopils «Abschied genommen» habe. Schließlich habe sie ihm einmal «zynisch» geschworen: «Eines Tages werde ich auf deinem Grab tanzen.» Kampusch: «Es war schon auch eine gewisse Genugtuung dabei, so eine Art Sieg», schildert sie ihre Gefühle. «Es war immer klar, es konnte nur einen von uns beiden geben, und ich war das, letztendlich, und er nicht.»
Deutliche Kritik übt Kampusch auch an ihren geschiedenen Eltern, die sich inzwischen öffentlich bekriegen. Dass ihre Mutter Brigitta Sirny kürzlich medienwirksam ein Buch über die Zeit ohne ihre Tochter veröffentlichte, müsse «sie für sich selbst vertreten können, und offenbar ist das so, und das kann ich nicht ändern», meinte die 19- Jährige. «Ich würde anders handeln, das ist klar. Jeder hat sein eigenes Gewissen, und jeder wiegt für sich ab, was ethisch und moralisch vertretbar ist.» Vorwürfe richtete sie auch an die Adresse ihres Vaters, der «im Umgang mit der Presse naiv» sei und ihre Bekanntheit auch finanziell genutzt habe.
ORF-Interviewer Feurstein war für das Interview mit Kampusch und deren Schwester nach Barcelona geflogen. «Gegen den Rat der Psychologen», wie Natascha zugibt. Die entspannte Urlaubsatmosphäre sollte ihr das Plaudern erleichtern. Und doch wirkte sie bei den meisten Fragen angespannter, als bei ihrem letzten Interview im Januar. Vorwürfe aus der Öffentlichkeit, warum sie überhaupt den Medienkontakt suche, kontert sie mit verblüffender Ehrlichkeit. Schließlich, so Kampusch, müsse sie ihr Leben und auch ihre Zukunft über diese Einnahmen finanzieren, sagt sie.
Dem ORF, der massiv für das «Medien-Event» warb, bescherte das Interview wieder einmal gute Einschaltquoten. Knapp eine Million Österreicher verfolgten am Montagabend die Sondersendung. Das waren allerdings erheblich weniger als beim ersten Interview von Kampusch im September 2006, der mit 2,7 Millionen Zuschauern bisher meistgesehenen Fernsehsendung aller Zeiten in der Alpenrepublik.