Jahreswechsel Jahreswechsel: Silvester entwickelt sich zum Winter-Volksfest

Berlin/dpa. - Silvester hat nach Einschätzung des Berliner Ethnologie-Professors Wolfgang Kaschuba inzwischen vielerorts den Charakter eines «Winter-Volksfestes» angenommen. «In der letzten Zeit ist Silvester zu einer Art Eventkultur geworden», sagte Kaschuba vom Institut für europäische Ethnologie der Humboldt-Universität in einem dpa-Gespräch. «Es gibt kaum ein Fest, bei dem so viel gemeinsam und öffentlich unternommen wird - ob in der Disko oder auf den Straßen und Plätzen wie am Brandenburger Tor.»
Der Eventcharakter von Silvester bedeutet laut Kaschuba, dass der öffentliche Raum mit Bühnen, Feuerwerk, Lasershows oder etwa Eisbars gestaltet wird. Dazu kommen besondere Angeboten in Opern, Theatern oder Restaurants. «Automatisch wird es dadurch aber auch immer kommerzieller.»
Wie Weihnachten sei der Jahreswechsel ein Fest, das man nicht ignorieren könne. «Das ist hier sehr tief eingeimpft, seit Kindheitserinnerungen wie zum Beispiel dem ersten Anzünden einer Rakete. Anders als Weihnachten sei das heutige Silvesterfeiern aber ein kollektives Fest, sagte der Wissenschaftler. «Weihnachten sieht man nach innen, konzentriert sich auf die Familie. Silvester ist fröhlicher, ausgelassener. Die Menschen verbringen das eher in großen Gesellschaften, einen Teil der Nacht sogar draußen auf der Straße.»
Die Tradition des Silvester-Feierns leitet sich von den Hoffesten der europäischen Adels ab. «Die höfischen Inszenierungen sind am ehesten als die unmittelbaren Vorläufer unserer Silvesterfeiern zu sehen», erklärte Kaschuba. «Die europäischen Adelshäuser veranstalteten solche Feste als gesellige Anlässe.» Die Traditionen einer ausklingenden Adelskultur seien Ende des 17. Jahrhunderts übergegangen in eine aufblühende bürgerliche Kultur.
Auch das Feuerwerk als wichtiger Bestandteil von Silvester geht auf die Fürstenhäuser zurück. Raketen und Böller seien ursprünglich aus China importiert worden und hätten schon damals zu vielen höfischen Festen gehört. «Feuerwerk war eine Inszenierung zum Teil auch für die Untertanen, weil es ja weithin sichtbar war.»
Für die zunehmende Etablierung von Silvester in der Feierkultur sei auch die «Entchristlichung der Kultur» verantwortlich gewesen, sagte Kaschuba. Bis ins 18. Jahrhundert hinein hätten religiöse Feiertage und Feste wie Weihnachten und Heilige Drei Könige dominiert. «Da war das Jahresende nicht so hoch angesiedelt.» Gleichzeitig entwickelte sich während der Aufklärung eine neue Form des Zeitbewusstseins. «Silvester als Jahresend-Fest hat etwas damit zu tun, dass die Kalender immer wichtiger wurden.»
