Tourismus Harzer Schmalspurbahnen vor tiefgreifendem Wandel
Um den Betrieb der beliebten Harzer Schmalspurbahnen aufrechtzuerhalten, braucht es mindestens 800 Millionen Euro – und grundlegende Veränderungen. Die Kosten könnten aber noch höher sein.

Wernigerode - Auf die Harzer Schmalspurbahnen (HSB) kommen in den kommenden Jahren tiefgreifende Veränderungen zu. „Die Harzer Schmalspurbahnen müssen sich neu erfinden“, sagte Aufsichtsratschef Thomas Balcerowski (CDU) bei der Vorstellung einer Analyse zu den Perspektiven des Unternehmens. Das Gutachten habe erhebliche Investitionsdefizite zutage gefördert. Man sei in Gesprächen mit der Politik, denn man brauche die Unterstützung der Bundesländer, weil der Wandel aus dem laufenden Geschäft heraus nicht geleistet werden könne.
„Die Situation der HSB ist hochgradig kritisch“, heißt es in der Analyse, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. „Der Dampflokbetrieb ist in aktueller Form perspektivlos.“ Im vergangenen Jahr hatten die HSB das Beratungsunternehmen SCI Verkehr mit dem Gutachten beauftragt. Es bestehe dringender Handlungsbedarf bei Dampfloks, Reisezugwagen und Triebzügen. Schon jetzt sei die Verfügbarkeit der Fahrzeuge unzureichend und ein neues Fahrzeugkonzept erforderlich. So empfiehlt die Beratungsfirma die Anschaffung neuer Diesel-Hybrid-Triebwagen, die zusätzlich zu Dampfloks fahren könnten.
Betriebsrat: „Größte Krise, die wir jetzt abarbeiten müssen“
Laut der Analyse weisen Infrastruktur und Fahrzeugflotte so deutliche Instandhaltungsrückstände auf, dass der Betrieb der Schmalspurbahnen auch kurzfristig gefährdet sei. Das Beratungsunternehmen sieht für die Harzer Schmalspurbahnen bis zum Jahr 2045 Investitionskosten in Höhe von 544,1 Millionen Euro. Dazu kommen noch einmal laufende Kosten von 253,2 Millionen Euro. Nur mit diesen finanziellen Mitteln komme die HSB sukzessive in die Lage, ein nachhaltig wirtschaftliches Unternehmen zu sein. Dennoch betont Aufsichtsratschef Balcerowski: „Eine Insolvenz, eine Abwicklung ist nicht möglich!“
Am Nachmittag informierten Geschäftsführung und Aufsichtsrat die Belegschaft über die Ergebnisse der Analyse. „Die Stimmung ist natürlich bedrückend“, sagte Betriebsratsvorsitzender Michael Kröberg. Es sei viel Enttäuschung: „Das ist die größte Krise, die wir jetzt abarbeiten müssen.“
Sanierungsmaßnahmen könnten mindestens zehn Jahre dauern
Dafür müsse aber auf allen Strecken in die Schienen investiert werden – auch bei der bei Touristen besonders beliebten Strecke zum Brocken, sagte HSB-Geschäftsführerin Katrin Müller. Das könne dazu führen, dass zu bestimmten Zeiten Strecken geschlossen werden müssten.
Es werde mindestens zehn Jahre dauern, bis alle Maßnahmen umgesetzt sind, betonte Balcerowski, der auch Landrat des Landkreises Harz ist. „Selbst wenn wir alle Hausaufgaben machen, hätten wir trotzdem einen solchen Zuschussbedarf.“ Man könne den Kostensteigerungen nicht ausweichen.
Die prognostizierten Millionenkosten der Analyse beschränken sich allerdings auf eine Variante, in der sich der Betrieb auf die Brocken- und die Harzquerbahn beschränkt. Allein auf der Strecke zwischen Wernigerode und dem Brocken werden laut Gutachten 96 Prozent der Ticketverkäufe erlöst. Der reguläre Betrieb auf der Selketalbahn steht damit vor dem Aus.
Empfehlung: Beschränkung auf weniger Strecken
Bei einem Erhalt des heutigen Angebots lägen die Kosten bei den Investitionen noch einmal um 34 Prozent, bei den notwendigen Betriebszuschüssen um mehr als 36 Prozent höher. Der Aufsichtsrat des Unternehmens hatte vergangene Woche bereits entschieden, am Streckennetz festhalten zu wollen. Andernfalls werde die Gesellschafterstruktur, die vor allem durch die anliegenden Städte und Gemeinden bestimmt ist, zerschlagen und es komme zu größeren finanziellen Risiken.
Allerdings könne man sich vorstellen, etwa bei der Selketalbahn weniger stark zu investieren und nur noch zu bestimmten Zeiten touristische Fahrten mit den Dampfloks anzubieten, sagte Aufsichtsratschef Balcerowski.
Auch eine Anbindung an Braunlage in Niedersachsen und an die Touristenattraktion Pullman City in Hasselfelde sei nicht endgültig vom Tisch. Allerdings müssten jetzt erst einmal die drängendsten Probleme im bestehenden Netz angegangen werden, so der Aufsichtsratschef. „Wir sind ein unverzichtbarer Bestandteil der Region, das ist auch wichtig für die Gespräche mit den Ländern.“
Probleme rühren teilweise noch aus den 90er Jahren
Die Harzer Schmalspurbahnen sehen jetzt die Länder Thüringen und vor allem Sachsen-Anhalt am Zug, ein Bekenntnis zu den historischen Bahnen abzugeben. Schon in den vergangenen Jahren hatte allein Sachsen-Anhalt mehrere Millionen Euro zugeschossen, um die Defizite auszugleichen. Die Probleme rühren dabei teilweise Jahrzehnte in die Vergangenheit zurück. Bei Gründung der HSB habe man einen Vertrag mit den Ländern geschlossen, in denen ein fixer Betrag jährlich für die Unterstützung vereinbart worden sei, sagte Müller. Dieser Betrag sei seit den 90er Jahren lange nie angepasst worden. Auch dadurch lasse sich das Investitionsdefizit erklären.
Sachsen-Anhalts Infrastrukturministerin Lydia Hüskens (FDP) hatte zuletzt erklärt, es brauche ein tragfähiges Konzept, damit die HSB weiter unterstützt werden könnte. Ende September soll es weitere Gespräche zwischen dem Unternehmen und den Ländern geben.
Aufsichtsratschef hoffnungsvoll für Gespräche
„Ich glaube am Ende dann doch, dass man sich zur HSB bekennen wird“, ist sich Aufsichtsratschef Balcerowski sicher. Allein touristisch generierten die Bahnen viel Umsatz in der Region. „Das wäre ein erheblich größerer Schaden.“
Mit rund 140 Kilometern in Thüringen und Sachsen-Anhalt betreibt die HSB das längste zusammenhängende Schmalspurnetz Deutschlands. Zuletzt fuhren die HSB bei rund einer Million Fahrgästen jährlich ein Millionendefizit ein.