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Grubenunglück in der Türkei Grubenunglück in der Türkei: Polizei setzt Tränengas ein

14.05.2014, 11:40
Es wird immer unwahrscheinlicher, noch Überlebende unter Tage zu finden.
Es wird immer unwahrscheinlicher, noch Überlebende unter Tage zu finden. ap/dpa Lizenz

Istanbul - Die Zahl der Toten bei dem verheerenden Grubenunglück in der Türkei ist auf mindestens 238 angestiegen. Das sagte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan am Mittwoch nach Angaben der Nachrichtenagentur Anadolu bei einem Besuch am Ort der Katastrophe. Zahlreiche Kumpel werden weiterhin vermisst. Erdogan hatte wegen des Unglücks am Dienstag im Kohlekraftwerk Soma in der Provinz Manisa eine Auslandsreise abgesagt. Seine Regierung rief eine dreitägige Staatstrauer aus. Im ganzen Land und an den Vertretungen im Ausland wurden die Flaggen auf halbmast gesetzt. Es ist das schwerste Grubenunglück in der Türkei seit 1992.

Die türkische Polizei ist in der Hauptstadt Ankara gegen tausende Demonstranten vorgegangen, die wegen des Grubenunglücks in der Stadt Soma auf die Straße gezogen waren. Wie ein Fotograf der Nachrichtenagentur AFP berichtete, setzten die Sicherheitskräfte am Mittwochabend Tränengas und Wasserwerfer gegen die Menge ein. Aus ihr waren zuvor Feuerwerkskörper in Richtung Polizei abgeschossen worden.

An der Demonstration in der Hauptstadt beteiligten sich 3000 bis 4000 Menschen. Auch in Istanbul sowie dem Unglücksort Soma hatte es zuvor bereits Proteste gegeben, spontane Kundgebungen gab es auch andernorts.

Energieminister Taner Yildiz rechnete mit weiteren Todesopfern und sagte, die Opferzahl könne die des bislang schwersten Grubenunglücks in der Geschichte der Türkei mit 263 Toten noch übersteigen.

„Das Problem ist ernster, als wir dachten. Es entwickelt sich zu einem Unfall mit der höchsten Zahl getöteter Arbeiter, die die Türkei bisher je erlebt hat“, sagte Yildiz an der Unglücksstelle in Soma. Zur Zahl der unter Tage eingeschlossenen Kumpel wollte der Minister sich nicht äußern. Zum Unglückszeitpunkt am Dienstag hatten sich 787 Kumpel in dem Bergwerk aufgehalten. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan rief eine dreitägige Staatstrauer aus und wollte noch am Mittwoch nach Soma reisen.

In dem Kohlebergwerk war nach der Explosion eines Transformators am Dienstag ein Feuer ausgebrochen, das am Mittwoch weiter wütete. Tödliches Kohlenmonoxid behinderte die Rettungsarbeiten. Ein Vertreter der Sicherheitskräfte sagte, nach der Explosion hätten sich in dem Bergwerk zwei Lufttaschen gebildet, von denen eine für die Rettungskräfte zugänglich, die zweite jedoch versperrt sei. Die meisten der Todesopfer starben an Kohlenmonoxidvergiftung.

Kumpel sitzen in zwei Kilometern Tiefe fest

Hunderte Angehörige und Kollegen der verunglückten Kumpel warteten vor dem Grubeneingang auf Neuigkeiten. Nur vereinzelt wurden Überlebende ans Tageslicht gebracht, die husteten und wegen des eingeatmeten Kohlenstaubs nach Luft rangen. Sena Isbiler, die Mutter eines Kohlearbeiters, stand auf einem Holzstapel in der Nähe des Schachtes und reckte den Hals um zu sehen, wer aus der Grube gebracht wurde. „Ich warte hier seit gestern Nachmittag auf meinen Sohn“, sagte sie. „Bisher habe ich noch nichts von ihm gehört.“

Angehörige versuchten, die Decken von den Gesichtern der auf Bahren aus der Grube getragenen Leichen zu ziehen, um die Toten zu identifizieren. Der Kohlekumpel Arum Unzar sagte, er habe schon früher einen Freund bei einem Unfall verloren, „aber dies hier ist enorm“. „Alle die Opfer sind unsere Freunde“, sagte er unter Tränen. Die Feuerwehr versuchte, Frischluft in den Schacht zu pumpen, um die in zwei Kilometern Tiefe unter der Erdoberfläche und vier Kilometer vom Grubeneingang entfernt festsitzenden Arbeiter mit Sauerstoff zu versorgen.

Debatte um Sicherheit

Derweil war die Debatte um die Sicherheit in dem Bergwerk in vollem Gange. Das türkische Arbeitsministerium erklärte, die Grube sei zuletzt am 17. März auf Sicherheitsmängel untersucht worden und es habe keine Beanstandungen gegeben. Der Bergmann Oktay Berrin sagte dagegen, es gebe in dem Bergwerk keine Sicherheit: „Die Gewerkschaften sind Marionetten und die Geschäftsführung kümmert sich nur ums Geld.“

Der Bergwerksbetreiber Soma Komur erklärte, der „tragische Unfall“ habe sich „trotz höchster Sicherheitsvorkehrungen“ ereignet. Die Staatsanwaltschaft nahm am Mittwoch Ermittlungen auf. Der linke Gewerkschaftsbund DISK sprach von einem „Massaker“. Die Oppositionspartei CHP war erst vor wenigen Wochen im Parlament von Ankara mit dem Versuch gescheitert, Zwischenfälle in der Grube von Soma untersuchen zu lassen. Erdogans Regierungspartei bügelte den Antrag ab.

Kritiker werfen der Regierung vor, bei der Privatisierung vieler ehemals staatlicher Bergbaufirmen in den vergangenen Jahren die Einhaltung von Sicherherheitsvorkehrungen ignoriert zu haben. Beim bislang schwersten starben 1992 in einem Bergwerk in Zonguldak nach einer Gasexplosion 263 Kumpel.

Erdogan verspricht intensive Untersuchung

Regierungschef Recep Tayyip Erdogan kündigte umfassende Ermittlungen an. Die Unglücksursache müsse „vollständig“ untersucht werden, sagte Erdogan am Mittwoch bei einer Pressekonferenz im westtürkischen Soma in der Provinz Manisa. „Wir werden keine Nachlässigkeit dulden“, sagte er. (afp, dpa)