Gießen Gießen: Applaus für lebenslange Haft

Gießen/ddp. - Die haben nichts anderes verdient», sagt ein Rentner.Nach neun Verhandlungstagen im Revisionsprozess gegen Judith undGuido H. wurde am Freitag am Gießener Landgericht das Urteilverkündet.
«Für Mord kennt das Gesetz nur lebenslängliche Freiheitsstrafe»,begründete der Vorsitzende Richter die Entscheidung. Der qualvolleTod der 14 Monate alten Jacqueline sei umso bestürzender, da er sichin einer Umgebung ereignete, in der es an Nahrung nicht mangelte,hieß es in der Urteilsbegründung. Eine Strafmilderung kam nachAnsicht des Gerichts nicht in Frage, da das Unterlassen der Elterneiner aktiven Tötung gleich komme. Eine verminderte Schuldfähigkeitaufgrund einer Depression sahen die Richter bei keinem der beidenElternteile.
Jacquelines Vater war im ersten Prozess im Januar 2008 vomLandgericht Marburg wegen fahrlässiger Tötung zu drei Jahren und dreiMonaten Haft verurteilt worden. Die Mutter wurde in Marburg zu achtJahren Haft wegen Tötung durch Unterlassen und MisshandlungSchutzbefohlener verurteilt. Die Staatsanwaltschaft legte damalsgegen das Urteil Revision ein. Der Bundesgerichtshof (BGH) gab demAntrag im September 2008 wegen Rechtsfehlern und Lücken in derBeweisführung statt.
Die Gießener Richter entschieden nun, dass der 35-jährigeIndustriemechaniker sich des Mordes schuldig gemacht hat, weil er ausbloßem Desinteresse und Gleichgültigkeit keine ärztliche Hilfe fürsein Kind geholt hatte. In den letzten zwei Wochen von JacquelinesLebens habe er sich nicht mehr um seine Tochter gekümmert, obwohl erden erbärmlichen Zustand gekannt habe. Damit habe er in Kaufgenommen, dass Jacqueline ohne einen Arzt sterben würde. DasMordmerkmal «niedrige Beweggründe» sei erfüllt, da dem Angeklagtenandere Dinge wie der tägliche Spaziergang mit den Hunden oder dieRenovierung des Hauses wichtiger gewesen seien. Der 35-Jährige wurdenach der Verhandlung festgenommen und in Untersuchungshaft gebracht.
Bei der 23-jährigen Mutter von Jacqueline sah dieSchwurgerichtskammer sowohl das Mordmerkmal «niedrige Beweggründe»als auch «Grausamkeit» erfüllt. Ab Januar 2007 habe Judith H. ihreTochter sich selbst im Obergeschoss des Hauses überlassen und dasKind nur unregelmäßig gefüttert, bis sie die Versorgung ganzeinstellte. Jacqueline habe qualvolle Schmerzen aufgrund von Hunger,Durst und einer starken Entzündung im Windelbereich erlitten. Um dasSchreien des Kindes nicht zu hören, habe Judith H. das Babyfonausgeschaltet und den Tod des Mädchens billigend in Kauf genommen.
Der Verteidiger von Judith H. sagte nach der Urteilsverkündung,wenn zwei Kammern zu so unterschiedlichen Urteilen kommen, sei esnaheliegend, dass die Verteidigung in Revision gehe. Der Anwalt desVaters von Jacqueline war zunächst zu keiner Stellungnahme bereit.
Die Staatsanwaltschaft, die lebenslange Haft für beide Angeklagtegefordert hatte, zeigte sich zuversichtlich, dass das Urteil derSchwurgerichtskammer einer Revision standhält. Binnen einer Wochekönnen die Angeklagten in Berufung gehen. Sollte dem Antragstattgegeben werden, müsste sich erneut der Bundesgerichtshof mit demFall beschäftigen.
Am 24. März 2007 war Jacqueline im Haus ihrer Eltern imnordhessischen Bromskirchen (Landkreis Waldeck-Frankenberg)gestorben. Als die Mutter das Kind reglos in seinem Kinderzimmerfand, brachte sie Jacqueline zu einer örtlichen Arztpraxis. Bei derFestnahme am selben Abend zeigten sich beide Elternteile erstaunt undohne Unrechtsbewusstsein: «Wieso dürfen wir nicht nach Hause? Wirhaben doch gar nichts getan.»