Gesellschaft Gesellschaft: «Das Klopapier war eine echte Revolution»

Hösseringen/ddp. - Toiletten injedem Haushalt und ein Anschluss an die Kanalisation wie inDeutschland gibt es vielerorts in Afrika und Asien heute noch nicht.Mit der ganz speziellen Geschichte der Sanitäranlagen hierzulandebeschäftigte sich die 64-jährige deutsche Autorin Mila Schrader inihrem Buch «Plumpsklo, Abort, Stilles Örtchen». Mit Schrader, diejetzt im niedersächsischen Hösseringen die Edition anderweitherausgibt sowie ein Café und einen Tante Emma-Laden betreibt, sprachddp-Korrespondentin Nadine Schimroszik.
ddp: Wie kamen Sie auf die Idee, ein solches Buch zu schreiben?
Schrader: Historische bautechnische Themen interessieren mich seitJahrzehnten. Da spielen Bäder und Toiletten auch immer eine Rolle.Dann bin ich eine zeitlang viel übers Land gefahren und habe öfterdiese Plumpsklos neben den Häusern entdeckt. Das hat mich sofasziniert, dass ich mehr erfahren wollte.
ddp: Welche Entwicklung vollzog die Toilette in Deutschland?
Schrader: Im Mittelalter gab es nur die Eimer oder Nachttöpfe. DerGestank war allgegenwärtig. Später folgten auch bequemeToilettenstühle. Sie wurden von den Abort-Erkern beispielsweise aufSchlössern und Brücken abgelöst. Auf dem Land gab es natürlich nochganz lange das Plumpsklo, dass man meist auch nicht allein aufsuchte.Entsprechende Mehr-Sitzer-Plumpsklos findet man heute in Skandinavienimmer noch. Eine frühere Variante war der Donnerbalken mit einemhorizontal angebrachten Balken zum Sitzen. In den Städten kamen gegen1870 die ersten freistehenden Klos mit Syphons auf, die dasVorhandensein einer Kanalisation mit Wasser und Abwasservoraussetzten.
ddp: Spielte Scham beim Urinieren und Stuhlgang schon immer eineRolle?
Schrader: Nein, Scham kam erst im 19. Jahrhundert auf. Als sichdie Menschen nicht mehr selbst um ihre Exkremente kümmern mussten,nahm auch die Verklemmtheit zu. Früher hingegen waren beispielsweiserömische Gemeinschaftslatrinen und die mehrsitzigen PlumpsklosNormalität. Im Mittelalter gab es sogar nur die Winkel zwischen denHäusern. Erst im 17. und 18. Jahrhundert nahmen die diskretenAbortkabinen zu.
ddp: Wie hat man sich nach der Notdurft gereinigt?
Schrader: In der Antike gab es den Essigschwamm, mit dem sich dieLatrinenbenutzer reinigten. Vor dem Abort stand ein Wassereimer zumHändewaschen. Lange wurden für die Reinigung natürliche Materialienwie Moos, Stroh und Gras verwendet. Das Klopapier war dann eine echteRevolution. Es wurde etwa im 17. Jahrhundert eingeführt. Später gabes dann die industrieell gefertigten Abreißrollen.
ddp: Sind Sie bei Ihren Recherchen auf witzige Anekdoten gestoßen?
Schrader: Als wir 1988 in der Lüneburger Heide in eine ehemaligeDorfschule zogen, erzählte man mir beim Besichtigen der Schulklos,dass der Sohn des ärmsten Bauern noch in den 60er Jahren desvergangenen Jahrhunderts nicht das Klo aufsuchen durfte. Er musste ineinem solchen Fall stets nach Hause laufen. Der Inhalt derJauchegrube war nämlich sehr wertvoll, denn für künstlichen Düngerhatte sein Vater kein Geld.
ddp: Kennen Sie besonders schöne Toiletten?
Schrader: Da fällt mir spontan der von dem Künstler FriedensreichHundertwasser gestaltete Bahnhof in Uelzen mit seinen Sanitäranlagenein.
ddp: Welche Eigenarten gibt es in anderen Ländern bei dentäglichen Bedürfnissen?
Schrader: Besonders in Nordamerika sind die Hygieneanforderungensehr hoch. Da findet man häufig diese rollenden Toilettenränder vor.In japanischen Toiletten wie auch in sehr guten deutschen Hotelsfinden sich häufig kleine Lautsprecher, die die Körpergeräuscheübertönen. Italienische Toiletten verfügen hingegen meistens über einGebläse, das die Körpergerüche beseitigt.