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Oldenburg Fragen und Antworten zu tödlichen Polizeischüssen

Warum erschoss ein Polizist den 21-jährigen Lorenz in Oldenburg? Dies ist eine von mehreren Fragen, die es nach den tödlichen Polizeischüssen gibt. Dazu kommen mehrere Forderungen.

Von Helen Hoffmann, dpa 10.05.2025, 07:15
Die tödlichen Polizeischüsse auf den 21 Jahre alten Lorenz in Oldenburg haben große Trauer ausgelöst. (Archivbild)
Die tödlichen Polizeischüsse auf den 21 Jahre alten Lorenz in Oldenburg haben große Trauer ausgelöst. (Archivbild) Sina Schuldt/dpa

Oldenburg/Hannover - Nach den tödlichen Polizeischüssen auf den 21 Jahre alten Lorenz in Oldenburg ist die Anteilnahme weiter groß. Auch für dieses Wochenende sind Kundgebungen in Oldenburg und anderen Städten geplant. Es gibt Fragen und Forderungen. Ein Überblick:

Was ist bislang über den Fall bekannt?

Fest steht nach den Angaben der Staatsanwaltschaft, dass ein 27-jähriger Polizeibeamter in der Nacht zu Ostersonntag fünfmal in Richtung des jungen Mannes schoss und ihn mindestens dreimal von hinten in Oberkörper, Hüfte und Kopf traf. Zudem wurde der Schwarze möglicherweise durch einen Streifschuss am Oberschenkel verletzt. Der Deutsche starb im Krankenhaus. 

Unklar ist bislang, warum der Polizist in der Oldenburger Fußgängerzone von hinten auf Lorenz schoss. Der Landespolizeipräsident verwies darauf, dass die beiden Polizisten in der Nacht in einer Hochstresssituation waren. Demnach befanden sie sich in einem Fahndungseinsatz nach einer männlichen Person, die vor einer Diskothek Reizgas gegen andere Menschen einsetzte und ein Messer dabeihatte.

Der 27-jährige Polizist, der schoss, ist derzeit nicht im Dienst. Gegen ihn wird wegen Totschlags ermittelt. Für den Einsatz der Schusswaffe gibt es klare gesetzliche Vorgaben. Sie dürfen in einer Notwehr- oder Nothilfesituation gebraucht werden. 

Welche Forderungen gibt es? 

Zahlreiche Menschen und Organisationen fordern eine lückenlose Aufklärung. Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD) sagte: „Die Obduktionsergebnisse werfen schwerwiegende Fragen und verheerende Vorwürfe auf, die im Rahmen der weiteren Ermittlungen schonungslos beantwortet und aufgeklärt werden müssen.“ Doch wie in jedem rechtsstaatlichen Verfahren gelte auch in diesem Fall die Unschuldsvermutung. Auch Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) forderte eine schnelle Aufklärung. „Wir versuchen alles dafür zu tun, damit wir das lückenlos aufklären und die Geschehnisse vollständig rekonstruieren können“, sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft.

Dass die Bodycam des Polizisten, der schoss, nicht eingeschaltet war, sorgte für Kritik. Der Einsatz der Kamera ist freiwillig. Manche fordern eine automatisierte Aktivierung der Geräte, sobald eine Dienstwaffe aus dem Holster genommen wird. „Sollte sich auf Grundlage der Ermittlungsergebnisse Handlungsbedarf beim Thema Bodycam ergeben, werden wir prüfen, was technisch machbar und sinnvoll umzusetzen ist“, sagte Innenministerin Behrens dem „Spiegel“.

Welche Kritik gibt es an den Ermittlungen? 

Das Ermittlungsverfahren gegen den 27-jährigen Polizisten wird von der Staatsanwaltschaft Oldenburg geführt, die Polizei Delmenhorst ermittelt. Dies wird von vielen Menschen kritisiert. „Ermittlungen durch die benachbarte Dienststelle ist das schlechteste Modell, was wir in Deutschland haben“, sagte der Professor für Kriminologie und Strafrecht von der Goethe-Universität Frankfurt, Tobias Singelnstein, der Deutschen Presse-Agentur. Er verwies auf Bundesländer mit spezialisierten Dienststellen, die beim Landeskriminalamt angesiedelt oder selbstständig sind. Auch Mitglieder der Grünen und Linken kritisierten die Art der Ermittlungen. Die Grüne Jugend Niedersachsen forderte eine unabhängige Ermittlungsstelle bei Polizeigewalt nach skandinavischem Vorbild. 

Niedersachsens Innenministerin sieht dafür keine Notwendigkeit. Die Polizei arbeite unparteiisch und professionell - in diesem Fall unter Sachleitung der Staatsanwaltschaft Oldenburg, sagte sie laut Mitteilung auf dpa-Anfrage. Eine lückenlose Aufklärung sei im Sinne der Angehörigen, der Öffentlichkeit, aber auch der Polizei Niedersachsen. „Es gibt überhaupt keinen Anlass an der Funktionalität unserer rechtsstaatlichen Verfahren zu zweifeln“, so Behrens.

Spielte Rassismus eine Rolle?

Rednerinnen und Redner auf einer Kundgebung Ende April in Oldenburg mit Tausenden Menschen kritisierten, dass Polizeigewalt sehr oft Schwarze treffe. Viele Teilnehmer sprachen von strukturellem Rassismus in Deutschland. Zur Frage, ob Schwarze häufiger von Polizeischüssen getroffen werden als Menschen anderer Hautfarbe, gibt es keine offiziellen Zahlen. Nach Angaben des Innenministeriums in Hannover unterscheidet die Statistik mit Blick auf Tatverdächtige und Opfer lediglich nach Nationalitäten.

Ein Ministeriumssprecher verwies darauf, dass sich die Polizei als Vertreterin aller Bürgerinnen und Bürger in Niedersachsen versteht. „Die Polizei Niedersachsen setzt sich nachdrücklich für ein weltoffenes und pluralistisches Weltbild ein, in dem Rassismus keinen Platz finden darf“, hieß es. Vorwürfe von Rassismus beziehungsweise Racial Profiling gegenüber der Polizei Niedersachsen würden ernst genommen. Nach Angaben der Ermittler gibt es bislang keine Hinweise auf eine rassistische Motivation des Polizisten, der auf Lorenz schoss.

Hat die Polizei die richtige Ausrüstung?

Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) in Niedersachsen fordert den Einsatz von sogenannten Tasern für den Streifendienst. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Niedersachsen spricht sich dagegen aus. Mit einem Taser können aus etwas Distanz Elektroschocks abgegeben werden, die zu schmerzhaften Muskelkontraktionen führen. Der Getroffene wird dadurch in der Regel vorübergehend handlungsunfähig. Die Waffen sind umstritten, da sie bei Menschen mit Herzerkrankungen oder Herz-Kreislauf-Problemen zu gesundheitlichen Folgen führen können. Im Gegensatz zu anderen Bundesländern ist die Verwendung von Tasern in Niedersachsen bislang nur in Einsätzen des Spezialeinsatzkommandos (SEK) zugelassen.

Das Innenministerium in Hannover ist gegen Taser im Streifendienst. „Ich habe Zweifel, ob der Einsatz weiterer Geräte, wie Taser, wirklich sinnvoll ist“, sagte Innenministerin Behrens auf dpa-Nachfrage. „Gerade in Hochstresssituationen könnte die Auswahl des geeigneten Einsatzmittels zu einer erheblichen Erhöhung der Komplexität im Einsatz führen.“ Daher seien bislang nur Spezialeinsatzkräfte mit Tasern ausgestattet. Fachleute des Ministeriums informierten sich aber über Erfahrungen von anderen Bundesländern.

Was erschwert die Ermittlungen?

Als die tödlichen Schüsse fielen, waren zwei Polizisten und Lorenz am Tatort. Ob es weitere Zeugen gibt, ist bislang unklar. Die Staatsanwaltschaft bat die Bevölkerung um Mithilfe. Wer Hinweise zu den Geschehnissen in der Nacht auf den 20. April in der Oldenburger Innenstadt hat, soll sich bei der Polizei Delmenhorst melden. Die Ermittler werten derweil Videoaufnahmen aus - zum Beispiel von der Kamera eines Geschäftes in der Fußgängerzone. Das Geschehen soll darauf aber nur schemenhaft zu sehen sein. Zudem soll es mindestens eine Audioaufnahme geben. Da die beiden Polizisten, die in der Nacht im Einsatz waren, ihre Bodycams nicht aktiviert hatten, gibt es davon keine Aufnahmen.